„Unsere Kühe sind keine Klimakiller“

Christine Bajohr und ihr Mann: Wir schaffen ein Fundament für eine Landwirtschaft, die sowohl klimaschützend als auch wirtschaftlich tragfähig ist.
Christine Bajohr ist Bergbäuerin im Oberallgäu. Die Pionierin für regenerative Landwirtschaft hat ein Weidesystem entwickelt, das die Bodengesundheit fördert und CO2 speichert. Am 20. März ist sie im Naturmuseum beim Werkstattgespräch „Über Wiesen und Weiden“ zu Gast.
Tageszeitung: Frau Bajohr, wie tragen Sie auf Ihrem Hof dazu bei, den Klimawandel aufzuhalten?
Christine Bajohr: Auf unserem KugelSüdhangHof im Oberallgäu setzen wir auf ein regeneratives Bewirtschaftungskonzept, das natürliche Prozesse unterstützt statt sie zu bekämpfen. Mit unserer Grauvieh-Herde praktizieren wir ein angepasstes Weidesystem, das die Bodengesundheit fördert und CO2 speichert. Mit der AERA Land gGmbH haben wir uns einen Wissens- und Handlungsraum geschaffen, der die Transformation der Landwirtschaft systematisch vorantreibt. Besonders stolz bin ich auf unser jüngstes Projekt: Als zukünftiger Koordinator des deutschen Living Labs im HORIZON-RIA-Projekt „GroundWork“ werden wir ab Herbst 2025 mit Partnern aus ganz Europa an der Verbesserung von Bodengesundheit und Ökosystemresilienz durch angepasste Weidesysteme arbeiten. Mit einem Gesamtbudget von 12 Millionen Euro und einer Laufzeit von fünf Jahren bietet dieses Projekt die Chance, regenerative Praktiken wissenschaftlich zu validieren und in verschiedenen europäischen Regionen zu etablieren.
Was ist eine regenerative Grünlandbewirtschaftung und welche Rolle spielen dabei die Kühe?
Regenerative Grünlandbewirtschaftung bedeutet, die natürlichen Ökosystemprozesse zu verstärken statt sie zu stören. Wir arbeiten mit der Natur zusammen, um gesunde, lebendige Böden aufzubauen. Das bedeutet konkret: eine angepasste Beweidungsintensität, bei der die Weidetiere zeitlich begrenzt auf einer Fläche bleiben und dann weiterziehen, damit sich die Vegetation erholen kann.
Unsere Grauvieh-Rinder sind also keine „Klimakiller“, sondern essenzielle Partner in einem funktionierenden Grünlandökosystem. Durch ihren gezielten Einsatz mithilfe mobiler Weidesysteme stimulieren sie u. a. das Pflanzenwachstum und fördern dadurch die Regeneration des Bodens.
Was ist „KUHproKlima“ und wie arbeiten Sie mit Wissenschaftlern zusammen?
KUHproKLIMA war unser erstes EU-gefördertes Forschungsprojekt (2020-2023), in dem wir gemeinsam mit sieben Betrieben und Wissenschaftler:innen Wege zu einer klimaschonenden, resilienten Grünlandbewirtschaftung erforschten. Die praktischen Erfahrungen daraus haben zu mehreren Folgeprojekten geführt.
Die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern folgt dem Prinzip der Co-Creation – wir begegnen uns auf Augenhöhe. Dies setzen wir nun im neuen GroundWork-Projekt fort, wo wir als Living Lab-Koordinator u. a. eng mit der Universität Augsburg und der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf zusammenarbeiten werden. Die Wissenschaftler:innen werden systematische Bodenanalysen und Biodiversitätserfassungen durchführen, während wir Praktiker die Umsetzbarkeit sichern und den Kontakt zu teilnehmenden Betrieben koordinieren.
Unser Living Lab folgt übrigens dem Quintuple-Helix-Innovationsmodell, das Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Umwelt zusammenbringt – ein transdisziplinärer Ansatz, der über den klassischen Forschungsansatz hinausgeht.
Würden Sie Ihr Wissen als praktisches Wissen bezeichnen und wie geben Sie es weiter?

Unsere Rinder sind keine „Klimakiller“, sondern essenzielle Partner in einem funktionierenden Grünlandökosystem.
Mein Wissen ist eine Synthese aus praktischer Erfahrung und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Nach über 25 Jahren als Bergbäuerin verstehe ich die komplexen lokalen Zusammenhänge besser, habe mir systemisches Denken angeeignet, suche aber stets den Dialog mit der Wissenschaft, um dieses Erfahrungswissen theoretisch zu fundieren.
Aktuell bauen wir mit unseren europäischen Partnern im Erasmus-Projekt AGRI-NATURE-MENTOR ein europäisches Mentoring-Programm auf, das erfahrene Landwirte zu Multiplikatoren ausbildet. Zudem arbeiten wir zusammen mit einer Hochschule an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „LOOPi“. LOOPi (von Feedback-Loop) wird ein KI-gestütztes Management-Tool werden, das Landwirt:innen hilft, ihre betrieblichen Ökosysteme ganzheitlich zu managen. Dazu gehört auch die Entwicklung einer Gemeinschafts-Plattform (LOOPi.network), die den Wissensaustausch zwischen allen Akteuren aus Landwirtschaft, Wissenschaft bis hin zu engagierten Bürger:innen fördern soll. Im GroundWork-Projekt werden wir mit unseren Partnern das „Ground Pro“ – ein dreijähriges Transformationsprogramm – entwickeln, das Landwirt:innen bei der Umstellung auf regenerative Praktiken unterstützt. Die Weitergabe integrierten Wissens ist also ein Kernaspekt unserer Arbeit.
Spüren Sie die Auswirkungen des Klimawandels in Ihrer Arbeit?
Die Klimaveränderungen sind auf unserem Hof täglich spürbar. Die zunehmenden Wetterextreme – von plötzlichen Temperatursprüngen bis zu wechselnden Niederschlagsmustern – stellen uns vor große Herausforderungen. Wir erleben Hochwasser, Überschwemmungen, unterirdische Auswaschungen und Erdrutsche, die unsere Gebäude und Infrastruktur gefährden.
Diese Erfahrungen haben unsere Arbeit maßgeblich geprägt. In unserem zukünftigen Ground Pro-Programm legen wir daher besonderen Wert auf Risikomanagementstrategien, die Betrieben helfen, mit Klimaextremen umzugehen. Wir fokussieren hier auf Prävention und die Stärkung der natürlichen Widerstandsfähigkeit der Flächen, aber auch des ganzen Betriebs. Die wissenschaftliche Begleitung hilft uns, besser zu verstehen, welche Faktoren die Resilienz landwirtschaftlicher Systeme erhöhen und wie wir systematisch darauf hinarbeiten können.
Sie haben die GmbH „AERA Land“ gegründet. Was macht sie?
Die AERA Land gGmbH wurde im März 2024 von 30 Gesellschaftern aus der Landwirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gegründet. Der Name steht für eine „neue Ära der Landnutzung“, und genau darum geht es: Wir wollen neue Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft schaffen.
Als gemeinnützige Gesellschaft entwickeln wir eigenständig Konzepte für drängende Fragen der Landnutzung und setzen diese in selbst initiierten Projekten um. Gleichzeitig sind wir als Partner in europäischen Forschungsvorhaben aktiv. Die gemeinnützige Struktur der AERA Land war ein bewusster Schritt, um die notwendige institutionelle Basis für die Projektakquise und -umsetzung zu schaffen. Sie ermöglicht uns, langfristig zu denken und flexibel auf Fördermöglichkeiten zu reagieren, während wir unsere Vision einer nachhaltigen Transformation konsequent verfolgen können.
Besonders wichtig ist uns dabei der integrative Ansatz: Wir betrachten nicht einzelne Aspekte isoliert, sondern entwickeln ganzheitliche Lösungen, die ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen verbinden. So schaffen wir ein Fundament für eine Landwirtschaft, die sowohl klimaschützend als auch wirtschaftlich tragfähig ist.
Ist Ihr Hof rentabel?
Ja, unser KugelSüdhangHof ist rentabel, aber auf eine andere Weise, als es viele konventionelle Betriebe anstreben. Wir haben uns bei der Hofübernahme für ein diversifiziertes Geschäftsmodell entschieden, das uns mehrere Einkommensquellen erschließt.
Neben unserer Bio-Heumilch vermarkten wir direkt das hochwertige Fleisch unserer Grauvieh-Rinder sowie kreative Nebenprodukte wie Kuhseifen aus Rindertalg und Kuhkalender. Ergänzend bieten wir Dienstleistungen im Bereich Naturschutz und Landschaftspflege an. Statt Gülle produzieren wir hochwertigen Kompost, den wir teilweise auch verkaufen. Ein besonders innovatives Element sind unsere Kuhpatenschaften, die nicht nur zusätzliches Einkommen generieren, sondern auch wertvolle Verbindungen zu interessierten Menschen schaffen.
Unsere regenerative Bewirtschaftung und das ganzheitliche Management tragen entscheidend zur Wirtschaftlichkeit bei – z. B. durch geringeren Bedarf an externen Betriebsmitteln und gesündere, langlebigere Tiere, was unsere Kosten deutlich senkt.
Lassen sich Ökologie und das wirtschaftliche Überleben kleiner Höfe verbinden?
Absolut! Die Verbindung von ökologischer Bewirtschaftung mit neuen Wertschöpfungsmodellen ist der Schlüssel für kleine und mittlere Höfe. Direktvermarktung, Produktveredlung, Naturschutzdienstleistungen und innovative Konzepte können zusätzliche Einkommensquellen erschließen. Kleine Höfe haben durch ihre Flexibilität und Nähe zu Verbrauchern besondere Chancen, sich an die Herausforderungen unserer Zeit anzupassen.
Entscheidend für die Landwirtschaft der Zukunft ist ein grundlegender Perspektivwechsel: Statt weiterer Intensivierung brauchen wir ganzheitliche Betriebskonzepte, die ökologische Verantwortung mit wirtschaftlicher Stabilität vereinen. Dies kann aber auch nur gelingen, wenn alle gesellschaftlichen Akteure die enormen Risiken des Klimawandels für die Landwirtschaft anerkennen und gemeinsam Lösungen entwickeln. Dafür benötigen wir die richtigen Werkzeuge und Rahmenbedingungen – genau daran arbeiten wir.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Christine Bajohr ist Bergbäuerin im Oberallgäu, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann den KugelSüdhangHof bewirtschaftet (Biobetrieb, Südtiroler Grauviehzucht). Als Pionierin für regenerative Landwirtschaft initiierte sie das Forschungsprojekt „KUHproKLIMA“ und wurde 2018 mit dem Bayerischen Klimapreis ausgezeichnet. Sie ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin der AERA Land gGmbH, in der sie zukünftig das deutsche Living Lab im Rahmen des HORIZON-RIA-Projekt „GroundWork“ aufbaut und koordiniert. Mit ihrer interdisziplinären Arbeit schlägt sie Brücken zwischen praktischer Landwirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.
Über Wiesen und Weiden
Um die aktuellen Herausforderungen der Nutztierhaltung für kleinbäuerliche Betriebe und ihre Rolle für die alpine Landschaft geht es am 20. März im Naturmuseum beim Werkstattgespräch „Über Wiesen und Weiden“ im Rahmen einer Vortragsreihe über die Landwirtschaft.
In der vom Zentrum für Regionalgeschichte, vom Naturmuseum Südtirol, der Freien Universität Bozen, Geschichte und Region und dem Ethnologischen Verein Südtirol organisieren Vortragsreihe „Oben bleiben“ zur Situation der Landwirtschaft aus historischer und ethnologischer Perspektive findet das erste Werkstattgespräch zum Thema „Wiesen und Weisen“ statt: Am 20. März um 18 Uhr diskutieren Christine Bajohr (Bäuerin aus dem Allgäu), Georg Niedrist (Ökologe, Eurac), Petra Oberhollenzer (Bäuerin aus dem Sarntal) und Almut Schneider (Ethnologin, Wallis/Frankfurt) im Gespräch mit Elisabeth Tauber (Freie Universität Bozen) im Naturmuseum über die Bedeutung von Wiesen und Weiden in der Landwirtschaft.
Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung unter auf der Webseite des Naturmuseums unter dem Link https://app.no-q.info/naturmuseum-sudtirol/events/course/530581 wird empfohlen
Kommentare (1)
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