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„Wissenschaftlich absoluter Unfug“

Versprühen Flugzeuge Gift über Südtirol hinweg? Warum Jürgen Wirth Anderlan eine abstruse Verschwörungstheorie in den Landtag bringt.

von Markus Rufin

Verschwörungstheorien gibt es zuhauf, durch das Internet und die sozialen Medien verbreiten sich diese immer schneller. Doch gibt es durchaus Unterschiede: Während sich einige Verschwörungstheorien auf Grundlage ehrlicher Skepsis bilden, gibt es auch solche, die völlig abstrus sind und eher aus einem Science-Fiction-Buch stammen zu scheinen: Promis, die in Wahrheit Alien-Reptilien sind, Spionagedrohnen getarnt als Tauben oder – im Internet besonders beliebt – die Theorie der flachen Erde, um nur ein paar davon zu nennen.

Eine solche abstruse Theorie hat es jetzt auch in den Landtag geschafft. Jürgen Wirth Anderlan hat in einer Anfrage nämlich die sogenannten „Chemtrails“ thematisiert. Dabei handelt es sich um Spuren – ähnlich der Bildung von Kondensstreifen – die sich dadurch entwickeln, dass Flugzeuge giftige Chemikalien in die Atmosphäre ausstoßen. Je nach Quelle unterscheidet sich dabei, wer hinter diesen Flügen steckt oder welche Chemikalien nun genau versprüht werden.

In Südtirol ist das Thema nicht neu. Bereits in einem Klimareport des Landes von Juni 2012 wird eine Veranstaltung in Algund erwähnt, bei dem über die angebliche Gefahr durch Chemtrails informiert wurde. Im Report wird die Behauptung als „wissenschaftlich absoluter Unfug“ betitelt und auf die Stellungnahme des deutschen Umweltbundesamtes verwiesen:

Für das Einbringen von Chemikalien in die Atmosphäre und die Bildung so genannter chemtrails gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege. Die Messungen der Flugsicherung enthalten keinerlei Hinweise darauf. Auch in den Beobachtungsdaten der nationalen Wetterdienste sind keine Besonderheiten auffindbar, die auf abweichende Formen von Kondensstreifen hindeuten. Kondensstreifen entstehen hingegen in hinreichend kalter Atmosphäre als Folge der Wasserdampfemissionen aus Flugzeugtriebwerken. Bei niedriger Feuchte lösen sich Kondensstreifen rasch wieder auf. Ist die Atmosphäre jedoch hinreichend feucht, können Kondensstreifen länger existieren, weiterwachsen und verschiedene Formen annehmen.

Wirth Anderlan thematisiert die Chemtrails nun erstmals auch im Landtag. In seiner Anfrage erwähnt er das HAARP-Projekt, bei dem Radiowellen zur Untersuchung der oberen Atmosphäre eingesetzt wurden. Dieses Projekt ist Grundlage für die Chemtrail-Theorie.

Weiter schreibt Anderlan: „Kritiker befürchten eine nachhaltige Schädigung der Natur sowie negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Eine ähnliche Kritik wird auch immer wieder an den als „Chemtrails“ bezeichneten künstlichen Kondensstreifen laut, welche laut Kritikern ebenfalls negative Auswirkungen auf Mitwelt und Gesundheit haben sollen.“

Dazu möchte er in Erfahrung bringen, wie sich der Flugverkehr über Südtirol und wie sich die Luftqualität in den letzten Jahren entwickelt haben.

Glaubt Wirth Anderlan wirklich, dass die Bevölkerung durch Flugzeuge vergiftet wird, die Schadstoffe über Südtirol versprühen? Im Prinzip nicht.

Er erklärt auf Nachfrage: „Wir sind als Landtagsabgeordnete Volksvertreter und haben als solche die Aufgabe, Dinge aufzuklären, wenn etwas an uns herangetragen wird.“

So sei es auch in diesem Fall gewesen. Er sei von Personen kontaktiert worden, die sich über Chemtrails Gedanken machen und habe daher die Anfrage eingereicht. Ihm persönlich sei allerdings nicht aufgefallen, dass der Flugverkehr über Südtirol bedeutend zu- oder abgenommen habe: „Wir bewerten aber nicht, wer zu uns kommt. Wer ein Bedürfnis hat, den nehmen wir ernst.“

Interessanterweise widerlegt die Antwort auf die Anfrage die Verschwörungstheorie. Zwar gab es 2023 mehr Flugbewegungen als 2016, um einen kontinuierlichen Anstieg handelt es sich allerdings nicht. Letzthin ging die Zahl der Flugbewegungen am Flughafen Bozen sogar zurück. Dabei handelt es sich allerdings nur um jene Flüge, die einer Radarkontrolle unterliegen. Die Flüge im darüberliegenden Luftraum werden nach überregionalen Kriterien registriert.

Entscheidend für die Theorie der Chemtrails ist aber ohnehin die Schadstoffmessung. Allerdings hat sich die Luftqualität in den letzten Jahren sogar verbessert, was in erster Linie einer Verringerung der Feinstaubwerte zu verdanken ist. Doch auch die Schwermetallkonzentrationen verringern sich tendenziell. Nur bei Arsen, Kupfer und Zink gab es einen geringen Anstieg. Jene Werte befinden sich allerdings immer noch im grünen Messbereich der europaweiten Skala.

Auch Wirth Anderlan erkennt die Antwort an und sieht darin die Bestätigung, dass sich die Luftqualität in Südtirol sogar verbessert hat. Sollte es Chemtrails also doch geben, funktionieren diese ziemlich schlecht.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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