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Erzähler seines Tales

Am Nikolaustag ist in Bruneck der Historiker Rudolf Tasser gestorben. Er war Lehrer, Schuldirektor, Forscher, Heimatkundler sowie Gründer und langjähriger Leiter der Südtiroler Bergbau-Museen. Eine Würdigung von Florian Kronbichler.

Auch Lesen ist nicht unfallfrei. Rudolf Tasser, Held dieses Nachrufs, war außer seinen vielfältigen Brotberufen ein großer Leser. Die Geschichte seines Ahrntals und dessen Menschen war dem promovierten Historiker Herzenssache. Dem Kupferbergwerk von Prettau widmete er seine Dissertation. Und wie jeder ernsthafte Gelehrter beackerte Tasser sein Forschungsfeld über die Studienzeit hinaus seinen Lebtag lang weiter. Unvermeidlich so, dass der Ahrntaler oft mit dem Grand Seigneur des Tales, Georg Graf Enzenberg, zu tun bekam, dem „Groufn“, wie sie ihn im Tal heißen. Tasser forschte in gräflichen Archiven und ordnete diese wohl auch großteils. Sie waren verstreut über die enzenbergischen Besitzungen in Kaltern, Siebeneich, auf Schloss Tratzberg bei Jenbach in Tirol und in den „Grafenhäusern“ in Steinhaus im Ahrntal.

Einmal, die Archivmaus hatte im enzenbergischen Ansitz Manincor in Kaltern zu tun, trug sich Folgendes zu. Der immer auch sportliche Archivar turnte auf einer Leiter ganz zuoberst an der Bücherwand herum. Auf der Suche nach immer noch älteren Dokumenten. Da, plötzlich brach unter seinem Fuß eine Sprosse der Leiter. Der Archivar krachte von ziemlicher Höhe zu Boden und brach sich – zum Glück! – nur sechs Rippen. Der Graf, der darunter stand, tröstete den Abgestürzten in wahrlich gräflicher Grandezza: „Einen schöneren Tod könnte ich mir nicht vorstellen für einen Archivaren“.

Nicht so heroisch, dafür aber um ein gutes halbes Menschenleben später ist Rudolf Tasser mit 82 Jahren am vergangenen Nikolaustag, 6. Dezember 2024, ganz bürgerlich im Pflegebett verstorben. Geboren ist er am 22. Jänner 1942 in St. Johann in Ahrn. Seinen Vater hat das Kriegskind die ersten Lebensjahre fast nie gesehen. Dieser war Deserteur, „der längst gediente im Toule“, wie Tochter Barbara beim Begräbnis in der Ahrner Kirche nicht ohne Stolz bemerkte. Mathias Tasser, so hieß der Vater, hielt sich zweieinhalb Jahre lang in den Bergen des Ahrntals versteckt vor Hitlers Schergen, die mehrheitlich die eigenen, von der Nazipropaganda verdorbenen Landsleute waren. Wie er und einige weitere Tölderer Leidensgenossen das alles überlebt haben, hat Sohn Rudolf nachrecherchiert und wäre ein eigenes Kapitel Südtiroler Geschichtsschreibung wert.

Der geleistete Widerstand seines Vaters prägte auch Rudolfs jederzeit offen bekennende Abneigung gegenüber allem, was irgendwie Nazigeruch hat. Als er 1970 Direktor der Mittelschule in St. Johann wird, sind die Ortsgewaltigen dabei, der Schule einen Namen zu geben. Sie wollen sie nach dem Schriftsteller Joseph Georg Oberkofler benennen, einem Säulenheiligen des Tales. Der geschichtskundige Direktor und ein Grüppchen wacher Lehrer, darunter der spätere Bürgermeister Hubert Rieder, ziehen Oberkoflers wenig ehrenhafte Verquickung mit dem Nazi-Regime zutage. Das Lehrerkollegium setzt sich gegen die Ortspotentaten und die Spitze der Schulbehörde im Land durch und beschließt: keinen Nazi-Namen, schlicht „Mittelschule Ahrntal“ soll sie heißen. Ein wahrlich widerständisches Fanal aus dem Toule zu einer Zeit, da in Bozen das Realgymnasium geschichtsvergessen noch lange nach dem viel kompromitierteren Raimund von Klebelsberg benannt blieb.

Die Bedingungen, unter denen Rudolf Tasser mit seinen drei Schwestern aufwuchs, sind mit „bescheiden“ beschönigend beschrieben. Der Pfarrer brachte das Arme-Leute-Bübl, seinen fleißigsten Ministranten, ins Vinzentinum. Rudi war ein Vorzugsschüler. Priester wurde daraus keiner. Er studierte Geschichte und Germanistik in Innsbruck. Streckenweise, wie das zu der Zeit üblich war, nebenbei als Supplent unterrichtend. Darüberhinaus finanzierte er sich das Studium als Waldvermesser, Maurer, Kupfer-Rafinierarbeiter, Parkplatzwächter bei der Olympiade 1964 und als Zeitungsverkäufer in Innsbruck. Tochter Barbara erzählte das alles recht anekdotisch beim Begräbnis.

Der Lehrer wohnt bald mit Frau und Tochter in Bruneck, unterrichtet hier fast 30 Jahre lang an der Handelsschule Deutsch und Geschichte. Der angesehene und bei seinen Schülern allseits beliebte Dr. Tasser schreibt nebenher an der dreibändigen „Geschichte für Südtiroler Mittelschulen“ mit, verfasst Unterrichtsmaterialien speziell zu dem seinerzeit noch recht verdrängten Kapitel der Südtiroler Option. Tasser ist gewissermaßen der Leopold Steurer des Pustertales, gleich beschlagen, verbindlicher vielleicht im Ton, so wie es dem Menschschlag im Tal halt entspricht. Tassers Spuren finden sich in Gemeinde- und Bezirksbüchern, in Jubiläumsheften gleich wie in politischen Streitschriften. Sein Lehrertalent lebt er in der Schule und über diese hinaus in Vorträgen und Führungen. Sammler aller Art betrauen ihn mit Expertisen, Datierungen und fachgerechter Archivierung. „Der Tasser“ war so ein Wissender, der sich leicht und allenfalls um ein Trinkgeld „alles anstellen“ ließ.

Schließlich, ob zur Krönung oder zum Kreuz, schwer zu sagen, setzte Rudolf Tasser sein Studium in die Praxis um. Der Bergbau-Akademiker wird zum Bergbau-Museumsmacher. Er gestaltet und führt zehn Jahre lang das Schaubergwerk in Prettau, das Museum am Schneeberg in Ridnaun sowie den Kornkasten in Steinhaus. Alles abgerungen dem Widerwillen des seinerzeit dafür politisch zuständigen Landesrats Karl Oberhauser. Es verband Rudi Tasser eine Schicksalsgemeinschaft mit seinem noch berühmteren Landsmann und Fachkollegen Hans Grießmair, dem Vater des 2022 verstorbenenVolkskundemuseums. Beide waren sie Tölderer. Beide haben sie heimatkundliche Museen aufgebaut. Und beide schafften das in sturschädeligem Durchhalten gegen behördliche Trägheit und Unverständnis. Zu unser allen Glück.

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