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„Ich sehe mich als Sprachrohr“

Calle Fuhr: Was DOSSIER geschafft hat, ist einmalig. Und eine große Geschichte der Hoffnung und Selbstermächtigung. (Foto: Antoine de Saint Phalle)

Unglaubliches hat die kleine Wiener Investigativplattform DOSSIER über Österreichs größten Konzern, OMV, aufgedeckt:  Greenwashing, Sponsoringverträge mit Putins Lieblings-Fußballclub, Überwachung von Klimaaktivist*innen, Luxusleben. In seinem Stück „Die Redaktion“ erzählt Calle Fuhr von dieser Recherche.

Tageszeitung: Herr Fuhr, in Ihrem 2021 im Wiener Volkstheater aufgeführten Stück „Die Redaktion“ geht es um die Machenschaften des staatlichen österreichischen Öl-, Gas und Chemiekonzern OMV. Was genau erzählen Sie auf der Bühne?

Calle Fuhr: Wir erzählen von den bahnbrechenden DOSSIER Recherchen zur OMV. Vor DOSSIER gab es kaum kritische Berichterstattung zu Österreichs größtem Konzern – das liegt auch an der Inseratenkorruption hierzulande. Da DOSSIER keine Inserate annimmt, konnten sie unabhängig berichten. Und was durch diese Recherchen alles passiert ist – von Klagen über Drohungen bis hin zum Rücktritt des CEOs – diese unglaubliche Geschichte erzählen wir.

Die OMV hat über gezieltes Inserieren in den auflagenstärksten Zeitungen Österreichs kritische Berichterstattung verhindert, während die kleine Wiener Investigativplattform DOSSIER keine Werbung annimmt. Hört sich verdächtig nach Korruption an.

Dass Inserate in Österreich ein riesiges Problem sind, stimmt. Wobei ich es etwas komplexer finde als von direkter Verhinderung zu sprechen. Allein die Tatsache, dass zum Beispiel durch einen kritischen Beitrag  zur OMV ein Inserat – und damit sehr viel Geld – einer Zeitung entzogen werden könnte, das ist bereits ein Hindernis. Da findet also schon im Vorhinein eine Form von Selbstzensur statt – bewusst oder unbewusst.

Mit den Recherchen von DOSSIER und Ihrem Theaterstück wurde ein mächtiger Firmenboss zum Rücktritt gezwungen. Das entspricht so gar nicht dem Klischee vom machtlosen Theater.

Was DOSSIER geschafft hat, ist einmalig. Und eine große Geschichte der Hoffnung und Selbstermächtigung. Diese Geschichte weiter nach außen zu tragen, sie bekannter zu machen, das war mein persönlicher Auftrag für „Die Redaktion“.

Wie gehen Sie auf Ihrem Weg vom Investigativ-Journalismus zum Investigativ-Theater konkret vor? Suchen Sie  eine spannende Recherche und bringen diese dann in eine bühnentaugliche Form?

Da gibt es zum Glück keine feste Regel. Bei der OMV war es so, dass ich bereits sehr nahe mitbekommen habe, was die Recherchen bei DOSSIER ausgelöst haben – im Guten wie im Schlechten. Dadurch hatte ich bereits einen großen Wissensvorsprung und habe mich dann dazu entschieden diese Geschichte auf die Bühne zu bringen. Darauf folgten dann viele Klausurtage mit der DOSSIER Redaktion und insbesondere mit Ashwien Sankholkar, der nicht müde wurde, mir diesen Komplex solange zu erklären, bis auch ich ihn verstanden habe.

Investigativer Journalismus will aufklären. Sehen Sie Ihre Rolle im Theater auch als Aufklärer?

Ich sehe mich in erster Linie als Sprachrohr. Durch die Bühne habe ich die Möglichkeit Geschichten eine größere Aufmerksamkeit zu bieten.  Das Storytelling steht dabei für mich im Vordergrund.

Wirtschaftsthemen scheinen erst mal überhaupt nicht ins Theater zu passen. Wie schafft man es, so komplexe Dinge einem Theaterpublikum verständlich zu machen?

In den letzten Jahren habe ich mir einige Wirtschafts-Brocken vorgenommen. Und der springende Punkt bei den Auseinandersetzungen mit Deutschlands Fiskalpolitik, der OMV oder René Benko war jedes Mal derselbe: Wirtschaftsthemen werden komplexer dargestellt als sie sind. Wenn man es geschafft hat auf den Kern zu kommen, ist es plötzlich recht einfach darstellbar. Und genau darin sehe ich einen weiteren Aspekt meiner Arbeit: Dass ich mich durch den Fremdworte-Dschungel durchschlage, um es am Ende in einer alltagstauglichen Sprache herunterzubrechen.

Auch über den hierzulande bestens bekannten René Benko haben Sie ein Stück gemacht. Interessiert Sie die schillernde Figur, die es aus dem Nichts zum Immobilien-Tycoon gebracht hat oder eher die Mechanismen, wie das möglich war?

An René Benko persönlich habe ich wenig Interesse. Sein Umfeld ist für mich viel spannender. Benko wird jetzt gerade auch einfach als Sündenbock benutzt, aber es gibt einen Haufen von Menschen, die tatkräftig mitgewirkt haben und sich jetzt im Nachhinein als Opfer stilisieren. Dieses Umfeld genauer zu betrachten und sie mit in die Verantwortung zu ziehen halte ich für deutlich sinnvoller als auf einer Einzelperson herumzuhacken.

Investigative Journalisten werden häufig mit Klagen zum Schweigen gebracht.  Wurden Sie auch schon bedroht?

Ich habe da schon ein paar Mails bekommen, ja. So etwas geht aber in der Regel nach hinten los, denn ich nutze Drohgebährden und Anwaltsschreiben als Promomaterial oder baue sie gleich mit in den Abend ein. Während gewisse Menschen also darüber versuchen mich einzuschüchtern und sich aus der Affäre zu ziehen, kommen sie so nur noch prominenter vor. Das macht mir großen Spaß.

Interview: Heinrich Schwazer

Die Redaktion

Das investigative Magazin DOSSIER ist „Die Redaktion“. Vier Schauspieler*innen – darunter Gerti Drassl – schlüpfen in die Rollen von vier zentralen Redakteuren und machen eine wichtige Recherche zum Bühnenerlebnis.

Die Redaktion: Ein augenöffnendes Stück über Journalismus – und gleichzeitig ein Thriller über fragwürdige Vorgänge in den Chefetagen der österreichischen Politik und Wirtschaft (Foto: Marcel Urlaub)

Die OMV, der größte Konzern Österreichs, ist ein Erdöl-, Erdgas- und Petrochemiekonzern. Seit 2020 recherchieren die Investigativ-Journalist*innen von DOSSIER zur OMV und decken Unglaubliches auf: Postenschacher, Greenwashing, und geheime Sponsoringverträge mit Putins Lieblings-Fußballclub. Es geht um die Überwachung von Klimaaktivist*innen von Greenpeace und Fridays For Future, sowie der Mitarbeiter*innen der OMV, um die teuerste Firmenübernahme der österreichischen Wirtschaftsgeschichte und um sehr viel Steuergeld, das das Luxusleben des CEOs Rainer Seele finanziert hat. Und nicht zuletzt geht es um die Wirkkraft und Zukunft von unabhängigem Journalismus. Calle Fuhr erzählt von dieser Recherche, von Hintergrundgesprächen in verruchten Wiener Beisln, offenen Schlagabtäuschen zwischen DOSSIER und der OMV, von Drohungen, Klagen und dem Ringen um Transparenz. Er kreierte ein augenöffnendes Stück über Journalismus – und gleichzeitig einen Thriller über fragwürdige Vorgänge in den Chefetagen der österreichischen Politik und Wirtschaft.

Die Aufführungen finden am 9. April im Kulturhaus in Schlanders und am 10. April im KiMM in Meran/Untermais statt. Vorstellungsbeginn ist jeweils um 19.30 Uhr; die kostenlose Einführung beginnt um 19 Uhr. Informationen und Karten unter www.kulturinstitut.org oder im Südtiroler Kulturinstitut unter 0471 313800.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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