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Wie auf den Leib geschrieben

Lena Neudauer, Geige, Sebastian Klinger, Cello und Marianna Shirinyan, Klavier, im Meraner Kursaal: Spielfreudige, exzellente Interpreten

Außerhalb der ausgetretenen Pfade klassischer Musik: Lena Neudauer, Sebastian Klinger und Marianna Shirinyan führten bei Musik Meran Werke von Schostakowitsch, Dvorák sowie den wenig bekannten Komponistinnen Isidora Serbejan und Amy Beach auf.

Von Hubert Stuppner

Das Konzert eines Klavier-TRIOS bestehend aus Lena Neudauer, Geige, Sebastian Klinger, Cello und Marianna Shirinyan, Klavier, in Meran am vergangenen Montag legte den programmatischen Schwerpunkt auf Werke außerhalb der ausgetretenen Pfade klassischer Musik. Am Beginn das erst posthum entdeckte und von einem Schüler zu Ende komplettierte Trio op. 8 von Dimitri Schostakowitsch, zwei moderne Werke von wenig bekannten Komponistinnen, und zum Abschluss das f-Moll-Trio von Dvorak, das Opus 65, weniger bekannt als das nachfolgende „Dumky-Trio“.

Oberflächlich betrachtet, war das Programm mit zwei Kompositionen von Komponistinnen originell, führte jedoch eher entlang einer postmodern ideologiefreien Ästhetik und hatte wohl eher mit der in ihnen angelegten instrumentalen Spielfreudigkeit der exzellenten Interpreten zu tun.

Denn diese Musik schien ihnen wie auf den Leib geschrieben zu sein und sie unterhielten damit sich und das Publikum. So bereits am Beginn mit dem jugendlich expressiven, 1923 vom 17-jährigen Kompositions-Studenten Dimitri Schostakowitsch komponierten Trio op. 8, das, wenn auch nicht so konsistent wie die später komponierten zwei Trios, sehr symptomatisch und aufschlussreich über den Gemütszustand des jungen Studenten, der in den frühen revolutionären Verhältnissen unter Lenin ein schweres Leben hatte.

In den lamentierenden absteigenden chromatischen Motiven erfährt man vom steinigen Weg des Komponisten, der sich nach dem Misserfolg beim Chopin-Wettbewerb in Warschau in einer Berufskrise befand und sich inmitten einer feindlichen Umgebung anschickte einen eigenen Weg in der Komposition zu finden. Charakteristisch die typischen Klagemotive und die aus der Verkrampfung heraus urplötzlichen agogischen Beschleunigungen: In den Memoiren des Komponisten aus dieser Zeit kann man von diesem Notstand einiges Konkretes erfahren und mit diesem Stück assoziieren: Zum Unterschied zu den Zeitgenossen Prokofieff, Rachmaninoff und Stravinsky ging es nämlich Schostakowitch am Beginn der Sowjetunion in Leningrad nicht gut: „Ich weiß bis heute, wer mich im Schidlowskaya-Gymnasium und noch früher beleidigt hat. Aber am schlimmsten ist es, krank zu sein, wenn es nicht genug zu essen gibt.“

Auf Schostakowitch folgte ein Stück Bühnenmusik zu Sartres Drama „La Putain respecteuse“ der 2020 verstorbenen serbischen Pianistin und Komponistin Isidora Serbejan, eine „Sarabande“ von 2002.

Das langsame tonale Stück über einem Ostinato-Bass war wohl als Ruhepol in einem durchwegs dynamisch bewegten Programm gedacht. Es belegte andererseits den Rückstand der „zeitgenössischer Musik“ in den Randgebieten des Kontinents, in denen ein ganz anderes Modernitätsverständnis herrschte, als wir es bis heute im Westen als zeitgenössisch vertreten.

Dieses ist seit Beginn des 20. Jahrhundert Ausdruck eines freien, fortschrittlichen, kritisch-dynamischen Geschichtsverständnisses. Eine Modernität, die sich unter dem Einfluss autoritärer Staaten im Osten nur sehr zögerlich entwickeln konnte. Im europäischen Konzert der Avantgarde waren die DDR, Kroatien und Polen eine Ausnahme, weil dort die Aufklärung und das Emanzipationsbestreben westlicher Kulturen unter dem Einfluss der langjährigen Zugehörigkeit zu den aufgeklärten konstitutionellen Monarchien und Demokratien unterschwellig weiterlebte.

Nicht jedoch in den kommunistischen Diktaturen Russlands, Jugoslawiens, Rumäniens, Albaniens, wo die Musik weitgehend in den rückständigen tonalen Mustern stecken blieb. Nicht anders stellt sich der Fall der heute weitgehend unbekannten amerikanischen Pianistin und Komponistin Amy Beach-Cheney dar, von der anschließend das tonale op. 150 gespielt wurde. Trotz einer genialen Begabung mit absolutem Gehör, einem verlässlichen Gedächtnis und einer außerordentlichen synästhetischen Vorstellungsgabe begabt, war die als Pianistin erfolgreiche Amy Beach ein Produkt amerikanischer puritanisch tonaler Musik-Praktiken.

Das Stück gab einen genauen Einblick in das konservative Amerika des 19. Jahrhunderts, das sich, abgesehen vom anarchischen Avantgardisten Charles Ives, der ein Eigenbrötler war, innerhalb der patriarchalischen Familie und entlang konservativer spätromantischer Modelle artikulierte,  vor allem wenn, wie im Fall der hochbegabten Amy Beach, Frauen komponieren durften. Man weiß ja: Konfessions- und Kompositions-Gründer waren niemals weiblichen Geschlechts.

Mit Dvoraks drittem Klaviertrio in f-moll erreichte das Konzert den Höhepunkt.

Alles das, was die Bewunderer Brahms und Hanslick so beeindruckte, Übereinstimmung von Einfall und Ausführung, von Wollen und Werk, von Form und Umfang wie aus einem Guss, hier war es vorhanden. Dvorak sublimierte im reifen Alter seine aus dem Volkstümlichen sprudelnden Einfälle zu edler Klassik und zündete, immer Hand aufs Herz, Entwicklung durch meisterhafte Polyphonie und thematische Arbeit.

Ein Werk voller romantischer Reminiszenzen, mitreißend in der Dynamik und ansprechend durch die instrumental sehr lebendige Anteilnahme und Körpersprache der Interpreten.

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