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„Große Herausforderung“

Luca Verdi

Die neuen EU-Richtlinien zur Luftverschmutzung verschärfen die Grenzwerte deutlich. Der Experte Luca Verdi prognostiziert auch für Südtirol große Bemühungen, um diesen gerecht zu werden. 

von Christian Frank  

Seit den 70er-Jahren führt die Europäische Union einen Kampf gegen einen unsichtbaren Feind und fuhr dafür erst kürzlich neue Geschütze auf. Jährlich sollen laut Angaben der EU rund 250.000 Menschen frühzeitig aufgrund von Luftverschmutzung sterben, weshalb diese als die häufigste umweltbedingte Todesursache gilt. Zahlreiche Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie Krebsfälle können auf die Vielzahl an Schadstoffen in der Luft zurückgeführt werden. Die EU erkannte früh den nicht greifbaren Sensenmann und verschärfte sukzessive die Richtlinien. Darin befindet sich eine Litanei an Schadstoffen und deren erlaubten Höchstwerten, welche seit letztem Monat nun wieder deutlich gesenkt wurden. Die konkreten Parameter fußen auf einer Stellungnahme der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2021. Ein Impuls, welcher in der EU umgehend die legislative Phase einläutete. Die Werte gelten bei Kritikern als unrealistisch umzusetzen, und aus EU-Kreisen selbst erklingt die unverblümte Botschaft: Das wird kein leichter Weg. Dies klingt auch aus einem jüngst veröffentlichten Bericht des EU-Rechnungshofes durch, welcher die europäischen Kommunen nahezu tadelt und dazu aufruft, größere Anstrengungen für eine bessere Luftqualität zu unternehmen.

Zu den neuen Richtlinien gibt es auch eine Deadline: Bis zum Jahr 2030 müssen alle EU-Mitgliedsstaaten den neuen Anforderungen gerecht werden. Doch wie realistisch ist dieses hehre Ziel? Laut dem Amtsdirektor für das Labor für Luftanalysen und Strahlenschutz der Provinz Bozen, Luca Verdi, gilt es hier zu differenzieren.

„Über die Machbarkeit der Vorgaben kann man kein pauschales Urteil fällen, man muss die jeweiligen Schadstoffe akribisch unterscheiden“, so Verdi. Was jedoch auch für ihn feststeht: Es wird eine Herausforderung.

„Die Grenzwerte sind deutlich niedriger, und es ist gewiss nicht einfach, diese einzuhalten, es wird eine große Herausforderung. Doch es ist wichtig, dass wir neue Ziele anpeilen. Die alten Ziele sind inzwischen zu größten Teilen erfüllt. Zumindest hier in Südtirol“, so Verdi. Südtirols Luftwerte, wie der Experte anmerkt, können sich sehen lassen und brillieren auch im Regionenvergleich. Verbesserungspotenzial gibt es dennoch, besonders im Angesicht der neuen Vorgaben, mahnt Verdi: „Wir sind momentan gut aufgestellt, doch sogar nach alten Richtlinien gemessen, weisen wir beispielsweise bei der Feinstaubkomponente Benzoapyren immer noch erhöhte Werte auf.“ Der Schadstoff, welcher zu großen Teilen auch im Zigarettenrauch enthalten ist, entsteht vordergründig durch die unsachgemäße Verbrennung im Haushalt. Laut Verdi lässt sich dieses Phänomen hierzulande besonders in ländlichen Gegenden beobachten.

An den neuen Vorgaben orientiert, fallen jedoch laut Verdi einige andere Schadstoffe ins Gewicht, welche es gilt zu reduzieren, darunter Stickstoffdioxid und der Feinstaub PM 2,5.
„Südtirol hat bei Stickstoffdioxid einen Wert von über 30. Der Grenzwert liegt jedoch bei 20. Es gilt also Handlungsbedarf, es wird nicht einfach werden“, befürchtet Verdi.

Trotz oder gerade wegen der Härte der Richtlinien begrüßt der Experte die Verschärfung:  „Nun stehen die Grenzwerte schwarz auf weiß und sind nicht bloß in einer informativen Stellungnahme der WHO enthalten. Diese hat zwar ebenso ein gewisses Gewicht, ist jedoch im Gegensatz zur EU-Richtlinie nicht bindend.“

Inwiefern schlussendlich den Anforderungen aus Brüssel ausreichend Rechnung getragen wird, ist für Verdi nicht von zentraler Bedeutung, vielmehr die Tatsache, dass nun die Segel deutlich gesetzt wurden und die Richtungsweisung über den Status mahnender Empfehlungen hinausgewachsen ist.

„Das Thema der Luftverschmutzung rückt wieder in den Fokus, das ist das Wesentliche. Es ist fraglos bindend, und es wird auch Konsequenzen geben, doch ich rechne auch mit Ausnahmen. Wenn eine Region den Richtlinien nicht entspricht, aber vorweisen kann, dass sie alle möglichen Bemühungen unternommen hat, denke ich, wird es auch Nachsicht geben. Doch diese Bemühungen sind jetzt von ungemeiner Wichtigkeit.“

Neben der politischen Ebene ist es laut Verdi vor allem die gesellschaftliche Komponente, die bei diesen Bemühungen mitziehen muss, um ein zügiges und erfolgreiches Gelingen zu gewährleisten. Die gesellschaftliche Vergegenwärtigung des Handlungsbedarfs fehlt laut Verdi jedoch vielerorts noch: „Man kann sicherlich behaupten, dass sich die Leute schwertun, auf ihre Gewohnheiten zu verzichten, besonders was das Autofahren anbelangt. Die jungen Generationen sind hier etwas vorbildlicher, aber alles in allem tut sich die Gesellschaft schwer, auf das Auto zu verzichten und auf neue Mobilität umzusteigen.“

Laut dem Experten braucht es ein größeres Angebot an Information und Sensibilisierung.

„Es braucht eine breite Zusammenarbeit, nicht nur auf politischer Ebene. Würde die Gesellschaft mehr mitziehen, wären die Ziele sicherlich um einiges leichter erreichbar“, konkludiert Verdi.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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