Gesundes Südtirol
Südtirols Kinder sind die gesündesten Italiens in Bezug auf Fettleibigkeit und Übergewicht. Lediglich 3,3 Prozent leiden an Adipositas. Ernährungsexpertin Silke Raffeiner über die Ursachen und warum die Ernährung hierbei nicht mal die Hauptrolle spielt.
von Christian Frank
Körperideale sind relativ, stark subjektiv geprägt und in ihrer dogmatischen Strahlkraft oft vom Zeitgeist abhängig. So würde beispielsweise das Sexsymbol der 50er-Jahre, Marilyn Monroe, mit ihrer Figur, den heutigen Ansprüchen folgend, kaum dieselbe Wirkung erzielen. Abseits von ästhetischem Ermessen und Urteilen, was einen ansehnlichen Körper auszeichnet, schwingen jedoch auch gesundheitliche Motive mit, insbesondere sobald die körperliche Verfassung in ein Extrem schlägt. Häufig zählt Übergewicht beziehungsweise Adipositas zum Anlass solcher gesundheitlichen Sorgen.
„Das Ziel, Übergewicht zu vermeiden, hat bei weitem nicht bloß eine ästhetische Funktion, sondern ist für die Gesundheitsprävention von ungemeinem Wert“, weiß die Ernährungsexpertin der Südtiroler Verbraucherzentrale, Silke Raffeiner, und mahnt zugleich zu einer klaren Unterscheidung zwischen Übergewicht und Fettleibigkeit: „Nicht jedes leichte Übergewicht ist gesundheitlich bedenklich. Wird jedoch ein gewisser Wert des Body-Mass-Index überschritten, spricht man von Fettleibigkeit.“
Kommt es zu einer solchen Fettleibigkeit, steigert dies laut Raffeiner das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfälle oder Typ-2-Diabetes erheblich. Auch gewisse Krebserkrankungen werden durch Fettleibigkeit begünstigt.
Aufgrund dessen sind die Studienergebnisse der Obesity Task Force (IOTF) für Südtirol umso erfreulicher. Die Organisation verschreibt sich dem internationalen Erfassen von Daten über das Übergewicht der Bevölkerung. Ihre jüngste Erhebung befasste sich mit dem Übergewicht bei Kindern. Dafür wurde auch die Situation in Italien analysiert und auf die einzelnen Regionen differenziert.
Südtirol brilliert dabei auf dem ersten Platz und hat damit die niedrigste Quote an übergewichtigen beziehungsweise fettleibigen Kindern Italiens. Nur zwölf Prozent der Kinder in der Provinz Bozen sind übergewichtig. An Fettleibigkeit leiden lediglich 3,3 Prozent. Ein beachtliches Ergebnis, wenn man den nationalen Durchschnitt als Vergleich heranzieht. Italienweit sind durchschnittlich 19 Prozent der Kinder übergewichtig und 9,8 Prozent fettleibig. Den stärksten Kontrast zu Südtirol und zugleich den letzten Platz stellt die Region Kampanien dar. Dort sind 24,6 Prozent der Kinder übergewichtig und 18,6 Prozent gar fettleibig. Ein trauriger Rekord in beiden Kategorien.
Auffallend ist, dass auch die Nachbarprovinz Trentino ähnlich wie Bozen ein sehr gutes Ergebnis erzielt und sich auf Platz zwei einreiht (12,6 Prozent Übergewicht, 3,9 Prozent Fettleibigkeit). Platz drei mit 13,5 Prozent übergewichtigen und 5,9 Prozent fettleibigen Kindern belegt das Aostatal. Ernährungsexpertin Raffeiner sieht in dieser Platzierung ein bereits bekanntes Muster.
„Hier kann man ein klares Nord-Süd-Gefälle wahrnehmen. Ähnlich, aber nach anderen Himmelsrichtungen definiert, verhält es sich in Österreichin Form eines Ost-West-Gefälles. Dort leben tendenziell mehr gesunde Menschen in Gegenden wie Vorarlberg oder Tirol als beispielsweise in Wien. Stellt man beispielhaft Bozen und Neapel gegenüber, nimmt man dasselbe wahr“, so Raffeiner.
Doch woran liegt diese eklatante Diskrepanz? Laut Raffeiner liegt der entscheidende Faktor nicht an der Ernährung, sondern an der Bewegung. Ein Umstand, welcher maßgeblich von Umwelteinflüssen und kulturellen Gewohnheiten abhängig ist.
„Übergewicht und Adipositas müssen nicht zwingend allein mit der Ernährung zusammenhängen. Diese ist auch immer im Zusammenhang mit dem Bewegungsverhalten und den Gewohnheiten zu sehen. In den alpinen Regionen haben die Menschen ein näheres Verhältnis zur Bewegung in der Natur. Traditionell betrachtet haben beispielsweise Bergbauern immer schon sehr beanspruchende körperliche Arbeit geleistet. Menschen sind in Gegenden wie Südtirol tendenziell aktiver und bekommen diesen Lebensstil bereits in frühen Jahren von den Erwachsenen vorgelebt“, erklärt die Ernährungsexpertin.
Diese Annahme wird im Großen und Ganzen durch die chronologische Platzierung der italienischen Regionen unterstrichen. Belegen beispielsweise Lombardei, Venetien oder Piemont höhere Platzierungen, finden sich Kalabrien, Apulien oder Molise nahezu als Schlusslicht wieder. Lediglich Sardinien stellt mit Platz sechs eine Anomalie dar.
Für Raffeiner ist eine solche Analyse, welche dezidiert auf Kinder Bezug nimmt, von ungemeinem Wert, denn, wie die Ernährungsexpertin erläutert, setzt eine Fettleibigkeit in jungen Jahren oft den Grundstein für zahlreiche gesundheitliche Beschwerden und erhöht das Risiko, ebenso im Erwachsenenalter an Adipositas zu leiden, erheblich.
Im Allgemeinen lässt sich laut den Zahlen des IOTF jedoch ein langsamer positiver nationaler Trend feststellen. So lag die durchschnittliche Übergewichtigkeitsrate von Kindern im Jahr 2009 noch über vier Prozent höher. Auch die Adipositasquote nahm in diesem 14-Jahres-Zeitraum etwas mehr als drei Prozent ab.
Im Zusammenhang mit Übergewicht und Adipositas wird häufig auch der Bildungsgrad als entscheidender Faktor genannt. Je höher der Bildungsgrad einer Person, desto geringer das Risiko für Übergewicht. Eine Erhebung von Eurostat für Italien bekräftigt diese These. Demnach zieht sich durch das gesamte Erwachsenenalter ein klares Muster, in welchem Menschen mit höherem Bildungsgrad bis zu zehn Prozent weniger übergewichtig sind.
„Das Wissen über einen gesunden Lebensstil und die damit verbundene Ernährung ist in der heutigen Zeit leicht abrufbar. Jedoch haben sich verschiedene Realitäten in der Gesellschaft gebildet. Schichten mit wenig Zugang zu Bildung nutzen diese Informationsangebote wesentlich seltener beziehungsweise haben nicht die Möglichkeit dazu“, so Raffeiner. Unterm Strich bleibt es eine ökonomische Frage, so die Expertin: „Der finanzielle Faktor ist nicht zu unterschätzen. Man muss es sich leisten können, gesunde Lebensmittel zu kaufen. Einkommensschwachen Erwachsenen reicht das Geld nicht, um ihnen und ihren Kindern eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu ermöglichen.“
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