„Riskieren den Dritten Weltkrieg“
Der ehemalige Politiker Sepp Kusstatscher über seinen Aufruf zum Frieden, das Wettrüsten in Europa, die einseitige Berichterstattung, die Profite der Kriegsindustrie und das Schweigen der Südtiroler Parteien.
Tageszeitung Online: Herr Kusstatscher, ganz Europa rüstet derzeit mit großem Trara auf. In dieser Phase sind Friedensappelle alles andere als willkommen. Warum haben Sie zusammen mit drei Freunden jetzt diesen Aufruf lanciert?
Sepp Kusstatscher: Wir haben es uns vor einigen Jahren nicht vorstellen können, dass in Europa je wieder ein solcher Krieg existiert. Ich glaube, je mehr dieses Kriegsgetöse des Waffen- und Säbel-Rasselns um sich greift, desto wichtiger ist es, etwas dagegen zu tun. Es ist umso wichtiger, dass friedensbewusste, friedensorientierte, friedfertige Leute sich zu Wort melden. Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung, vor allem nicht eine Mehrheit der Mütter, je dafür stimmen würde, Waffen zu produzieren, aufzurüsten und einenKrieg zu riskieren. Also, es ist dringend notwendig, solche Aufrufe zu machen. Wir haben uns auch gesagt, dass wir zumindest nicht schweigen dürfen, sonst machen wir uns mitschuldig.
Ich höre schon das Gegenargument: Wer heute an Frieden glaubt, ist ein naiver, romantischer Träumer?
Wenn in den Medien nur Militärexperten zu Wort kommen und jene, die von Kriegen profitieren, also indirekt die ganze Waffen-Lobby, dann ist man natürlich naiv, wenn man anderer Meinung ist. Es gibt aber so viele Fachleute, die eine andere Meinung haben, aber in den Medien nicht vorkommen. Ich möchte hier etwa auf viele renommierte Friedensforscher verweisen, die medial absolut geschnitten werden. Hier wird bewusst einseitig berichtet und somit haben die meisten Menschen den Eindruck, es gebe nur kriegslüsterne Leute. Was mich dabei besonders entsetzt, ist die Tatsache, dass sogar die deutschen Grünen für die Aufrüstunggestimmt haben.
Kann man aber Leuten wie Vladimir Putin oder Donald Trump mit Frieden begegnen?
Man muss es tun. So einfache Friedensgesprächen sind sicher nicht zielführend. Aber man muss alles, was in der Diplomatie möglich ist, in die Hand nehmen. Zu glauben, dass wir weiterkommen, wenn wir diese beiden genannten Herren total verteufeln, das führt uns direkt in Aufrüstung und wir riskieren dann einen Krieg. Einen Dritten Weltkrieg.
Schaut man sich den Krieg in der Ukraine an und jenen in Gaza, so wird auch deutlich, wie unterschiedlich kriegerische Aggressionen bewertet werden?
Sicher sind die beiden Kriege in der Ukraine und in Gaza sehr unterschiedlich. Was aber beide Konflikte gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass es schlussendlich nationalistische Kriege sind, die geschürt wurden. Ich möchte an das erinnern, was Papst Franziskus sofort nach dem Einmarsch von Putin in die Ukraine gesagt hat: Er hat den Einmarsch und diesen völkerrechtswidrigen Kriegsbeginn in der Ukraine scharf verurteilt. Aber er hat auch gesagt: Vergessen wir nicht, auf die bellenden Hunde der NATO an den Grenzen Russlands zu schauen. Es wäre deshalb sehr wichtig, die Ursachen und warum es zu diesem Krieg gekommen ist, besser anzuschauen und zu analysieren. Dasselbe gilt für Gaza. Hier sind die Hintergründe in Israel noch komplexer. Aber eines ist sicher: Die ständige Unterdrückung und Demütigung der Palästinenser ist eine der Ursachen, dass es zu dieser Tragödie gekommen ist.
Kriegsverbrechen sind aber anscheinend nicht überall Kriegsverbrechen?
Das stimmt leider: Die starken Mächte sind weniger Kriegsverbrecher, als wenn ein Schwacher Krieg anfängt. Aber Kriegsverbrechen sind Verbrechen. Ganz gleich, wer sie ausführt. Punkt.
Die gesamte politische Entwicklung in Europa geht nach rechts. Nach rechts heißt auch mehr Militär und eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die man inzwischen auch in Italien ernsthaft diskutiert. Sind Sie hier nicht nur ein einsamer Rufer in der Wüste?
Nein, es sind viele, die rufen. Wir sind nicht allein. Aber was für diesen Zusammenhang auf jeden Fall zu bemerken ist: Viele, viele Leute fühlen sich durch diesen neoliberalen Kapitalismus und die Zunahme der Macht der digitalen Tech-Konzerne einfach ohnmächtig. Sie glauben jetzt, dass man diese Politik beenden kann, wenn man auf den Nationalismus setzt und rassistisch und national wird. Ich möchte das so formulieren: Hier will man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Aber wir kommen in Teufels Küche, wenn wir meinen, mit rechtsradikalen Parolen und vor allem mit Wettrüsten auch nur einen Schritt in Richtung Frieden weiterzukommen. Oder zu glauben, es würde dann auf diese Welt mehr Gerechtigkeit geben. In Wirklichkeit sind es vor allem die Aktionäre der Rüstungsindustrie, die ganz gewaltig verdienen und reich werden. Würden diese Aktionäre und deren Söhne an die Frontgeschickt werden, dann gäbe es sowieso keinen Krieg mehr.
Auch in der Südtiroler Politik gibt es keine politische Kraft, die aktiv und offensiv für den Frieden eintritt?
Ich wundere mich darüber sehr. Und das war auch der Grund, dass ich mit den drei politischen Freunden diesen Aufruf gemacht habe. Ich hoffe, dass wir damit imstande sind, ein bisschen auch die Diskussion hier anzufachen. Denn es ist notwendig, dass überall, nicht nur ganz oben darüber diskutiert wird. Die Leute müssen anfangen darüber nachzudenken, dass wir alle mitverantwortlich sind, wenn wir immer kriegslüsterner werden.
Interview: Christoph Franceschini
Kommentare (37)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.