Herr Lehrer Burger
Die Autobiographie des Frei.Wild-Frontmanns Philipp Burger ist nicht bloß ein Bestseller, sondern nun auch Unterrichtsstoff in Schulen. Warum es den Schülern unter die Haut geht.
Tageszeitung: Herr Burger, Ihre Autobiografie Freiheit mit Narben ist nicht nur ein Verkaufsschlager, sondern wird jetzt auch in Schulen in Deutschland behandelt?
Philipp Burger: Genau, das Buch ist mittlerweile in bayerischen Schulen, aber auch vereinzelt in anderen Bundesländern, Unterrichtsstoff.
Wie kann man sich das vorstellen?
Es wird insofern damit gearbeitet, dass anhand des Buches mein Werdegang als Mensch beleuchtet wird. Es geht um meine Jugend als rechter Skinhead, um kulturelle Prägungen, Auflehnung, Gruppendynamik, was mich zum Umdenken brachte, um Neuorientierung, welche Kraft die Musik für mich dabei hat, um eine Fehler-Verzeih-Kultur, um Cancel Culture und darum, zweite Chancen zu nutzen und aufzuzeigen, dass es trotz vermeintlicher Sackgassen immer noch einen Weg gibt. Das fällt einem nicht in den Schoß und kostet sicher auch Kraft, doch es zahlt sich aus. Es zeigt, dass es sich lohnt, immer den Dialog zu suchen, seine Träume anzugehen und aufkommenden Gegenwinden die Stirn zu bieten. Das Buch ist auch eine ziemlich gute Hilfe seine Selbstreflexion anzuregen, meinen zumindest die Experten – darüber, wie man mit anderen umgeht und wie mit einem selbst umgegangen wird. Hier steht auch immer die Frage im Raum: Was macht Kritik mit einem und seinem Umfeld? Das alles sind Themen des Buches.
Hätte man vor 15 Jahren, zu Zeiten des Frei.Wild-Albums Gegengift, gesagt, dass Philipp Burgers Buch in Schulen vorgestellt wird, wäre das schwer zu glauben gewesen. Wie kam es dazu, und sind Sie selbst überrascht?
Dass „Freiheit mit Narben“ direkt mit Veröffentlichung auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste einsteigen würde, darauf hätte ich nie gewettet. Dazu kamen Interviews und Fernsehbeiträge, die sich wirklich mit mir als Person auseinandergesetzt haben und meine Lesereise. Vieles kam auch durch eine Lesung für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Erfurt in Bewegung, bei der wieder andere Leute aufmerksam wurden. Mich hat es zuerst sehr gewundert, als man mit dieser Idee an mich herantrat. Ich bin aber auch nicht der erste und nicht der letzte Mensch auf diesem Planeten, der Bockmist gebaut hat oder mit dem Bockmist gebaut wurde und der schließlich mit seiner Aufarbeitung die Menschen berührt– sei es durch eine Talkshow, einen Podcast, ein Lied oder eben ein Buch. Große Fallhöhen im Leben wecken Interesse, das ist Fakt. In Sachen Jugendsünden scheinen mir jedenfalls auch Menschen zuzuhören, bei denen andere auf taube Ohren stoßen. Und vielleicht war meine Jugendzeit auch dafür gut, ich weiß es nicht. Hätte ich mir so etwas vor 15 Jahren vorstellen können? Nein, absolut nicht. Am Ende hat sich das bewahrheitet, was ich von Anfang an mit dem Buch im Sinn hatte: die im Raum schwebenden Fragezeichen aufzuarbeiten. Von Psychologen über Historikern bis hin zu Jugendarbeitern – allesamt traten wiederholt an mich heran, mit unzähligen Fragen im Schlepptau, die ich in „Freiheit mit Narben“ aufgegriffen und mir gegenüber schonungslos ehrlich offengelegt habe. Dieses Buch scheint den Leuten die Angst vor mir als Frontmann und unserer Band Frei.Wild genommen zu haben – warum wir klingen, wie wir klingen, warum die kulturellen Prägungen in Südtirol und in ländlichen Gebieten anders sind als in den Metropolen Deutschlands. Beim Schreiben galt für mich das Credo: Lieber noch eine Schippe draufsetzen und mit allem aufräumen, anstatt im Nachhinein zu hören, ich hätte mir meine Vergangenheit schöngeredet.
Kann man damit rechnen, dass dieses Buch auch in Südtiroler Schulen Einzug findet?
Ja, durchaus. Eine Lesung im Vinzentinum Brixen ist geplant, in Deutschland war ich bereits in Gymnasien.
Welchen Effekt hat dieses Buch auf die Schüler?
Mittlerweile habe ich zahlreiche Lesungen und Buchvorstellungen hinter mir – von großen Unternehmen über Firmvorbereitungskurse, in Hotels, an öffentlichen Plätzen, auf Buchmessen bis hin zu Schulen. Was ich festgestellt habe, ist, dass sich gewisse Fragen und Anliegen von den Kinderschuhen bis ins Erwachsenenalter durchziehen, die auch Teil meiner Vita sind: Krisen, Schlaflosigkeit, Übermut, Depressionen, der Umgang mit Druck und Fehlern, mit Erfolg und auch Scheitern. Was macht das mit einem? Das Thema Anerkennung und die Abwesenheit davon. Lob, Rüge, der Wettlauf, der Beste zu sein. Solche Themen beschäftigen Menschen ein Leben lang. Meine Neuorientierung fand damals sicher durch den Zivildienst statt und letztlich durch viele Begegnungen auf Augenhöhe.
Trotz Ihrer zahlreichen Distanzierungen zur rechten Szene und der umfassenden Aufarbeitung Ihrer Vergangenheit bleibt die Kritik hartnäckig bestehen. Kommt man aus gewissen Schubladen einfach nicht heraus?
Die Berichterstattung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die heutige Welt ist ungemein schnelllebig geworden. Der Journalismus hat oft nicht mehr viel Zeit zu recherchieren. Wir hatten schon mit zahlreichen Leuten zu tun, bunt gemischt aus der Medienlandschaft, – Spiegel, FAZ, Stern, RTL, ZDF usw. Jeder, der sich wirklich intensiv mit der Band oder mir beschäftigt hat, hatte hinterher eine andere, weit bessere Meinung. Anders war es, wenn wir ein schnell arrangiertes Interview vor einem Konzert hatten. In zehn Minuten war das Interview über die Bühne, das Gespräch blieb an der Oberfläche kleben. Kennenlernen, nachfragen, erklären? keine Chance. Manchmal wurde der Konzertbericht veröffentlicht, bevor das Konzert überhaupt zu Ende war. Man hat auch schnell verstanden, dass wir ein Garant für Klickzahlen sind, wenn wir mit dem Vorwurf, den rechten Rand zu bedienen, in ein skandalöses, negatives Licht gerückt werden. Ex-Rechter, singt über Heimat, hat eine rauchige Stimme, irgendwo aus einem Bergtal. Von diesem Gleis wieder runterzukommen ist mit ein Grund, warum ich das Buch geschrieben habe und auch mit den Songs meiner beiden Solo-Alben so offensiv Themen anspreche, mit denen sich auch viele andere identifizieren können, die sich in ihrem Leben verrannt und verbrannt haben.
Findet man sich mit diesem hartnäckigen Stigma ab?
Es wird immer Leute geben, die sich nicht intensiv mit der Band und der Geschichte Südtirols beschäftigen, die sich nicht auf Entwicklungen einlassen, sondern in der Vergangenheit und bei einer einmal gefassten Meinung hängen bleiben. Doch einige, die mir vorher sehr kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, haben sich, nachdem sie mein Buch gelesen hatten und wir darüber ins Gespräch gekommen sind, sogar entschuldigt. Ich bekomme auch von Eltern, deren Kinder das Buch gelesen haben, die Rückmeldung, dass sie ihre festgefahrene Meinung gegen Frei.WIld heute revidieren mussten. Ob das jetzt sonderlich gut ist, ist die Frage. Meist feiert man als Jugendlicher etwas umso mehr, wenn es von der älteren Generation verpönt wird. (lacht) Ich hätte dieses Buch auf jeden Fall viel früher schreiben sollen. Aber wir wollen uns nicht beschweren – uns geht es gut. Ganz unumstritten zu sein wäre das Letzte, was ich möchte. In erster Linie bin und bleibe ich Rock’n’Roller und sehe die Provokation als ein sauwichtiges Stilmittel.
Ihr Buch wurde ein Spiegel-Bestseller und beherrscht nach über einem Jahr auf dem Markt immer noch die Amazon-Bücher-Charts. Hätten Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Das habe ich sicherlich nicht. Mittlerweile wurde es für mich durch die zahlreichen Lesungen zu einem zweiten Standbein.
Es soll ein zweites Buch geplant sein?
Das wäre mir neu. Ich sage aber niemals nie, es gibt zwei sehr tolle Angebote, mehr aber auch nicht. Jetzt heißt es erstmal volle Attacke mit Frei.Wild.
Kann man wieder mit etwas Autobiografischem rechnen?
Beim Buch? Wie gesagt, es ist nichts geplant, wenn dann würde ich aber sicher auf andere Themen gehen. Beispielsweise den Umgang, die Pflege aber auch die Vernachlässigung von Freundschaft und wie wichtig sie für mich ist.
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Kommentare (2)
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sabine
Burger hat seinen lebensweg gemacht, wie zig – andere auch. Vorbild für andere wird einer nurdeswegen aber nicht. Es gibt viele leute, die einen noch viel schwierigeren weg beschreiten mussten…..
leser
sabine
sag uns fich was nan vor dur als vorbild nehmen dsrf/kann