Operation Altersheim
Über ein halbes Dutzend hochqualifizierte Ärzte verlassen in diesen Wochen unfreiwillig die Marienklinik, darunter der Sanitäts- und der Pflegedirektor. Damit dürfte das Ende der renommierten Bozner Privatklinik nahen.
von Christoph Franceschini
Am 27. März 2025 verschickt die Marienklinik voller Stolz eine Pressemitteilung. In der Aussendung steht zu lesen: „Ein Meilenstein in der plastisch-ästhetischen Chirurgie: In der
Marienklinik in Bozen wurde heute erstmals auf italienischem Staatsgebiet ein Eingriff mit
der sogenannten Minimal Invasive Augmentation (kurz: MIA) durchgeführt. Verantwortlich
für diesen innovativen chirurgischen Eingriff ist der Plastische Chirurg Dr. Lorenz Larcher, der bereits im Vorfeld als einer der ersten Fachärzte Italiens für diese Technik zertifiziert wurde.“
Was in der Aussendung nicht steht: Genau vier Tage später wird dem hier hochgelobten Arzt von der Leitung der Marienklinik völlig überraschend und unvorbereitet die Kündigung seines Vertrages serviert. Lorenz Lacher wird nach einer dreimonatigen Kündigungsfrist spätestens am 30. Juni seinen letzten Arbeitstag in der Bozner Privatklinik absolvieren. Und er ist nicht der Einzige.
Eine noch absurdere Situation erlebt eine bekannte Südtiroler Gynäkologin. Sie hat einen Arbeitsvertrag mit der Marienklinik unterzeichnet. Aber noch bevor sie ihren ersten Arbeitstag absolvieren kann, hat auch sie jetzt die Kündigung erhalten.
Dabei sind das nur zwei konkrete Fälle eines personellen Aderlasses in der Marienklinik, der über ein halbes Dutzend hochkarätige Fachärzte und Primare betrifft. Und den Fortbestand der modernen Privatklinik ernsthaft in Frage stellt.
Denn mit dem 30. April verlässt auch jenes Duo das Bozner Traditionshaus, das die Marienklinik in den vergangenen Jahren operativ geleitet und entwickelt hat: Sanitätsdirektor Hannes Mutschlechner und Pflegedirektor Hannes Plank. Mit dem Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin Mutschlechner und dem Pflegedienstleister Plank verliert die Marienklinik über Nacht den wichtigsten Teil ihres vierköpfigen Führungsteams.
Dabei ist das Ganze eine Entwicklung, die die General- und Verwaltungsdirektion sowie die Trägergesellschaft der Marienklinik bewusst herbeigeführt haben.
Seit dem 1. Jänner 2022 wird die Marienklinik von der „Marien gemeinnützige GmbH“ geführt. Das Unternehmen gehört zu 10 Prozent den ursprünglichen Besitzern der Marienklink, den Brixner Tertiarschwestern, zu 20 Prozent der kirchlichen „Stiftung Elisabeth“ und zu 70 Prozent der „Liebenau Gemeinnützige GmbH“, einer Italien-Tochter des international tätigen deutschen Sozialkonzerns „Liebenau Stiftung“.
Im Verwaltungsrat sitzen Christian Klotzner als Präsident für die Elisabeth-Stiftung, der ehemalige Caritasdirektor Heiner Schweigkofler als Vizepräsident für die „Liebenau Stiftung“ und Schwester Elisabeth Tschurtschenthaler für die Terziarschwestern.
Die Stiftung Elisabeth betreibt in Südtirol weit über halbes Dutzend Altersheime und sie macht am „Grieser Hof“ in Bozen vor, wie man eine traditionelle und funktionierende Privatklinik über Nacht in ein Seniorenheim umwandelt. Da auch der Gesellschaftszweck der „Marien gemeinnützige GmbH“ die „Führung von Altersheimen“ ist, befürchteten viele bereits bei der Übernahme, dass die Marienklinik schon bald zu einem weiterem Bozner Seniorenheim wird.
Die neue Führung versucht, diese Bedenken bewusst zu zerstreuen und anfänglich schaut es auch so aus, als würde die Marienklinik neu aufblühen. Mit dem jungen Pusterer Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin Hannes Mutschlechner wird ein neuer Sanitätsdirektor ernannt. Mutschlechner beginnt zusammen mit einer ganzen Reihe junger, aber auch arrivierter Ärzte eine klare Vision umzusetzen. Man will die Marienklinik wieder zur führenden Privatklinik in Südtirol machen. Dazu baut man nicht nur mit viel öffentlichem Geld den Operationstrakt um und schließt mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb in mehreren Bereichen – wie der Augenheilkunde oder der Orthopadie – Konventionen ab, sondern man baut auch neue, wirtschaftlich durchaus lukrative Abteilungen aus und auf. Heute bietet die Marienklinik eine umfassende medizinischer Versorgung in 24 Fachbereichen an.
Das Duo Mutschlechner/Plank wirbt aus Überzeugung immer wieder neue Ärzte und Ärztinnen an. Viele davon kommen vom Südtiroler Sanitätsbetrieb, wo sie eine sichere öffentliche Stelle aufgeben. So wechselt etwa erst im August 2024 der ärztliche Leiter der Orthopädie am Krankenhaus Schlanders, Lukas Johannes Valtiner, vom Sanitätsbetrieb in die Marienklinik. Besonders bitter: Auch Valtiner gehört zu jenen, denen jetzt die Kündigung in Haus geflattert ist.
Mutschlechner & Co. setzen medizinisch auf den Ausbau der Chirurgie und des OP-Bereichs. Dazu gehört auch das Engagement des Facharztes für Plastische-, Ästhetische- und Wiederherstellungschirurgie Lorenz Larcher. Er baut in der vergangenen Jahre in der Marienklinik eine Abteilung für plastische Chirurgie auf, in der auch Brustvergrößerungen gemacht werden.
Gleichzeitig investiert man viel Geld in den OP-Bereich. Allein in den vergangenen Jahren gut eine Million Euro. Es ist ein Weg, der durchaus von Erfolgen gekrönt ist. So hat der Operationsbereich nach Informationen der TAGESZEITUNG etwa im Jahr 2024 alle ihm von der Geschäftsleitung gestellte Budgetziele erreicht. Der Umsatz der Klinik liegt bei 14 Millionen Euro (Bilanz 2023).
Umso unverständlicher und überraschender ist der Tsunami, der jetzt auf die Belegschaft hereinbricht
Ausgangspunkt ist ein seit längerem anhaltender Konflikt zwischen der Klinikleitung um Christian Klotzner und dem Duo Mutschlechner/Plank. Der Hintergrund: Vor allem Sanitätsdirektor Hannes Mutschlechner forderte immer wieder eine professionelle Handhabung der Sicherheitsstandards in der Klinik. „Er ist einer, der sich akribisch an die Gesetze hält, auch weil er die Verantwortung dafür trägt“, sagt ein Kollege. Doch Mutschlechner stieß hier auf taube Ohren. Getan wurde nichts. Einer, der lange in der Marienklinik gearbeitet hat, fällt ein vernichtendes Urteil: „Die Generaldirektion versteht einfach nicht, wie eine moderne Klinik funktionieren muss“.
Anfang des Jahres macht das Duo Mutschlechner/Plank der Klinikleitung deshalb ein klares Angebot: Man werde sich in Zukunft auch um diese Bereiche kümmern, verlange dafür aber eine Gehaltserhöhung. Es ist eine einfache Gleichung: Mehr Verantwortung, mehr Geld.
Von der „Marien gemeinnützige GmbH“ kommt aber ein energisches Nein zur Antwort.
Ende Februar kommt es in einer Aussprache zwischen Christian Klotzner, Hannes Mutschlechner und Hannes Plank zum Eklat. Wenig später reichen der Sanitätsdirektor und der Pflegedirektor ihre Kündigung ein. Dass die beiden Fachleute nach Informationen der TAGESZEITUNG bereits Anfang Mai ausgerechnet zum größten Konkurrenten, der Bozner Cityklinik, wechseln, ist nur mehr die Sauerkirsche auf dieser Überraschungstorte.
Angeblich ist es die deutsche Liebenau Stiftung, die hier die Handbremse gezogen hat. Aber es passiert noch deutlich mehr. Denn die Klinikleitung nutzt dieses Zerwürfnis, um die in den vergangenen Jahren erfolgte strategische Neuausrichtung wieder rückgängig zu machen. So will man die „große Chirurgie“ jetzt aufgeben. Der offizielle Grund: Die Gefahr sei zu groß. „Das ist völliger Humbug und nichts als eine faule Ausrede“, sagt ein Chirurg dazu.
Nach dieser Schubumkehr müssen aber nicht nur ein halbes Dutzend Ärzte die Marienklinik in den kommenden drei Monaten unfreiwillig verlassen. Das Privatkrankenhaus hat insgesamt 147 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Auch hier will die Führung jetzt abbauen. So hat man langjährige OP-Schwestern bereits gefragt, ob sie in Zukunft als Krankenschwestern in den Abteilungen arbeiten würden; dem Verwaltungspersonal wurden neue Stellen etwa in der Bar am Grieser Hof oder im Seniorenwohnheim Freyenthurn in Mühlbach angeboten.
Am 25. März 2025 kommt es zu einer sehr bewegten und kontroversen Aussprache zwischen Präsident Christian Klotzner, Klinikleiter Alexander D’Andrea und rund 25 Ärzten. Klotzner informiert die Belegschaft dabei über die Neuausrichtung und die geplanten Kündigungen. In der Sitzung gehen die Wogen hoch.
Um den Protest im Keim zu ersticken, verschickt die Klinikleitung bereits am nächsten Tag eine Pressemitteilung, in der man unter dem Titel „Marienklinik setzt künftig verstärkt auf Vorsorge, Diagnostik und Therapie“, die Hauruckaktion als bewusste Reorganisation verkaufen will. Man schwafelt jetzt von drei wesentlichen Säulen: ambulante Gesundheitsleistungen, Erweiterung der Vorsorge und Diagnostik und die Stärkung des stationären Bereichs und des Day-Surgery-Angebots für kleinere chirurgische Eingriffe.
In Wirklichkeit hat man den Weg in Richtung Seniorenheim endgültig eingeschlagen. Es ist auch das Kerngeschäft, in der die Liebenau- und die Elisabeth Stiftung tätig sind. Dass der Abbau in der Marienklinik dabei graduell erfolgen muss, liegt auch daran, dass die Privatklinik in verschiedenen Bereichen noch bis Ende 2025 Konventionen mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb laufen hat und deshalb die versprochenen Leistungen erbringen muss. Zudem sind verschiedene OP-Bereiche, die durch öffentliche Gelder (mit)finanziert wurden, noch gesetzlich zweckbestimmt.
Aber auch der personelle Aderlass könnte nicht so reibungslos und diskret verlaufen, wie man es sich im Schatten der Mutter Gottes erhofft. Nach Informationen der TAGESZEITUNG wollen einige Ärzte und Mitarbeiterinnen jetzt die Gewerkschaften mit dem Fall Marienklinik befassen.
Kommentare (7)
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