Hitler entsorgen
Was tun mit den Überbleibseln des Nationalsozialismus und Faschismus? Sollen sie entsorgt werden oder gehören sie ins Museum?
Ist es vertretbar, sie auf Flohmärkten oder im Internet zu verkaufen?
Und wie beeinflussen solche Objekte unsere Erinnerungskultur?
Diesen Fragen geht eine Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich in Wien in der Festung Franzensfeste nach, erweitert um eine regionale Perspektive.
Viele Menschen stoßen zufällig auf Relikte aus dem Faschismus und Nationalsozialismus: in Kellern, auf Dachböden oder in Nachlässen von Verwandten. Manche bewahren sie auf, andere wollen sie loswerden, wieder andere handeln damit – oft im Verborgenen. Doch was bedeuten diese Dinge heute? Sind sie bloße Zeugnisse der Vergangenheit, gefährliche Symbole oder Instrumente der Aufarbeitung?
Diesem Thema widmet sich die heute in der Festung Franzensfeste eröffnete Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“. Bronzene Hitler-Büsten, die 2017 bei Sanierungsarbeiten im Keller des österreichischen Parlaments gefunden wurden, ein Wehrmachtszelt, in dem später Kinder spielten, und viele andere Objekte erzählen nicht nur die Geschichte des Nationalsozialismus, sondern auch, wie sich der Umgang mit ihnen über die Jahrzehnte verändert hat.
Regionale Perspektive
Nicht fehlen durfte in der Festung Franzensfeste – dem zukünftigen musealen Zentrum für Zeitgeschichte Südtirols– der Bezug zur lokalen Geschichte: Südtirol befand sich in einer Sondersituation, es war einem doppelten Einfluss ausgesetzt: zuerst der faschistischen Italianisierungspolitik, dann der nationalsozialistischen Herrschaft. Gezeigt werden daher Objekte (Leihgaben aus Südtiroler Museen, Archiven und Privatsammlungen), historische Zeugnisse, die das Erbe der beiden Diktaturen dokumentieren, und zugleich hinterfragen: Wie gehen wir mit diesen Spuren heute um? Welche Bedeutung haben sie für unser kollektives Gedächtnis? Die Frage nach dem Umgang mit den Relikten autoritärer Systeme ist keine rein historische, sie berührt die Grundwerte unserer Gesellschaft und nimmt uns in die Verantwortung, aus der Geschichte zu lernen.
Zu sehen sind beispielsweise Bücher aus der Bibliothek der 1939 in Bozen eröffneten Gioventù italiana del littorio, einer Organisation der faschistischen Partei zur militärischen und ideologischen Schulung der Jugend. Nach der Auflösung der GIL sammelte ihre Nachfolgeorganisation mehrere hundert Bücher, verteilte einen Teil an Ferienlager und Schulvereine und lagerte die ideologisch geprägten Werke ein. Im Jahr 2000 wurden die Bestände dem Landesarchiv Bozen übergeben.
Ausgestellt sind auch ein Gedenkbild für die Soldaten des Abessinienkrieges aus der Sammlung des Südtiroler Landesmuseums für Volkskunde, Schulhefte aus demHoamet-Tramin Museum und dem Museum Ladin, eine Hitler-Büste aus der Sammlung des Landesmuseums Schloss Tirol, eine Mussolini-Büste aus dem Stadtmuseum Bozen sowie das Fotoalbum mit Dokumenten von Norbert Mumelter aus Bozen, einem der Führer der pro-nationalsozialistischen Geheimorganisation Völkischer Kampfring Südtirol, das mit seiner Option für das Reich im November 1939 beginnt und die Ereignisse seiner Übersiedlung nach Deutschland bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht 1941 schildert. Präsentiert sind weiters ein aus einem Wehrmachtsfassdeckel geschnittenes Gerät zur Umleitung von Waalwasser auf Wiesen und Felder sowie ein aus einem Wehrmachtshelm umgebauter Jaucheschöpfer.
Ein interaktiver Ausstellungsteil lädt darüber hinaus dazu ein, sich selbst mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man mit Objekten aus Diktaturen umgehen würde. An „Entscheidungstischen“ kann abgestimmt werden: Bewahren, vernichten, verkaufen oder museal aufarbeiten?
Bei der Eröffnung mit dabei waren neben Museumsdirektor Emanuel Valentin folgende Fachleute, die sich an einer Podiumsdiskussion beteiligten: der Ausstellungskurator und Mitarbeiter des Hauses der Geschichte Österreich Stefan Benedik, der Historiker und Co-Kurator Andrea di Michele, der Historiker und ehemalige Landtagsabgeordnete Hans Heiss, die Historikerin Eva Pfanzelter und die Künstlerin Esther Strauß. Die Moderation übernahm die Projektleiterin der Ausstellung, Co-Kuratorin und Mitarbeiterin der Festung Franzensfeste Sandra Mutschlechner. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Peter Burchia.
Die Ausstellung ist bis 9. November 2025 zu sehen.
Willst du es wissen?
Können wir die Opfer des Nationalsozialismus ehren, wenn wir die Täterschaft weiterhin schützen? Diese Frage stellt die Tiroler Performance- und Sprachkünstlerin Esther Strauß im Rahmen der Ausstellung mit ihrer Installation „Willst du es wissen? Das Bundesarchiv Berlin verwahrt neben 12,7 Millionen NSDAP-Mitgliederkarteien auch Personalakten von SA- und SS-Mitgliedern. Wer die Mitgliedschaft von Verwandten überprüfen lassen möchte, braucht dazu nicht mehr als deren Namen und Geburtsdaten. Mit ihrer Installation hält die Künstlerin das Formular für alle bereit, die einen entsprechenden Antrag stellen wollen.
Mit den Relikten von Faschismus und Nationalsozialismus, der Erinnerungskultur und dem Bezug zur Gegenwart beschäftigen sich auch die Arbeiten der italienischen Performancekünstlerin Rosella Biscotti und der Südtiroler Sprachkünstlerin und Slammerin Lene Morgenstern.
Das sagen die Kuratierenden
Andrea di Michele: „Durch die Objekte regt die Ausstellung zum Nachdenken über das Wesen des Faschismus an, über seine Fähigkeit, den Alltag eines jeden zu prägen. Aber die Objekte sind auch etwas sehr Konkretes, das dem Lauf der Zeit und dem Zusammenbruch der Regime widersteht, und durch sie ist es möglich, über unser Verhältnis zu dieser Vergangenheit nachzudenken, das manchmal von Unkenntnis und Unterschätzung geprägt ist. Jedes Objekt ist mit einer konkreten Geschichte von Individuen und Familien verbunden, die in der Zeit der Diktaturen beginnt und bis in die Gegenwart reicht, so wie unsere Beziehung zu dem, was Faschismus war, nie gelöst wurde.“
Sandra Mutschlechner: „Die Ausstellung lädt dazu ein, sich mit den Spuren des Faschismus und der NS-Ideologie auseinanderzusetzen und kritisch zu reflektieren, welche Rolle Erinnerung heute in unserer Gesellschaft spielt. ‚Nie wieder‘ darf kein leeres Versprechen sein, sondern eine immerwährende Verpflichtung, die nur erfüllt werden kann, wenn wir uns unserer Geschichte stellen und uns ihrer Lehren bewusst bleiben“.
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