Daddio
Tja, 2024 ist vorbei, Jahres-Film-Hitlisten gab es schon, jetzt reiche ich nach. Außerdem gibt’s etwas zu Christy Halls „Una notte a New York“.
Von Renate Mumelter
Dieses Mal reihe ich mich ein in die Jahres-Besten-Suche, obwohl ich wenig mit Hitlisten anfangen kann. Diese hier gibt nur Aufschluss über meine Vorlieben. Aus meiner 2024er-Kollektion kamen 15 Filme in die engere Wahl, 4 empfehle ich besonders weiter.
Auf Platz 1 setze ich Wim Wenders‘ „Perfect Days“, weil er am Beispiel eines japanischen Kloputzers zeigt, was es im Leben braucht – oder besser: was es alles nicht braucht und wie Zufriedenheit sich anfühlen kann. Ein Film weit weg von Eitelkeiten und mühsamen Ambitionen. Außerdem hat der Film meiner Begeisterung für natürliches Licht in Bäumen einen Namen gegeben: Komorebi heißt das in Japan.
Auf Platz 2 landet „The Zone of Interest“. Jonathan Glazer erzählt das Grauen, ohne es plakativ zu zeigen, und er wirft sehr subtil Fragen nach dem Wegschauen und dem Beibehalten der eigenen Komfortzone auf. Der Film spielt an der Lagermauer von Auschwitz.
Ein wichtiger 2024er Film ist Paola Cortellesis „C’è ancora domani“. Von „Fachleuten“ wurde sie belächelt, in den Kinosälen behielt sie Recht, und das war richtig so. Der Film über Frauen im Kampf gegen Entmündigung und Patriarchat war der einzige, der überall spontanen Applaus bekam, auch in Bozen.
Ein sehr wichtiger 2024er Film ist „Lichter im Chaos“. Fabian Zöggeler lässt darin junge Menschen und sich selbst über Depression sprechen. Dieser Tabubrecher-Film verzichtet auf’s schamhafte und gefährliche Schweigen.
Sean Penn im Taxi
Manchmal scheint er sich selber nicht ganz ernst zu nehmen. Die Rolle aber scheint er zu mögen – Sean Penn ist Taxifahrer Clark in Christy Halls „Daddio – Eine Nacht in New York“. Mit Daddio (so der Originaltitel) ist ein Daddy, eine Vaterfigur, gemeint. Ein solcher Daddy sitzt am Steuer des New Yorker Taxis, in das eine junge Frau steigt, die vom Flughafen nach Hause muss. Es ist Nacht, und die Taxifahrt dauert besonders lange, weil es Staus gibt. Das bietet die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, und dieses Gespräch erfüllt den Film. Der Daddio am Steuer heißt Clark und wird von Sean Penn gespielt. Die junge Frau hat keinen Namen, sie wird von Dakota Johnson gespielt. Das Publikum sitzt mit im Taxi, die Kamera bleibt da, schaut sich nicht weiter um. So etwasist nicht einfach zu inszenieren, aber Christy Hall gelingt es.
Sie schafft es mit zwei Figuren 101 Minuten lang zu fesseln und zwischendurch zum Schmunzeln zu bringen, zum Beispiel dann, wenn Penn sich bei der jungen Kundin als therapierender Daddio zu profilieren versucht und üble Sprüche über seine „strohdumme“ Ex-Frau los werden will. Wer sich darüber aufregt und keine Ironie dahinter sieht, ist vielleicht nicht im passenden Film. Es gibt Rezensionen, in denen von „unerträglich“ die Rede ist. Ich sehe es anders.
Sean Penn und Dakota Johnson verstehen es, in ihren Bann zu ziehen. Die Dialoge bewegen sich so, wie dies viele Dialoge tun – sie sagen etwas und das Gegenteil von allem, und bei den Sprechenden kommen Denkprozesse in Gang. Im Publikum vielleicht auch, denn nicht alles ist so ist wie es gesagt wird.
Es geht um Zahlen, Informatik, Liebe, Sex, Männerleben, Frauenleben und um eine Intimität, die nur möglich ist, weil das Gespräch dieser verbindlich unverbindlichen New Yorker Nacht bleibt.
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