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Die 6,7-Millionen-Forderung

Spitzenbeamter Florian Zerzer (Foto: Landesverwaltung)

Die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Florian Zerzer, Marc Kaufmann und fünf Spitzenverwalter beantragt.

von Artur Oberhofer

Juristen und Insider, die die Akten kennen, hatten es genau so prognostiziert: Die große Gefahr für die Protagonisten des Südtiroler Masken-Skandals gehe nicht von der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus, sondern vom Rechnungshof.

Dem Rechnungshof obliegt es festzustellen, ob der öffentlichen Verwaltung ein Schaden entstanden ist. Im Südtiroler Masken-Skandal sei dies der Fall gewesen. Zu diesem Schluss ist zumindest die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof in der Person der Chefanklägerin Alessia Di Gregorio gelangt.

Sie hat nach Informationen der TAGESZEITUNG die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen sieben Leitende Verwalter bzw. Ärzte beantragt: Florian Zerzer, Enrico Wegher, Marc Kaufmann, Patrick Franzoni, Pierpaolo Bertoli, Marianne Siller und Renato Martinolli.

Die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof verlangt von den sieben Beschuldigten die gemeinsame Rückzahlung von 6.709.053,23 Euro. Es ist dies die Gesamtsumme der ersten – und von der Firma OberAlp AG vermittelten – Lieferung an Schutzausrüstung aus China.

Im Mai dieses Jahres hatte die Leitende Staatsanwältin Alessia Di Gregorio die sieben Beschuldigten – so wie vom Gesetz vorgesehen –eingeladen, zu den Vorhaltungen Stellung zu beziehen. Das haben Florian Zerzer & Co. getan.

Die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof bleibt aber auch nach den Gegendarstellungen der Beschuldigten bei ihrer ursprünglichen Hypothese. Somit kommt es zur Hauptverhandlung vor der Rechtssprechenden Sektion des Rechnungshofs.

Welche sind nun die zwei Positionen?

Die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof ist – auch auf der Grundlage eines über 1.000 Seiten starken Ermittlungsberichtes der Carabinieri-Sondereinheit NAS zum Masken-Skandal – zu der Überzeugung gelangt, dass die Führungsriege des Sanitätsbetriebes Südtirol die sogenannte erste OberAlp-Lieferung nicht (mit öffentlichen Geldern) hätte bezahlen dürfen, weil den öffentlichen Verwaltern von Beginn an bekannt war, dass ein Gutteil der Ware schadhaft bzw. qualitativ untauglich war und demnach nicht in den Sanitätsstrukturen hätte verwendet werden dürfen.

Anstatt vom Vertrag zurückzutreten bzw. sich an andere Marktteilnehmer zu wenden, habe der Sanitätsbetrieb mit zwei Zahlungsmandaten (vom 24. März 2020 und vom 27. April 2020) der Firma OberAlp AG insgesamt 6.709.053,23 Euro überwiesen, wohlwissend, dass die aus China gelieferte Ware qualitativ miserabel, also im Kampf gegen Corona völlig unzulänglich war.

Das Ziel der Verwaltung, so die These von Chefanklägerin Alessia Di Gregorio, sei nicht gewesen, aus dem Vertrag auszusteigen bzw. eine Haftungsklausel zulasten des Lieferenten zu ziehen, sondern auf teils auch betrügerische Weise die Freigabe für die qualitativ minderwertige Ware zu erreichen bwz. mit allen Mitteln die Millionen-Zahlungen an die Firma OberAlp zu legitimieren.

Mit anderen Worten: Die öffentlichen Verwalter hätten nicht im Interesse ihrer eigenen Behörde gehandelt, sondern im Sinne und im Interesse der Firma OberAlp.

Laut Staatsanwaltschaft am Rechnungshof hätte die Führungsebene des Sanitätsbetriebes den Ankauf der nicht zertifizierten und minderwertigen Ware „nicht tätigen dürfen oder aber bei Vertragsabschluss die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Interessen der öffentlichen Körperschaft und die Gesundheit der Patienten und des Personals zu schützen“.

Anstatt die Lieferung mit dem nachweislich unzulänglichen Material zu stoppen, hätten Florian Zerzer & Co. mehrere unlautere Versuche unternommen, die Ware freizubekommen: Einmal mit einem angeblich positiven Test der Uni Innsbruck, den es nie gegeben habe, und ein andermal „auf betrügerische Weise” (so die Staatsanwaltschaft am Rechnunghof), als der stellvertretende Covid-Einsatzleiter Patrick Franzoni bei Dekra in Stuttgart versucht habe, ein positives Gutachten zu erwirken. Franzoni hatte die Dekra-Gutachter täuschen wollen, indem er ihnen qualitativ gute Schutzmaterialien untergejubelt hatte, die nie nach Südtirol geliefert worden waren.

Kurzum: Für die Spitze des Sanitätsbetriebes sei es nicht prioritär gewesen, dass die Menschen in Südtirol und das Sanitätspersonal gute und sichere Schutzausrüstung erhalten, sondern dass die Firma OberAlp, die ihrerseits von den chinesischen Lieferanten geleimt worden war, ihr Geld bekommt – obwohl die gelieferte Ware großteils Ramsch war.

Wie verteidigen sich die Beschuldigten?

Sie gaben in den Verhören bzw. in den Verteidigungsschriften an, die gelieferte Schutzausrüstuing sei eingesetzt worden und habe trotz der technischen Mängel vor Ansteckung geschützt. Die Alternative wäre der Einsatz von Müllsäcken gewesen, erklärten Florian Zerzer & Co.

Dass ein Großteil der Ware nach Bekanntwerden des Skandals nicht mehr habe eingesetzt werden können, könne nicht dem ehemalige Sabes-„General“ und dessen engsten MitarbeiterInnen angelastet werden, so die Verteidigung.

 

 

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