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Wie soll man Hitler entsorgen?

Sandra Mutschlechner und Stefan Benedik (Foto: Klaus Pichler): Mindestens ¾ der Angebote für Schenkungen aus der Bevölkerung beziehen sich auf die NS-Herrschaft.

Die Festung Franzensfeste zeigt die vom Haus der Geschichte Österreich übernommene Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ . Wie gehen die Südtiroler mit den Nazi-Überbleibseln und den Relikten des italienischen Faschismus um? Ein Gespräch mit den Kuratoren Stefan Benedik und Sandra Mutschlechner.

Tageszeitung: Herr Benedik, angenommen, jemand findet auf dem Dachboden ein Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“, ein Führerporträt, Erinnerungsfotos von der Front, Nazi-Orden oder Porzellanteller mit dem Reichsadler. Gibt es in Österreich eine Vorschrift, was man mit solchen Relikten aus der Nazizeit tun soll, darf oder muss?

Stefan Benedik: Das ist eine Frage, die uns im Haus der Geschichte Österreich oft begegnet. Ich bin kein Jurist, aber mir scheint klar zu sein: Der Besitz solcher Gegenstände selbst ist nicht strafbar, sehr wohl in Österreich aber der Verkauf – anders als in vielen Nachbarländern. Viele Menschen äußern dann auch das Bedürfnis, jene Objekte einem Museum zu übergeben, die sie als „belastet“ erleben. Museen sind auf dieses Engagement und die Bereitschaft aus der Bevölkerung einerseits angewiesen, gleichzeitig ist Erinnerungsarbeit und Auseinandersetzung mit Geschichte eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Dafür tragen Museen die Verantwortung gemeinsam mit Privatpersonen. Politische Gewalt ist auch ein Teil vieler Familiengeschichten, das darf nicht vergessen werden.

Vor drei Jahren hat das Haus der Geschichte Österreich in Wien mit der Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ für breite Diskussionen gesorgt. War der Anlass für diese Ausstellung, dass bei jeder zweiten Dachboden- oder Kellerräumung Nazi-Objekte auftauchen, die dem Haus der Geschichte übergeben werden?

Wir haben im Haus der Geschichte Österreich eine interessante Beobachtung gemacht: Wir sind ein neues Museum, 2018 haben wir eröffnet und auch begonnen, erstmals für den Bund, die Republik Österreich eine zeitgeschichtliche Sammlung anzulegen. Das Gesetz gibt uns den Auftrag, die Geschichte seit ca. 1850 zu sammeln. Tatsächlich beziehen sich aber konstant mindestens ¾ der Angebote für Schenkungen aus der Bevölkerung auf die NS-Herrschaft. Das heißt, das materielle Erbe von diesen sieben Jahren wird jedenfalls breit ganz anders wahrgenommen als Objekte aus den restlichen 175 Jahren. Und da lohnt sich die Nachfrage: Warum ist das so? Und was bedeutet das?

Warum übergeben die Menschen die Überbleibsel des Nationalsozialismus dem Museum? Wollen sie den „Nazi Dreck“ loswerden, sich davon distanzieren, schämen sie sich, solche menschenverachtenden Sachen im Haus zu haben?

Ich glaube, es gibt viele unterschiedliche Gründe, die Menschen dazu bringt, Objekte, die sich auf den Nationalsozialismus beziehen, auszusortieren. Es stimmt, dass dabei immer wieder erwähnt wird, dass man etwas „nicht im Haus haben möchte“. Aber dabei spielt auch die Sorge vor Missbrauch eine große Rolle, oft schreiben Menschen, dass es wichtig sei, dass solche Dinge „nicht in die falschen Hände“ geraten sollen – wer auch immer damit gemeint ist. Mir ist aber besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass die wichtigste Motivation für Menschen die Umdeutung ist: Etwas, das für Gewalt und Hetze steht, soll in der Museumsarbeit dazu dienen, Menschen ein kritisches Bewusstsein zu vermitteln.

Weltweit gibt ein großes Interesse für Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus und einen blühenden Handel damit. Ist es legal, Nazi-Andenken zu Geld zu machen oder ist das eine moralische Frage, die jeder selbst für sich beantworten muss?

Der Handel mit NS-Objekten ist in Österreich wie gesagt – zurecht – verboten. Der Handel und die Faszination ist meiner Ansicht nach auch eine Nachwirkung der NS-Propaganda selbst, auch des Führerkults. Auch kritische Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus stellen ihn oft besonders reißerisch dar, setzen auf Gefühle anstatt auf Erklärung. Das steht einem bewussten, reflektierten Umgang mit der Vergangenheit im Wege und verstellt leider auch den Weg zu einem besseren Verständnis, wie eine Gesellschaft auf Hetze und Gewalt eingeschworen werden kann.

Ausstellung „Hitler entsorgen“ in der Festung Franzensfeste (Foto: Ivo Corrá)

Nazi-Relikte auszustellen ist für jedes Museum heikel, weil man sie damit quasi auf den Sockel hebt und auch ein falsches Publikum damit anlocken kann. Wie geht das Haus der Geschichte Österreich damit um?

Das ist eine ungemein wichtige Frage, der wir uns im Haus der Geschichte Österreich mit jedem Objekt wieder stellen. Schließlich geht es nicht nur um ein „falsches“ Publikum, sondern um die Wirkung der Ausstellung. Die wichtigsten Grundlagen unserer Entscheidung dabei sind: Propaganda soll nicht so ausgestellt werden, dass sie Menschen wieder in ihren Bann zieht. Gewalt soll nicht so dargestellt werden, dass die Opfer erniedrigt oder vorgeführt werden. Ein gutes Beispiel dafür sind Objekte, die sich auf NS-Verbrechen beziehen. Hier gibt es viele, die von Opfern selbst erstellt wurden, beispielsweise zur Dokumentation, als Beweise oder zur eigenen Erinnerung. Wenn solche Objekte im Museum gezeigt werden, ist das auch ein Angebot, mit dem Opfer zu fühlen, und nicht mit den Täter*innen. Wer in die Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ geht, sieht auch gleich: Die Vitrinen geben den Objekten so wenig Platz wie möglich, es gibt keine Sockel oder gar roten Samt. Wir legen die Dinge sprichwörtlich auf den Tisch, als Grundlage einer gemeinsamen Diskussion, zu der wir auch das Publikum einladen.

Was zeigt die Ausstellung, die jetzt auch in der Festung Franzensfeste zu sehen ist?

„Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ beschäftigt sich ganz grundsätzlich damit, wie Gesellschaften heute mit der Erinnerung an Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg umgehen können. Im ersten Teil machen wir die grundsätzlichen Möglichkeiten auf: zerstören, aufbewahren oder verkaufen. Im zweiten Teil zeigen wir dann anhand von Beispielen, die erstens das Haus der Geschichte Österreich und zweitens die Franzensfeste bei konkreten Objekten entschieden hat und erklären sehr genau, warum. Wir gehen dabei von jenen Fragen aus, die für uns im Museum Grundlage der gemeinsamen Entscheidung sind, ob ein Objekt dauerhaft gesammelt wird – oder nicht. Den schließlich bedeutet eine Aufnahme in eine Museumssammlung, dass sich die Öffentlichkeit verpflichtet, ein Objekt für immer zu erhalten. Das kostet nicht nur öffentliche Mittel (für Erhaltung, Katalogisierung, Fotografie, Verpackung, Depots), sondern ist auch eine Entscheidung, die zukünftige Generationen beschäftigen wird. Im besten Fall gibt es ihnen eine wichtige materielle Grundlage zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, im schlechtesten Fall ist es eine belastende Bürde, weil zu viel oder zu unsystematisch gesammelt wurde.

In der Wiener Ausstellung bekam jeder Besucher mit der Eintrittskarte einen Zettel, worauf ein Objekt aus der NS-Zeit beschrieben war verbunden mit der Frage: Würden Sie das Objekt zerstören, verkaufen oder aufbewahren? Was haben denn die meisten Besucher geantwortet und wie haben sie ihre Entscheidung begründet?

Gleich mit dem Eintritt bekommt jede und jeder einen Zettel mit der Beschreibung eines Objektes und einer fiktiven Fundgeschichte, die realen Begebenheiten entspricht. Die Ausstellung informiert dann über die Möglichkeiten, die es gibt und stellt dann die Frage: Was würden Sie tun? Soll das Objekt entsorgt werden? Aufbewahrt? Oder verkauft? Und vor allem: Warum? Die letzte Frage ist sicherlich die interessanteste, und wir freuen uns sehr, dass eine Kollegin bei uns am Haus, Isabelle Burtscher, gerade wichtige Fragen zu den vielen tausend Karten, die bei uns aufgehängt wurden, in einer Master-Arbeit analysiert.

 

Tageszeitung: Frau Mutschlechner, warum hat die Festung Franzensfeste die Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ übernommen?

Sandra Mutschlechner: Die Festung Franzensfeste hat die Ausstellung auf Initiative der Direktorin Monika Sommer des hdgö und dem Direktor der Franzensfeste Emanuel Valentin hin übernommen. Die Ausstellung trägt maßgeblich dazu bei, die öffentliche Debatte über den Umgang mit Relikten aus der NS-Zeit und dem Faschismus anzuregen und kritisch zu hinterfragen. Sie bietet nicht nur eine historische Einordnung, sondern auch eine Plattform für die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen der Erinnerungskultur. Indem sie Besucher:innen aktiv in die Diskussion einbindet, sensibilisiert sie für die Verantwortung, die Gesellschaften im Umgang mit diesen Objekten tragen. So leistet die Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung dieser Thematik und zur Reflexion darüber, wie Geschichte heute erinnert, dargestellt und gedeutet wird.

In der Festung Franzensfeste wird die Ausstellung um die regionale Perspektive „Hitler entsorgen – und Mussolini gleich mit“ erweitert. Was ist in dieser Abteilung zu sehen?

Die Erweiterung der Ausstellung in der Festung Franzensfeste nimmt die doppelte Diktaturerfahrung Südtirols in den Blick: Neben NS-Überbleibseln werden auch Relikte des italienischen Faschismus thematisiert. Gezeigt und zur Diskussion gestellt werden Objekte, die den ideologischen Abdruck dieser Regime in Südtirol verdeutlichen – von Büchern der Bibliothek der GIL und einer Mussolini-Büste bis hin zu einem Wehrmachtshelm, der in der Nachkriegszeit zum Jaucheschöpfer wurde. Die Ausstellung hinterfragt dabei nicht nur die historische Präsenz dieser Objekte, sondern auch den heutigen Umgang damit, etwa: Welche Rolle spielen solche Relikte in der politischen Debatte und Erinnerungskultur Südtirols?“

Auch in Südtiroler Haushalten waren Führerbilder und andere NS-Devotionalien weit verbreitet. Fanatische Hitleranhänger haben das Kreuz im Herrgottswinkel abgehängt und mit einem Hitlerbild ersetzt. Was weiß man über die Verbreitung privater Nazi-Reliquien in Südtirol?

Natürlich gab es wie in vielen anderen deutschsprachigen Regionen es auch in Südtirol eine erhebliche Verbreitung von NS-Devotionalien in Privathaushalten. Besonders in jenen Familien, die sich während der Option 1939 für das Deutsche Reich entschieden hatten oder sich mit der NS-Ideologie identifizierten, wurden NS-Devotionalien aufbewahrt. Die Ersetzung des Herrgottswinkels durch Hitler-Bilder war sicherlich ein Extremfall, der jedoch die propagandistische Durchdringung des Privaten verdeutlicht. Nach 1945 verschwanden viele dieser Objekte aus dem öffentlichen Raum, blieben aber oft in Kellern, Dachböden oder Vitrinen erhalten.

Entsorgen,  aufbewahren, verkaufen – Gibt es Hinweise, wie die Südtiroler mit den NS-Überbleibseln umgehen?

Viele NS-Relikte wurden nach dem Krieg bewusst entsorgt, versteckt oder umgenutzt. Andere behielten sie als Zeitzeugnisse ander als Objekte persönlicher Erinnerung, andere verkauften sie. Die gesellschaftliche Haltung gegenüber diesen Objekten ist dabei gespalten: Während Historiker:innen und Museen betonen, dass solche Relikte zur kritischen Auseinandersetzung genutzt werden sollten, gibt es nach wie vor eine unkritische oder gar verherrlichende Faszination in bestimmten Milieus.

Wenig bis nichts weiß man über den faschistischen Reliquienkult in Südtirol. Ist das Thema erforscht oder interessiert das niemanden?

Der Umgang mit faschistischen Symbolen und Relikten in Südtirol ist weitaus weniger erforscht als der mit NS-Objekten. Das hat sicherlich mehrere Gründe: Zum einen wurde der Faschismus in Südtirol lange Zeit vorrangig aus der Perspektive der italienischen Unterdrückung der deutschsprachigen Bevölkerung betrachtet, wodurch weniger Aufmerksamkeit auf mögliche Anhänger:innen oder Sammler:innen faschistischer Relikte gelenkt wurde. Erst in den letzten Jahren gibt es ein wachsendes Interesse an diesem Thema, insbesondere in der Forschung zu faschistischen Monumenten und Symbolen im öffentlichen Raum.

Sind der Besitz und der Handel mit nazistischen oder faschistischen Objekten in Italien strafrechtlich geregelt?

Die Gesetzgebung in Italien ist im Vergleich zu Deutschland und Österreich weniger streng, wenn es um den Umgang mit NS- und faschistischen Symbolen geht. Zwar existieren Gesetze, die die Verherrlichung des Faschismus unter Strafe stellen, der Handel mit NS- und faschistischen Devotionalien bewegt sich allerdings in einer rechtlichen Grauzone. In den letzten Jahren gab es zwar einige Versuche, die Gesetzgebung in diesem Bereich zu verschärfen, doch eine umfassende strafrechtliche Regelung fehlt bislang.

Interview: Heinrich Schwazer

 

Zur Person

Sandra Mutschlechner ist seit 2020 im Südtiroler Landesmuseum Festung Franzensfeste in der Öffentlichkeitsarbeit, Kuratierung und Projektarbeit tätig.  Sie studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck.

Stefan Benedik leitet am Haus der Geschichte Österreich die Abteilung Public History (Kuratieren, Sammeln, Konservieren). Er studierte Geschichte und Kulturanthropologie in Graz und Prag, und war an den Universitäten in Graz, Toronto und Budapest tätig. Er ist Mitherausgeber der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften.

Die Ausstellung

Die Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ ist vom Wiener Museum „Haus der Geschichte Österreich“ (hdgö), dessen Direktorin Monika Sommer Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Festung Franzensfeste ist, übernommen worden. In der Festung Franzensfeste wird die Ausstellung um die regionale Perspektive „Hitler entsorgen – und Mussolini gleich mit“ erweitert.

Bis 9. November. www.franzensfeste.info

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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