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„Krass, aber befreiend“

Brigitte Foppa hat sich einen „tief gehegten“ Wunsch erfüllt – und im Wahljahr 2023 eine Ausbildung als Sterbebegleiterin gemacht. Was sie dazu bewogen hat.

TAGESZEITUNG: Frau Foppa, welcher war der Auslöser, der Sie dazu bewogen hat, die Ausbildung als Trauer- und Sterbebegleiterin zu machen?

Brigitte Foppa: Mit dem Tod bin ich relativ früh in Berührung gekommen: mein Vater lag im Sterben, als gerade meine Tochter zur Welt gekommen war. Er hat dann noch ein Jahr gelebt, aber die Verbindung zwischen Geburt und Tod war mir dramatisch klar geworden. Dann starb meine Freundin mit 46 Jahren. Vorher haben wir oft über das Sterben geredet. Sie sagte mir: Mir ist meine Zeit so kurz geworden. Schließlich verlor ich innerhalb von fünf Jahren, immer um Neujahr, zuerst meinen Schwager, dann meine Mutter und 2017 meinen Bruder. Das alles hat mich sehr geprägt.

Inwiefern geprägt?

Ich habe gemerkt, dass die Schwerkranken das Gespräch suchten und ich es aushielt, mit ihnen über das Sterben zu sprechen. Die Gespräche waren oft zerreißend, es gab gemeinsame Tränen, aber auch gemeinsames Lachen. Und für mich wichtige Erkenntnisse über das Leben, den Schmerz, das Glück des Alltags, des Weiterlebens, aber auch über die Zerbrechlichkeit dessen, was uns wichtig ist.

Macht es nicht schwermütig oder extrem traurig, sich so intensiv mit dem Tod zu beschäftigen? Die meisten von uns verdrängen die Gedanken an den Tod, an das Endliche …

Ich finde es tragisch, dass wir den Tod so verdrängen. Es führt dazu, dass wir wichtige Entscheidungen nicht treffen oder wesentliche Dinge ungesagt lassen. In unserer Ausbildung bei der Caritas-Hospizbewegung war der Tod immer präsent. Die vielen Gespräche darüber bereiten einen auch selber vor. Ich habe zum Beispiel in diesen Monaten mein Testament gemacht und verschriftlicht, wie ich im Alter und eventuell in Demenz betreut werden möchte. Wir haben uns auch mit dem eigenen Sterben auseinandergesetzt, das ist einerseits ziemlich krass, aber auch befreiend. 

Was lernt man bei der Ausbildung?

In der Ausbildung verwendet die Caritas eine symbolische Erzählung, jene, wie Jesus die Jünger nach Emmaus begleitet. Die Jünger erkennen Jesus nicht, sie leiden darunter, dass er gestorben ist. Der auferstandene Jesus klärt sie darüber nicht auf. Er begleitet sie nach Emmaus, und basta. Aus dieser Erzählung, die am Beginn unserer Ausbildung stand, leiteten wir ab, was es bedeutet, jemanden zu begleiten: nämlich sich selbst zurückzunehmen, den Anderen in den Mittelpunkt zu stellen, nur mitzugehen. Für mich war das das Wichtigste, das ich gelernt habe.

Sie haben auch ein Praktikum absolviert?

Ja, in meinem Praktikum war ich dann auch mit dem Tod konfrontiert, ich bin dabeigesessen und habe der Sterbenden die Hand gehalten. Es war ein großer Augenblick, und ich war sehr berührt und auch dankbar, dass ich dabei sein durfte. Wenn jemand stirbt, dann geht ein ganzes Leben zu Ende. In dieser banalen Aussage stecken Welten an Erfahrung, Beziehung, Wissen und Geschichte von Menschen. Wer in ein Seniorenheim kommt, und sieht mit welchen Verlusten Menschen umgehen, dem wird schnell klar, dass der Besitz das Lässlichste vom Ganzen ist. Am Ende haben wir auch das Leben nur geliehen.

Warum tun wir uns so schwer, über das Sterben zu reden?

Ja, das Thema des Sterbens trägt eine Schwere in sich, natürlich. Ich glaube aber auch, dass das unter anderem daran liegt, dass wir nicht darüber reden, dass wir es in uns vergrummeln und vergraben und voller Angst diese dunkle Ecke in uns meiden. 

Warum haben Sie diese Ausbildung ausgerechnet im Wahljahr gemacht? Wie brachten Sie Politik und Kurs unter einen Hut?

Ich versuchte seit Jahren, die Ausbildung zu machen, aus logistischen Gründen ging es sich aber nie aus. Nun war gerade in diesem Jahr die Gelegenheit dazu, und die Kurszeiten waren perfekt, abends und an den Wochenenden. Ich habe kurz überlegt, ob sich das im Wahljahr überhaupt ausgeht, ob ich die Kraft dazu habe, und natürlich die Zeit. Ich habe dann ganz bewusst beschlossen, dass sich das richtig gut ausgeht. Gerade mitten im Wahltrubel und in den oft so oberflächlichen politischen Gefechten hat mir die Ausbildung, und auch das Praktikum, Zeiten des regelrechten „Aus“ geboten. Einmal kam ich von einer lauten und hässlichen Debatte direkt in das Seniorenheim und bin dort mit einer alten Frau zwei Stunden im Garten gesessen und sie hat mir von ihrem Leben erzählt und dass sie „beim Auslaufen“ ist. Sie bezog sich auf ihre Rolle in der Gesellschaft. Da hab ich Vieles relativiert, was ich noch wenige Minuten vorher unabdingbar wichtig gefunden hatte.

Sind Sie gläubig? Was, glauben Sie, kommt nach dem Tod?

Ich bin nicht gläubig. Der Tod ist für mich unwiderruflicher Schlusspunkt. Meine Theorie ist, dass wir uns in einer langen Reihe des Lebens als Menschen gemeinsam weiter entwickeln. So ist das Leben ewig, wenn auch das Leben des Einzelnen endlich ist. Und das kann ich annehmen. 

Interview: Artur Oberhofer

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