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„Vermissen unseren Freund“

 

Ein aktueller Fall bringt die Debatte rund um die Inklusion in Schulen erneut ins Rollen. Warum es immer schwieriger wird, Betreuungspersonen zu finden – und wie das Land dem entgegenwirken will.

von Sylvie Debelyak

Während seine Mitschüler in der Schule die Schulbank drücken, bleibt sein Platz im Klassenzimmer seit einigen Tagen leer. Da der Junge stark beeinträchtigt ist, ist er auf eine Betreuungsperson angewiesen. Doch diese fällt nun für einen längeren Zeitraum aus. Ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin für Integration muss also schnellstens her, allerdings gestaltet sich die Suche nach einer qualifizierten Person als schwierig. Der Vorfall, der sich in der Umgebung von Bozen ereignete, sorgt insbesondere bei den Eltern für großes Entsetzen – und wirft zugleich ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, vor denen die Inklusion an Schulen steht. Die Verantwortlichen stehen in der Kritik.

„Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, in entlegenen Ortschaften jemanden zu finden, der diese Aufgabe übernimmt“, erklärt Hansjörg Unterfrauner, Leiter des Referats für Inklusion. Aufgrund von Krankheiten, Elternzeit und anderen Ausfällen müssen im Laufe des Schuljahresimmer wieder neue Mitarbeiter gesucht werden, was die Situation natürlich erschwert, wie er ausführt.

Insgesamt 582 Schülerinnen und Schüler in Südtirol sind derzeit auf einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin für Integration angewiesen. Vor allem in Ausnahmefällen, wie diesem, wenn jemand für eine längere Zeit ausfällt, kommt es zu Engpässen. „Es gibt Springer und Springerinnen, die kurzfristig die Betreuung übernehmen können, aber diese sind oft bereits irgendwo anders eingespannt oder können nicht dauerhaft bleiben“, so Unterfrauner.

Hinzu kommt, dass die Herausforderungen der Inklusion an Südtirols Schulen in den letzten Jahren zunehmend komplexer geworden sind, etwa aufgrund des Zuwachses an Schülern mit Migrationshintergrund oder aus schwierigen familiären Verhältnissen, was zu einer noch größeren Belastung der ohnehin knappen Personalressourcen führt. Auch der Direktor der betroffenen Schule bestätigt: „Leider erleben wir immer wieder solche Situationen, in denen es schwierig ist, eine geeignete Betreuungsperson zu finden.“ In der Regel werden im August die offenen Stellen ausgeschrieben, jedoch ist die Zahl der Bewerbungen oft zu gering. „Dann müssen wir auf Direktberufungen zurückgreifen, die nicht immer die erforderlichen Qualifikationen vorweisen“, sagt der Direktor.

„Es wird tatsächlich immer schwieriger, die Stellen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für Integration zu besetzen“, räumt auch Schullandesrat Philipp Achammer ein. Die Stellen würden je nach Stundenumfang variieren, und es gebe nur wenige Vollzeitstellen. Um die Situation zu verbessern, seien bereits mehrere Maßnahmen ergriffen worden. So wurdenunter anderem die Anzahl der Stellen aufgestockt und höhere Stundenanzahlen vergeben. „Das Kontingent der Vollzeitstellen wurde durch interne Ressourcen der deutschen Bildungsdirektion um knapp 16 Prozent erhöht, sodass es derzeit 301 Vollzeitstellen gibt. Das sind so viele wie nochnie“, führt Achammer aus. Im Hinblick auf das nächste Schuljahr wolle man diese Zahl nochmals aufstocken. Eine weitere Maßnahme sei die Erhöhung der Zulage für Mitarbeiter der Integration um 20 Prozent des Anfangsgehaltsstatt der bisherigen vier Prozent, um sie auch ökonomisch besser zu stellen. „Wir arbeiten daran, das Berufsbild aufzuwerten und die Planbarkeit für die Mitarbeiter zu verbessern“, so der Schullandesrat weiter.

Nichtsdestotrotz sei die Inklusion an Südtirols Schulen durchaus vorbildlich. „Wir sind von unseren Bestimmungen und unserer Ausrichtung her sehr gut aufgestellt. Jedes Kind darf und kann die Schule besuchen“, sagt der Leiter des Referats für Inklusion. Südtirol sei hier vielen anderen Ländern weit voraus. Und auch Philipp Achammer betont: „Dieser Fall ist natürlich ungut für die Betroffenen, aber man sollte deswegen nicht auf die Allgemeinheit schließen.“ In diesem Zusammenhang sei es umso wichtiger, weiterhin in Inklusion zu investieren.

Was den Vorfall in der Nähe von Bozen betrifft, habe es bereits intensive Gespräche zwischen dem Direktor der Schule und dem Referat für Inklusion gegeben, um eine Lösung zu finden. Man sei zuversichtlich, dass die Situation in wenigen Tagen gelöst und eine Betreuungsperson für den Schüler gefunden wird, sodass dieser mit Jahresbeginn wieder am Unterricht teilnehmen kann – und seine Mitschüler ihren Freund nicht länger vermissen müssen.

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