Distanzen

„Le assaggiatrici“ gedreht in der Drususkaserne in Schlanders
Vorpremiere von Silvio Soldinis „Le assaggiatrici“. Der Filmclub zeigt noch „No Other Land“ diesen äußerst wichtigen Dokumentarfilm aus unserer Gegenwart.
Von Renate Mumelter
Es entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie, dass bei der Vorpremiere von Silvio Soldinis „Le Assaggiatrici“ Landesrat Galateo vor dem Film das Wort ergriff, um mitzuteilen, dass er keine Politiker möge, die reden, bevor ein Film läuft. Der FdI-Landesrat, der erst vor kurzem als fackeltragender Marschierer in den Reihen der Neofaschisten von Casapound in die Schlagzeilen geraten war ohne sich je dafür zu entschuldigen, erklärte dem geneigten Publikum, dass Hitlers Vorkosterinnen, ohne zu wollen zum Erhalt des Nazisystems beigetragen haben, und er plädierte für Meinungsfreiheit, welche auch immer er gemeint haben sollte.
Mit Mitteln der IDM verfilmte Silvio Soldini den Roman „Le assaggiatrici“ von Rosella Postorino. Darin geht es fiktiv um jene Frauen, die laut Aussagen der 95jährigen Margot Wölk dazu gezwungen waren, zwei Mal täglich zu essen, was der Führer serviert bekam, um so Giftanschläge zu vermeiden. Ob es solche Vorkosterinnen gab, ist umstritten. Auf der Suche von Quellen zeigt sich rasch, dass alles entweder ganz anders oder aber noch schlimmer war. Postorino hat trotzdem einen Roman draus gestrickt und eben dieser wurde zu einem Film mit jungen Frauen und SS-Soldaten.
Soldini drehte den Film in deutscher Sprache, viele der Szenen spielen in der Drususkaserne in Schlanders, in der Basis. Daher also die Südtiroler Vorpremiere.
Mit diesem Wochenende ist der Film in ganz Italien angelaufen, gesehen haben muss man/frau ihn nicht unbedingt. Soldini versteht zwar sein Handwerk, auch die Darstellenden, von denen viele bei der Premiere schweigend da waren, geben ihr Bestes. Die Musik ist allerdings aufdringlich und der Ton nicht ganz auf der Höhe. Der große kommerzielle Vorteil des Films ist, dass er ein Thema behandelt, das in einer Vergangenheit spielt, von der im Kino gern erzählt wird, weil’s inzwischen unverfänglich ist. Mit Geschichten über die Nazizeit ist man heutzutage immer auf der richtigen Seite, auch fördermäßig. Schwieriger ist es, aufs Jetzt zu schauen.
No Other Land
Ich empfehle nach wie vor einen Film, in dem es auch um ein diktatorisches Regime geht allerdings nicht vor über 80 Jahren sondern heute. Wie aktuell der Dokumentarfilm „No Other Land“ ist, macht die Tatsache deutlich, dass einer der Regisseure erst vor wenigen Tagen verletzt, verhaftet und verprügelt wurde. Hamdan Ballal heißt der Verhaftete, ein palästinensischer Filmemacher und Aktivist, der diesen Film gemeinsam mit Basel Adra und dem israelischen Journalisten Yuval Abraham sowie der israelischen Regisseurin Rachel Szor drehte. Er dokumentiert, wie kleine Dörfer südlich von Hebron im Westjordanland vom israelischen Militär systematisch niedergebaggert werden und wie die Menschen alles verlieren, was sie hatten, denn sie haben „no other land“. Nicht der Film ist grausam sondern das, was er zeigt, was er zeigen muss. Der Palästinenser Basel und der Israeli Yuval versuchen, die Auslöschung der Siedlungen durch das Filmen und durch Yuvals journalistische Arbeit aufzuhalten. Eine der Szenen, die richtig weh tun, ist jene, wo der gelbe Bagger kommt und vor den Augen der weinenden Kinder eine neu errichtete Grundschule dem Erdboden gleich macht. Dieses Vorgehen wird von der Armee damit begründet, dass auf dem Areal ein Truppenübungsplatz entstehen soll. Und es gibt noch Drastischeres.
„No Other Land“ bekam 2025 den Oscar für den besten Dokumentarfilm. Auf der Berlinale 2024 löste er Antisemitismus-Debatten aus, die sich als haltlos erwiesen. Yuval Abraham, Sohn von Holocaust-Überlebenden, wurde in Deutschland als Antisemit bezeichnet, weil er eine Feuerpause gefordert hatte, seine Eltern und Verwandten wurden in Israel aufgrund der Berichterstattung in Deutschland bedroht, schreibt „The Guardian“. Der Film ist nur noch heute und morgen im Filmclub zu sehen.
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