Das 98-Prozent-Plebiszit
Mit welchen Forderungen Alessandro Urzì auf Granit biss. Und warum sich Dieter Stegers Schulterschluss mit den Rechten für Südtirol bezahlt machen könnte.
Von Matthias Kofler
Dass Arno Kompatscher und sein Team grünes Licht für die Autonomiereform erhalten würden, war absehbar. Dass es aber satte 98,37 Prozent Zustimmung sein würden, überraschte selbst eingefleischte Parteigänger. Auf der außerordentlichen Landesversammlung in Vahrn stimmten gerade einmal fünf Delegierte gegen den Vorschlag – wer genau, bleibt wegen der geheimen Abstimmung offen. Öffentlich Nein sagte einzig Altmandatar Franz Pahl, während Oskar Peterlini und Luis Durnwalder leise Bedenken anmeldeten. Stimmrecht hatten die Altvorderen freilich keines. Der Rest lief nach Drehbuch. Manche sprachen von einer Show für Obmann Dieter Steger – auch wenn der eigentliche Architekt der Reform Landeshauptmann Arno Kompatscher ist.
Steger zeigte sich nach der Abstimmung euphorisch: „Ich freue mich nicht nur über das Ergebnis, sondern über die Stimmung. Die Parteibasis trägt unseren Weg mit – besonders viele junge Leute bringen neuen Drive hinein. Der Wert der Autonomie liegt darin, dass sie von allen Seiten mitgetragen wird und niemanden überfordert. In einer Zeit voller Konflikte ist Konsens wichtiger denn je.“ Etwas nüchterner bewertet Senator Meinhard Durnwalder die Lage: „Es herrschte eine recht positive Stimmung – aber vor uns liegt ein sportliches Programm.“ Der Pusterer war federführend an den zweieinhalb Jahre dauernden Verhandlungen mit der Regierung Meloni beteiligt und kennt die Hürden des weiteren Fahrplans. Der Text muss in beiden
Parlamentskammern zweimal behandelt werden, mit zwei Monaten Abstand dazwischen. Bei der zweiten Lesung ist eine absolute Mehrheit erforderlich – keine Selbstverständlichkeit. Ziel ist es, das Gesetz bis Ende 2026 unter Dach und Fach zu bringen. Gleichzeitig hängen in Rom andere Großbaustellen wie der „Premierato“, die differenzierte Autonomie oder die Justizreform in der Warteschleife. „Die Legislatur ist verkürzt, weil die letzten Wahlen coronabedingt im Herbst stattfanden – regulär wird in Italien im Frühjahr gewählt. Deshalb ist mit Neuwahlen im Frühjahr 2027 zu rechnen“, gibt Durnwalder zu bedenken. Der offizielle Gesetzestext wurde gestern vom Ministerrat an Südtirol und Trentino zur Stellungnahme übermittelt. Zwar kursierte zuvor ein Entwurf – doch der finale Wortlaut wurde wohl bewusst erst kurz vor der SVP-Versammlung am Samstag freigegeben, um kritische Stimmen im Vorfeld kleinzuhalten.
Sobald Landtag und Regionalrat ihre Gutachten abgegeben haben, will die Regierung Ende Juni den definitiven Text beschließen. Die erste Lesung im Parlament dürfte nach der Sommerpause starten. Im Idealfall wird der Text nach der ersten Lesung „blockiert“, damit nicht sechs Lesungen durchlaufen werden müssen. Steger und Durnwalder setzen nun auf gezielte Lobbyarbeit – insbesondere bei den italienischen Rechten. „Der gute Draht nach Rom zahlt sich aus“, betont Durnwalder mit Verweis auf seine persönlichen Kontakte. Einige Zugeständnisse im Gesetzestext sollen der italienischen Seite entgegenkommen – und zugleich verhindern, dass sich andere Sonderautonomien querlegen. Das ist entscheidend: Bei der zweiten Lesung braucht es die absolute Mehrheit.
Große Änderungen sind laut Durnwalder nicht mehr möglich: „Der Text ist das Ergebnis langer Verhandlungen. Änderungen können sich höchstens aus den Stellungnahmen ergeben – und auch nur in Nuancen. Neue Kompetenzen hinzuzufügen oder ganze Passagen zu streichen, steht nicht mehr zur Debatte.“ Von Beginn an sei klar gewesen, dass es um die Wiederherstellung verlorener Zuständigkeiten gehe. Dazu kommen neue Bereiche wie der Umweltschutz. Andere heikle Themen wie Finanzautonomie, Ortspolizei oder Bildungswesenwurden bewusst ausgeklammert – zu komplex, zu riskant, nicht Teil der damaligen Vereinbarung, die Philipp Achammer mit Rom ausgehandelt hatte. Nicht ganz durchsetzen konnte sich die SVP bei der Streichung der „nationalen Interessen“ als Schranke. Auch beim Einvernehmen mit dem Staat musste man Abstriche machen. Dennoch spricht Steger von einer „starken Klausel“: „Künftig darf das Autonomieniveau nicht ohne Einvernehmen mit dem Land abgesenkt werden. Dafür haben wir bis zuletzt gezittert.“
Der Versuch, die Ladenöffnungszeiten explizit als Landeskompetenz zu verankern, scheiterte zwar – doch laut SVP-Delegation ist das Thema durch die Exklusivkompetenz im Bereich Handel bereits abgedeckt. Eine entsprechende Durchführungsbestimmung sei in Ausarbeitung. In Abstimmung mit den Stakeholdern soll künftig geregelt werden, welche Geschäfte sonntags offenhalten dürfen.
Abgewiesen wurden auch mehrere Vorschläge von Alessandro Urzì, die dieser zuletzt auf den Tisch gelegt hatte. Etwa die Forderung, den italienischen Sprachgruppen in Südtirol einen eigenen Staatsrat zu garantieren – was rechtlich unsinnig wäre, da die Italiener bereits auf nationaler Ebene vertreten sind. Brisanter noch: Urzì wollte, dass Beamte künftig mündlich in jeder Sprache Auskunft geben können – was eine Einschränkung des Rechts auf Gebrauch der Muttersprache darstellen würde. Die SVP lehnte das entschieden ab. Für Steger ist klar: Die Reform sei kein Endpunkt, sondern ein Auftakt: „Uns geht die Arbeit nicht aus – mit Blick auf neue Herausforderungen wie die Digitalisierung wird die Autonomie weiterentwickelt werden müssen.“ Auch Durnwalder sieht die strategische Allianz mit Rom als echten Hebel: Allein in dieser Legislatur habe man bereits acht
Durchführungsbestimmungen durchgebracht, fünf weitere lägen dem Ministerrat vor – ganz ohne Regierungsvereinbarung und ohne als Zünglein an der Waage im Parlament aufzutreten. Mit einem Seitenhieb kontert Steger all jene, die der SVP taktisches Wahlkalkül unterstellen: „Niemand hat mit mir über die Gemeindewahlen gesprochen. Es gibt keine Vereinbarung. Die Herangehensweise war seriös. Aber klar: Jeder Tag früher hilft uns, die Reform rechtzeitig in trockene Tücher zu bringen.“
Kommentare (9)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.