So wenig verdient Südtirol
Knapp 60.000 ArbeiterInnen und Angestellte in Südtirol müssen mit weniger als 10.000 Euro brutto im Jahr auskommen, während nur sechs Top-Verdiener über eine halbe Million kassieren. Ein Blick auf die Einkommens-Pyramide.
von Matthias Kofler
Südtirol steht für Bilderbuchlandschaften, florierende Kleinbetriebe und einen boomenden Tourismus. Doch hinter der Fassade öffnet sich eine immer tiefere Kluft: Die Einkommensschere klafft weiter auf, und der Abstand zwischen Arm und Reich wächst stetig.
Fast 60.000 ArbeitnehmerInnen in Südtirol verdienen weniger als 10.000 Euro brutto im Jahr – ein Betrag, der kaum reicht, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken. Während diese Menschen mit jedem Euro jonglieren, kassiert eine winzige Elite aus sechs Topverdienern über 500.000 Euro pro Jahr.
Diese Zahlen, die Soziallandesrätin Rosmarie Pamer auf Anfrage der JWA-Fraktion herausgegeben hat, verdeutlichen eine Entwicklung, die längst über Südtirol hinausgeht: Die Mitte bröckelt, während die Extreme zunehmen. Besonders betroffen sind Teilzeitkräfte, SaisonarbeiterInnen und geringfügig Beschäftigte, die oft nur wenige Monate im Jahr arbeiten und sich an der Einkommensuntergrenze wiederfinden. Dort, wo die Monatsabrechnung kaum für Miete, Strom und Lebensmittel reicht – geschweige denn für Rücklagen oder kleine Extras für die Kinder.
Jürgen Wirth Anderlan, der mit seiner Landtagsanfrage Licht
in die Einkommensverhältnisse bringen wollte, fasst es so zusammen: „Global geht der Trend in die Richtung, in dem eine kleine Gruppe immer reicher wird, während immer mehr Menschen in Armut leben.“
Was bedeutet Armut in Südtirol? Landesrätin Pamer definiert sie als „die Unfähigkeit, grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Teilhabe und menschenwürdige Arbeit zu sichern“.
Die Zahl der armutsgefährdeten Haushalte in Südtirol stieg zwischen 2008 und 2018 von 35.958 auf 38.401. Sozialtransfers des Landes konnten den Anstieg bremsen, laut Pamer ist der prozentuelle Anteil der Armutsgefährdung im selben Zeitraum von 17,9 auf 17,1 Prozent gesunken. Doch strukturelle Probleme bleiben. Die Armutsgefährdungsschwelle lag 2018 bei einem Jahreseinkommen von 12.948 Euro – und fast 60.000 Beschäftigte befinden sich bereits darunter.
AFI-Direktor Stefan Perini ordnet diese Zahl ein: „Es handelt sich hierbei nicht um klassische Arbeitnehmer. Es bedeutet also nicht, dass diese Personen unter prekären Umständen leben. Es sind vielmehr Hausfrauen, Studenten oder Saisonarbeiter, die nur wenige Wochen oder Monaten im Jahr Gelegenheits- bzw. Kurzarbeiten verrichten.“ Doch vermehrt fallen auch Vollzeitkräfte, insbesondere in der Gastronomie und Reinigung, in diese Kategorie.
Ein Blick auf die Durchschnittseinkommen zeigt eine klare Zweiklassengesellschaft: In der Privatwirtschaft lag die durchschnittliche Bruttojahresentlohnung 2022 bei 23.997 Euro. Im öffentlichen Dienst waren es 36.460 Euro. Von wegen unattraktiv: Wer in der Verwaltung arbeitet, verdient im Schnitt fast 50 Prozent mehr als in der Privatwirtschaft.
Während im öffentlichen Sektor vor allem Gehälter zwischen 30.000 und 50.000 Euro dominieren, liegt in der Privatwirtschaft der Schwerpunkt unter 30.000 Euro: 83.000 Beschäftigte verdienen hier weniger als 30.000 Euro brutto im Jahr, im öffentlichen Dienst sind es nur 18.000 Personen. Mehr als 100.000 Euro brutto pro Jahr erhalten in der Privatwirtschaft 4.300 Menschen, im öffentlichen Dienst sind es 1.696.
An der Spitze: Sechs Personen in Südtirol verdienen über 500.000 Euro jährlich – alle in der Privatwirtschaft.
Nicht nur die Einkommensverteilung zeigt ein Ungleichgewicht, auch beim Wohnen zeigt sich die soziale Kluft: 77,4 Prozent der Südtiroler Familien besitzen eine eigene Wohnung. 22,6 Prozent leben zur Miete – viele von ihnen gehören zu den Geringverdienern. 28.070 Menschen besitzen mehr als eine Wohnung – oft als Kapitalanlage oder Feriendomizil. 1.646 dieser Mehrfachbesitzer haben ihren Wohnsitz außerhalb Südtirols.
Die Zahlen entkräften das oft gezeichnete Bild von ausländischen Investoren, die den Markt dominieren. Die größten Immobilienbesitzer sind Einheimische – sie profitieren am meisten vom angespannten Wohnungsmarkt.
Die Folgen sind spürbar: Wohnen wird für Normalverdiener unbezahlbar, besonders in Städten wie Bozen, Meran oder Brixen. Was früher als selbstverständlich galt – ein Eigenheim für die Familie – wird zum unerreichbaren Luxus.
Die Politik steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Sicher ist nur eines: Die Schere zwischen Arm und Reich – eine tickende Zeitbombe – wird sich nicht von selbst schließen.
Kommentare (25)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.