Kaffee und Aspirin
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„September 5“ im Regieraum von ABC
Das Drehbuch von „September 5“ ist oscarnominiert, der Hauptdarsteller von „The Apprentice“ auch, genauso Fernanda Torres von „I’m Still Here“. „Samia“ ist nur ein Mal zu sehen.
Von Renate Mumelter
Female Views
Eins gleich vorweg: „Female Views“ lädt am 12.2. zu „Non dirmi che hai paura“ der preisgekrönten deutschen Regisseurin Yasemin Şamdereli. Sie erzählt von Samia Yusuf Omar, einer jungen somalischen Sportlerin, die trotz aller Verbote 2012 an der Olympiade in London teilnehmen wollte. Bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrank sie vor Malta. Der Spielfilm hält sich an den Roman von Giuseppe Catozzella (2014) und dieser an die reale Figur, nach der übrigens auch eine Bozner Initiative der Caritas benannt ist, die sich um geflüchtete Frauen kümmert.
Ausgelernt
Noch einmal zu „The Apprentice“, jenem Spielfilm, der zeigt, wie sich Trump (gespielt von Sebastian Stan) in seine kriminell schräge Welt manövriert hat, in der er jetzt sogar meint, er könne aus Palästina ein Ressort machen. Umsiedlung, Aussiedlung, unfreiwillig sogar, das müsste vor allem in Südtirol alle Antennen hochschießen lassen. Jedes Mal, wenn ich wieder eine der Meldungen über neue Heldentaten des Wahnsinnigen höre, fällt mir dieser Film ein. „Auszubildender“ ist Trump keiner mehr, sehenswert ist der Film doch. (Auch im Filmtreff Kaltern)
München 1972
Moritz Binder und Tim Fehlbaum dürfen noch bis 2. März auf den Oscar hoffen. Sie zählen zu den Nominierten im Bereich Drehbuch für den Spielfilm „September 5“ von Tim Fehlbaum.
Das Drehbuch ist gut geschrieben, die Story rauscht in rasantem Tempo dahin und führt zunächst in die Irre. Denn es sieht ganz so aus als wolle „September 5“ eigentlich nur phantasielos und in einer Mischung von Spielszenen und Dokumentarischem den Terroranschlag auf die Münchner Olympiade 1972 neu inszenieren. Dazu ein paar Einsprengsel zum leider wieder höchst aktuell gewordenen Thema Israel und Palästina, ein paar Seitenblicke auf etwas Rassismus im allzu deutschen Deutschland der 70er und ebensolchem Rassismus unter Nichtdeutschen gegen Deutsche. Geschenkt.
Und dann zeigt der Film der jüngeren Generation, wie komplex das mit der TV-Technik damals war, wo noch Schachteln mit 16-mm-Material geschleppt wurden, Funkgeräte mit wenigen Kanälen zum Einsatz kamen und Telefone Wählscheiben hatten. Auch gut, aber nicht genug. Der besondere Kick, dass ausgerechnet die Sportredaktion von ABC am Senden war, als alles passierte, keine politischen Fachleute also, und dass die Satellitenverbindung zeitlich begrenzt war. Dass dieser Stress nach Kaffee und Aspirin rufen ließ, ist klar, aber trotzdem bleibt die Frage danach, wer das überhaupt sehen will.
Bis dann deutlicher wird, worum es in „September 5“ auch geht. Immer mehr nämlich kommt eine Frage zum Vorschein, die heute aktueller denn je ist. Was ist bei der Berichterstattung legitim, was kann andere gefährden, wie weit darf Ehrgeiz gehen und wie ist das mit Sensation und Publikumserfolg? Heute sprechen wir von Clickbaiting, wenn Sensationslust in der Berichterstattung jede Ethik wegwischt, damals hatte das Dilemma noch keinen Namen, aber den Drang, die eine oder andere journalistische „Heldentat“ zu vollbringen – egal auf wessen Kosten – war auch schon da.
900 Millionen Menschen sahen 1972 die Bilder. Dass ihre Wirkung nicht nur Gutes brachte, zeigt „September 5“ deutlich, und deshalb und wegen der kompakten, klaustrophobischen Inszenierung ist der Film sehenswert. Ob er irgendwen zum Nachdenken anregt, bleibe dahin gestellt.
Fotos
1- Samia Yusuf Omar lebt nicht mehr
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