Du befindest dich hier: Home » Politik » Der Einzigartige

Der Einzigartige

Renzo Caramaschi

Renzo Caramaschi, Bürgermeister von Bozen, wird in wenigen Monaten – widerwillig – abtreten. Mit 79. Wer ihm nachfolgt, tritt in große Fußstapfen.

von Thomas Vikoler

Er darf nicht mehr. Obwohl er unbedingt noch einmal antreten wollte. Mit den Stimmen von Parteien aus seiner Regierungskoalition in Bozen, verunmöglichte der Regionalrat eine dritte Amtszeit für ihn, Renzo Caramaschi, seit 2016 Bürgermeister von Bozen. Aus seiner Sicht ein glatter Verrat, der ihn mächtig aufregte.

Am 18. Mai 2025, anlässlich der Stichwahlen für seine Nachfolge, muss Caramaschi endgültig abtreten. Da wird er 79 Jahre alt sein. Dabei hatte er vor der Entscheidung des Regionalrats darauf hingewiesen, dass er dem gleichen Jahrgang wie Donald Trump angehöre, der in Kürze sein zweites Mandat als amerikanischer Präsident antreten wird.

Mit Renzo Caramaschi verliert Bozen einen Bürgermeister, wie sie ihn bisher nicht hatte und wohl auch nie mehr haben wird. Ein einzigartiger Bürgermeister, der so viele Eigenschaften in sich vereint wie kaum jemand anderes: Ehrgeizig, klug, aufbrausend, gebildet, dominant, detailversessen, vorausschauend, pünktlich, witzig und ernst.

Bei all seiner Treue zu den Institutionen, ist Caramaschi alles andere als ein typischer Politiker. Er wurde im Jahre 2016 – da war er bereits seit sechs Jahren als City Manager der Stadt Bozen in Pension – zur überraschenden Trumpfkarte von Mitte-Links, die damit ihre Vormachtstellung nach dem Rücktritt von Luigi Spagnolli und der kommissarischen Verwaltung sicherte.

Caramschi kannte und kennt den schwerfälligen Gemeindeapparat wie kein anderer, das erwies sich in langer Sicht ein Vorteil. Vorteilhaft für ihn war auch seine Vergangenheit als Stadtkämmerer, die ihn umgehend das Ziel verfolgen ließ, die Schulden der Stadt auf null zu stellen. Manche sagen allerdings, dass dies angesichts der niedrigen Zinsen während der Jahre bis zu Energiekrise nicht notwendig gewesen wäre. Die Stadt hätte mit geliehenem Geld größere Investitionen tätigen können, als sie es tatsächlich tat.

Zweifellos erlebte Bozen unter Caramaschi einen wirtschaftlichen Aufschwung. Tourismus und Handel boomen (jedenfalls im Bereich der Altstadt), es wurden überfällige Erneuerungen (etwa wie die des Wassernetzes) eingeleitet und das Fernwärmenetz ausgebaut. Wovon der Bürgermeister überzeugt ist, das versucht er auch umzusetzen. Das unterscheidet ihn von einigen seiner Vorgänger, die stets auf politische Mehrheiten achteten und deshalb Kompromisse schließen mussten.

In Caramaschis Regierungskoalitionen knisterte es intern immer wieder – zuletzt nach Bekanntwerden einer möglichen Wahlkampfhilfe durch Benko-Statthalter Heinz Peter Hager bei den Gemeindewahlen 2020 -, doch ernsthaft wurde der Bürgermeister nie infrage gestellt. Er hielt sein Bündnis solide zusammen und drohte gegebenenfalls selbst mit Rücktritt. Oder hatte einen cholerischen Anfall. Das wirkte, führte bei den Mehrheitsparteien aber auch zu einer gewissen Bürgermeister-Müdigkeit und dem Wunsch nach einem Nachfolger, der aus dem Parteien-Ambiente kommt. Einen eigenwilligen Einzelkämpfer und ein Zugpferd wie Caramaschi, der über alles Bescheid weiß, den Stadträten auf die Finger schaut und nichts dem Zufall überlässt, will man offenbar nicht mehr.

Sicherheitspolitisch steht der aktuelle Amtsinhaber mehr auf der rechten Seite des politischen Spektrums als auf der linken. Und antizipierte damit den aktuellen Repressions-Zeitgeist der römischen Rechts-Regierung. Um die Straßen und Häuserwände sauber zu halten, engagierte Caramaschi zusätzliche Arbeitskräfte und setzte – anders als Spagnolli, der sie abgelehnt hatte – auf Überwachungskameras. Mehr also 250 davon stehen mittlerweile auf öffentlichen Plätzen und Straßen der Stadt, die Aufnahmen werden häufig von den Ordnungskräften zur Aufklärung von Straftaten genutzt. Dass Bozen die meisten Flüchtlinge und Wohnungslose aufnehmen musste, wollte Caramaschi auch nie akzeptierten und führte deshalb einen jahrelangen Kampf gegen das Land.

Vielleicht weil er ein glühender Antifaschist ist, blieb er dennoch von Kritik von links verschont.

Von seinem Naturell her ist der Bürgermeister, der Wirtschaft studiert hat und im fernen Jahr 1971 in den Dienst der Gemeinde Bozen trat, eher ein nordischer Typ. Er erinnert gerne an seinen längeren Aufenthalt in der Schweiz in jungen Jahren, seine zuletzt seltenen Pressekonferenzen beginnen stets zur angegebenen Uhrzeit. Nachdem er selbst nicht gerne auf jemand wartet, lässt er andere nicht gern auf sich warten. Das Multitalent unter Südtirols Bürgermeistern hat keine Zeit zu verschwenden, das Leben ist kostbar.

Caramaschi ist nicht nur ein penibler Buchhalter, er ist auch Kunst-Mensch. Als Beamter der Gemeinde Bozen baute er das Musikleben maßgeblich auf: Die Verbindung zum Dirigenten-Start Claudio Abbado, die Gründung des Gustav-Mahler-Jugendorchester, das Festival Bozen. Ohne ihn würde es dies alles wohl nicht geben.

Und dann ist da seine für einen Bürgermeister ungewöhnliche Tätigkeit als Schriftsteller: In den letzten Jahren seiner Beamtentätigkeit veröffentlichte er im Raetia-Verlag mehrere aufwändige, mit kunstvollen Fotos unterlegten, Wanderführer zu Südtirol, speziell dem Ahrntal. Caramaschi besitzt eine Wohnung und einen Hochgebirgs-Wald in Rein in Taufers, seinem Rückzugsort.

Ab 2014 erschienen beim Mailänder Mursia-Verlag nicht weniger als zehn Romane von ihm, heuer mit „Die Illusion eines Reiches“ die erste Übersetzung eines seiner Werke in deutscher Sprache. Caramaschi schreibt vornehmlich historische Romane, der oben genannte spielt zu Pest-Zeiten im 14. Jahrhundert.

Der Bürgermeister schreibt seine Romane immer nachts, quasi zur Erholung zu seinen Vierzehn-Stunden-Tagen im Rathaus. Ein Großteil von ihnen entstand während seiner Amtszeit, woraus sich schließen lässt, dass da der Bedarf nach Ablenkung besonders groß war. Dass er vorhatte, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren (vor seiner ersten Wahl hatte er erklärt, er werde es bei einer belassen), zeugt von einer unglaublichen Vitalität, die auch vom Ehrgeiz getrieben ist, der Erste zu sein. Der Erste Bürger seiner Stadt, der einsehen muss, dass Macht eine Illusion auf Zeit ist.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.

2025 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen