Abseits der Oscars

Schon der Großvater suchte nach seinem verschollenen Vater
Die Katalanin Patricia Font lädt zu einem Film, der Chipstüten verstummen lässt, indem er von einer Schule erzählt, die anders sein wollte.
Von Renate Mumelter
Kürzlich war ich im Theater. Während der Vorstellung war es im vollbesetzten Großen Saal des Bozner Stadttheaters aufmerksam ruhig. Nur einmal störte ein Handy die Idylle. Es würde wohl niemandem einfallen, raschelnde Chipstüten ins Theater mitzubringen und den Inhalt während der Vorstellung laut mahlend zu zerkauen.
Ganz anders im Kino. Ebenfalls kürzlich war ich im wesentlich kleineren Saal des Filmclubs, und neben und hinter mir raschelte und kaute es ständig. Dazu kamen zwischendurch aufleuchtende Handys und ebensolche Watches. Fehlschaltungen der Lustzentren, die meinen, Kino sei nur kauend und daddelnd zu überleben.
Im Kinosaal passierte dann aber etwas Ungewöhnliches. Plötzlich war es dauerhaft still. „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“ hatte mit Qualität gewonnen.
Massengräber
Die katalanische Regisseurin Patricia Font erzählt eine Geschichte, die auf zwei Zeitebenen spielt, einmal zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges und einmal im Jetzt. Im Jetzt ist es Ariadna, eine junge Frau, die sich für ihren Großvater auf die Suche nach den Spuren ihres Urgroßvaters macht. Dieser war ab 1936 verschollen. Auch Großvater hatte nach ihm gesucht, aber jetzt ist dieser alt und krank.
Ariadna macht sich auf zu jenen Orten, wo gerade Massengräber ausgehoben werden. Knochen und andere Fundstücke können Aufschluss geben. Falangisten hatten die Massenmorde verursacht. Mit etwas Aufmerksamkeit ist es nicht schwer, im Lauf des Films den Spuren der vielen Menschen zu folgen, die zu Opfern geworden waren damals, als einfach geschossen wurde und viele schwiegen.
Antoni Benaiges
Auf der zweiten Ebene spielt der Film genau in der Zeit, in der alles geschah, zwischen 1934 und 1936. Im Mittelpunkt steht der Lehrer Antoni Benaiges, der die Schule in Bañuelos de Bureba in der Provinz Burgos übernimmt. Er liebt seine Arbeit, die Kinder mögen ihn, sie lernen gern, alles bestens, wären da nicht der aufkommende Faschismus und Benaiges‘ Überzeugungen. Er unterrichtet nämlich nach der Methode von Célestin Freinet, einem reformpädagogischen Ansatz, der die Kinder begeistert, die Machthabenden weniger. Freinet war Pazifist, Laizist, ja Kommunist, er lehnte autoritäre Methoden ab, ließ die Kinder selber etwas schaffen. Es gab Projektunterricht statt Frontalunterricht also, ein Modell, das noch heute auf Widerstände stößt. Bei Faschisten natürlich umso mehr.
Unaufdringlich
Was Patricia Font erzählt, hat sich wirklich so zugetragen und lässt leider wieder aufhorchen, genau so wie das, was Font über transgenerationale Traumata ganz nebenbei einflicht. Das ist das Schöne an diesem Film: er erzählt viel für all diejenigen, die das Erzählte wahrnehmen wollen, aber er wird nie aufdringlich. Das ist angesichts der vielen überzogen deutlichen Filme wie „Der Brutalist“ z.B. sehr erholsam. Hier wird das Publikum ernst genommen.
Das Erzählte ist grausam und doch ist „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“ ein Film, der mehr mitgibt als den üblichen Anlass zur Entrüstung. Deshalb sind wohl auch die Chipstüten verstummt.
Abseits aller Oscar-Hypes ist „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“ noch in Bozen und Meran zu sehen.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.