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„Viele schämen sich“

Jeder zehnte Erwachsene hat Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Wie sich dieser Trend in Südtirol zeigt – und warum man deshalb verstärkt auf Erwachsenenbildung setzt.

von Sylvie Debelyak

Die erst kürzlich veröffentlichte PIAAC-Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) bestätigt erneut ein meist verborgenes, aber weit verbreitetes Phänomen: Jeder zehnte Erwachsene kann nicht richtig lesen und schreiben. Während Länder wie Finnland, Japan, Niederlande, Norwegen und Schweden glänzen, sind die Ergebnisse in Italien alarmierend – ein Trend, der auch in Südtirol zu beobachten ist. Um dem entgegenzuwirken, wurde vor zwei Jahren die Initiative „Besser lesen und schreiben lernen“ von der KVW Bildung ins Leben gerufen, um Betroffene in Südtirol zu unterstützen.

„Viele Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben, schämen sich“, erklärt Anika Michelon, Direktorin des Amtes für Weiterbildung und Sprachen Südtirol. Aus diesem Grund ist das Angebot anonym: Die Betroffenen können sich bei den verschiedenen Ortsstellen für einen passenden Kurs beraten lassen, ohne ihre persönlichen Daten preisgeben zu müssen.

Die Ursachen für diese Schwierigkeiten sind vielfältig. Oft sind Schicksalsschläge oder mangelnde Chancen in der Schulzeit ausschlaggebende Faktoren, weiß Michelon. „Es hat nicht immer etwas mit Intelligenz oder Lernfähigkeit zu tun“, betont sie. „Manche haben das Schreiben und Lesen in der Schule zwar gelernt, es aber mit der Zeit, möglicherweise aufgrund eines handwerklichen Berufs, wieder verlernt. Andere haben es nie richtig gelernt.“

Aus diesem Grund gelten die meisten Betroffenen als funktionale Analphabeten. Das bedeutet, dass sie zwar die Schulpflicht abgeschlossen haben, jedoch erhebliche Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben aufweisen. Diese Form des Analphabetismus stellt die Betroffenen bereits bei den einfachsten, alltäglichen Aufgaben vor große Herausforderungen, sei es bei der Erneuerung eines Ausweises, dem Ausfüllen von Formularen oder der Erstellung eines SPID. Auch das Verstehen von Schulzeugnissen ihrer Kinder oder das Beantragen von Dokumenten kann zur unüberwindbaren Hürde werden, erklärt die Amtsdirektorin: „Viele entwickeln Strategien, um ihre Schwierigkeiten zu verbergen, indem sie beispielsweise ihre Unterschrift wie eine Zeichnung üben – ohne genau zu wissen, was sie überhaupt unterschreiben.“

Neben dem Lesen und Schreiben vermitteln die Basisbildungskurse auch Grundkenntnisse in Mathematik und digitaler Bildung. „Betroffene erhalten dadurch die Chance auf mehr Selbstständigkeit im Alltag“, betont Michelon.

Auch in Zukunft wird die Nachfrage nach Basisbildung wohl bestehen bleiben.

 

 

 

+++ Die Ergebnisse der OECD-Studie +++

Bei der Lesekompetenz liegt Italien auf dem sechstletzten Platz, bei den mathematischen Fähigkeiten auf dem viertletzten und bei der Problemlösung auf dem drittletzten. Insgesamt haben 31 Länder an der Studie teilgenommen.

Nur 35 Prozent der italienischen Erwachsenen erreichen das Mindestniveau in der Lese- und Schreibkompetenz, was deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 26 Prozent liegt. In Mathematik erreichen ebenfalls nur 35 Prozent das Grundniveau, während der OECD-Durchschnitt bei 25 Prozent liegt. Besonders alarmierend sind die Ergebnisse im Bereich Problemlösung: Fast die Hälfte der Italiener (46 Prozent) überschreitet das Mindestniveau nicht. Zudem schneiden Erwachsene im Alter von 55 bis 65 Jahren schlechter ab als die jüngeren Generationen (25 bis 34 Jahre), deren Ergebnisse ebenfalls unter dem internationalen Durchschnitt liegen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (6)

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  • andreas

    „Nur 35 Prozent der italienischen Erwachsenen erreichen das Mindestniveau in der Lese- und Schreibkompetenz, was deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 26 Prozent liegt. In Mathematik erreichen ebenfalls nur 35 Prozent das Grundniveau, während der OECD-Durchschnitt bei 25 Prozent liegt.“

    Mir fehlt anscheinend auch die Kompetenz, denn das ist eigentlich ein Widerspruch zum Inhalt des Artikels.

    • asterix

      Dann sind wur schon zu zweit. Irgendwie beruhigend….

    • heracleummantegazziani

      Ja der Text ist natürlich vollkommen falsch. Richtig müsste es heißen „35 Prozent der italienischen Erwachsenen erreichen NICHT das Mindestniveau in der Lesekompetenz“. D.h., dass 35% der Erwachsenen in Italien zwar schreiben und lesen aber nicht nicht sinnerfassend lesen und gewonnene Informationen nicht anwenden können (funktionaler Analphabetismus). Der Durchschnitt in den OCSE-Ländern liegt bei 26%. Damit liegt Italien über dem Durchschnitt, was aber in diesem Zusammenhang sehr schlecht ist.
      Man sieht es auch an den Kommentaren im Sozialen Netzwerk und bei manchen Usern hier.

      • gorgo

        Laut Text ist ca. jeder Zehnte von funktionalem Analphabetismus betroffen. Und 35% der Bevölkerung erreichen anscheinend nur das Mindest Niveau. Eigentlich ist nur das „nur“ im Text falsch gesetzt. Die TZ sollte sich trotzdem schämen.

  • artimar

    Die Unterschrift, die heute ja auch unleserlich oder digital sein kann, ist wohl kaum ein Problem. Neben dem klassischen funktionalem Analphabetismus haben wir heute vor allem einen digitalen.
    Dass Verwaltungen immer digitaler sind, ist zwar gut. Nur gilt es, dass sich insbesondere die öffentliche Verwaltung als Service für die Bürgerschaft versteht, benutzerfreundliche Nutzung gewährleistet, Verwaltungsvorgänge bis zum Abschluss stets transparent verfolgbar sind usw.
    Das Südtirol hinkt auch hier um Jahrzehnte nach. Dort hat es bekanntlich sogar noch tagtäglich systemische Ungleichwertigkeit und Diskriminierung der Bürgerschaft beim Recht auf Gebrauch der dt. Sprache.

    • heracleummantegazziani

      Cato Maior – der von „Ceterum censeo Cartaghinem esse delendam – war ein Waisenknabe verglichen mit Ihnen. Im Artikel geht es um die Unfähigkeit Texte zu verstehen und Sie schreiben von Diskriminierung beim Gebrauch der deutschen Sprache…

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