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„Das Leid lindern“

Robert Hochgruber (Foto: Tageszeitung/Diözese)

Der pensionierte Religionslehrer und Kirchenkritiker Robert Hochgruber fordert die Einsetzung eines Betroffenenrates – und Anerkennungszahlungen an die Opfer des sexuellen Missbrauchs.

TAGESZEITUNG: Herr Hochgruber, was sagen Sie zum Gutachten zum sexuellen Missbrauch durch Kleriker in der Diözese?

Robert Hochgruber: Das Gutachten stellt einen notwendigen und wertvollen Schritt dar. Bischof Ivo Muser hat damit ein wichtiges Zeichen gesetzt. Eine konsequente Umsetzung der darin vorgelegten Empfehlungen ist dringend erforderlich.

Damit meinen Sie?

Die erste Empfehlung der Rechtsanwaltskanzlei Westfahl, Spilker und Wastl zur Verbesserung des Umgangs mit Fällen von sexuellem Missbrauch ist die Errichtung eines unabhängigen Betroffenenrates. Auf diese „Stärkung der Belange der Betroffenen“ gehen bedauerlicherweise weder die Presseaussendung der Diözese noch der Bischof Muser ein. Nur Gottfried Ugolini hat die Möglichkeit der Bildung eines Betroffenenrates angesprochen. Diese Empfehlung sollte ehestens umgesetzt werden …

Ansonsten?

Ansonsten sind die Bemühungen zur Aufarbeitung nicht glaubwürdig.

Was kann ein solcher Betroffenenrat tun?

Ein solcher Rat trägt dazu bei, dass sich Betroffene nicht erneut als fremdbestimmt erfahren, ihre Interessen gebündelt werden und dass ihr Erfahrungswissen im Aufarbeitungsprozess einbezogen wird.

Wie sollte dieser Rat zusammengesetzt sein?

Es sollten nicht nur kirchenfreundliche Personen im Rat sitzen, das hat auch die Anwaltskanzlei festgestellt. In vielen Diözesen Deutschlands gibt es bereits Betroffenen(bei)räte.

Die Macher des Aufsehen erregenden Gutachtens empfehlen auch Anerkennungsleistungen für die Opfer.

Das Gutachten führt aus, dass sexueller Missbrauch sich neben persönlichem physischem und psychischem Leiden auch auf die Erwerbsbiografie in vielen Fällen negativ auswirkt. Dies kann zu prekären Lebensverhältnissen führen. Die Missbrauchstaten, auch das haben die Gutachter festgestellt, seien nicht nur Einzelfälle schwarzer Schafe, es gäbe auch systemische, im Verantwortungsbereich der Institution Kirche liegende Ursachen, die die Taten ermöglicht und/oder erleichtert haben.

Im Gutachten heißt es dazu: „Grundlegende Gerechtigkeitserfordernisse legen es nahe, dass eine dergestalt involvierte Institution neben den in den Richtlinien der Ombudsstelle bereits vorgesehenen Therapieleistungen auch einen substanziellen Beitrag zur Linderung individuellen finanziellen Leids und damit einhergehender Not und entsprechende Anerkennungszahlungen leistet, auch wenn Anerkennung nicht nur eine Frage des Geldes ist“.

Richtig. Ein unabhängiges Gremium sollte die Höhe der finanziellen Anerkennungsleistungen festlegen. Auch wenn die Übergriffe unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegen, sollten nicht rechtliche Maßstäbe wie bei einem Schadensersatz im Rahmen eines Gerichtsverfahrens gelten, noch sollten psychologische Gutachten angefordert werden.

Bischof Musser hat die Opfer um Vergebung gebeten.

Es reicht meiner Meinung nach nicht aus, wenn Bischof Muser die Betroffenen und Mitbetroffenen um Vergebung bittet. Anerkennungsleistungen sind erforderlich, um Gerechtigkeit für die Betroffenen und Glaubwürdigkeit für die Kirchenleitung herzustellen. Solche Anerkennungszahlungen hat es in Österreich durch die Klasnic-Kommission sowie in Deutschen Diözesen gegeben.

Ist eine Wiedergutmachung möglich?

Nein, das glaube ich nicht, Zahlungen wären aber eine Anerkennung des Leidens durch finanzielle Zahlungen.

Bischof Ivo Muser hat erklärt, dass er die Verantwortung für die Fehler, die während seiner Amtszeit oder von ihm gemacht wurden, übernimmt.

Diese Aussage ist erfreulich. Zugleich genügt sie nicht. Er ist der Rechtsnachfolger der vorherigen Bischöfe und somit verpflichtet, für deren begangenes Unrecht einzustehen und die Konsequenzen zu tragen, z.B. durch finanzielle Anerkennungsleistungen.

Allenthalben wird kritisiert, dass die Orden nicht in die Aufarbeitung der kirchlichen Missbrauchsfälle einbezogen worden sind.

Bisher ist eine konsequente und unabhängige Aufarbeitung in den Orden nur sehr zögerlich und bruchstückhaft geschehen. Die Orden wären angehalten, ihren Beitrag zu einer konsequenten Aufarbeitung zu leisten. Ich erachte alle Bemühungen der Ombuds-, Interventions- und Präventionsstelle sowie entsprechende Konzepte als wertvoll und positiv. So können Kinder und Jugendliche die Kirche als sicheren und guten Ort erfahren, was ja dem Auftrag der Kirche entspricht. Ohne die umfassende und ernsthafte Aufarbeitung der Vergehen in der Vergangenheit bleibt die Gegenwart und Zukunft stark belastet.

Interview: Artur Oberhofer

 

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