Der Bestseller
Ganz Südtirol spricht über ein megaspannendes „Buch“, das eigentlich gar nicht in Umlauf sein dürfte.
von Artur Oberhofer
In der Regel ist es umgekehrt: Da fragen neugierige Bürger bei Journalisten nach, was in brisanten und/oder geheimen Dokumenten steht. Im Fall des abschließenden Berichtes der Ermittler im Fall Benko-Hager sind es ganz normale Bürger, die bei Journalisten nachfragen: „Hobt’s es des schun?“
Der Schlussbericht der Carabinieri-Sondereinheit ROS und des Nucleo NEF der Finanzpolizei von Trient zum Fall Benko-Hager dürfte derzeit das mit Abstand meistgelesene „Buch“ in Südtirol sein.
Ein absoluter Bestseller!
Das PDF des 1.168 Seiten starken Berichtes zirkuliert seit Tagen über WhatsApp. An Südtirols Stammtischen, in der Politik, in Wirtschaftskreisen und in den Redaktionsstuben wird über den Fall Hager-Benko debattiert und diskutiert.
Das Dokument erlaubt tiefe Einblicke in die vierjährigen Ermittlungen mit dem Aktenzeichen 5811/2019 und mit dem Codenamen „Romeo“, die von der Antimafia-Staatsanwaltschaft in Trient koordiniert wurden.
Der Schlussbericht der Ermittler liest sich wie ein Wirtschaftskrimi und beinhaltet all das, was ein Fan von authentischen Kriminalfällen braucht: Unzählige abgehörte Telefongespräche, Berichte zu Observierungen, Protokolle von streng geheimen Treffen und Aussprachen. Und dies alles fast schon romanesk und teilweise auch pointiert zugespitzt und aufbereitet – eben wie ein richtiger Krimi.
Wohl zum ersten Mal kann die breite Südtiroler Öffentlichkeit einen spektakulären Chronikfall faktisch in Realzeit miterleben und mitverfolgen.
Nach „Freunde im Edelweiß“ hat Südtirol jetzt eben die „Freunde im Rathaus“.
So locker und spannend sich der Abschlussbericht der Ermittler im Fall Hager-Benko die Öffentlichkeit liest, so groß ist das Dilemma für die Medien.
Seit der nach Justizminister Carlo Nordio benannten Reform, die im August dieses Jahres in Kraft getreten ist, ist die Veröffentlichung von Abhörprotokollen, auch auszugsweise, verboten. Es können nur mehr jene Abhörprotokolle verwendet bzw. veröffentlicht werden, die in einen Richterbeschluss (Haftbefehl usw.) oder später in eine Gerichtsverhandlung einfließen.
Auch die sinngemäße Wiedergabe von Inhalten aus Abhörprotokollen ist seit Inkrafttreten der Nordio-Reform verboten.
Was den Schlussbericht zur Operation „Romeo“ so prickelnd macht: Im Zuge ihrer vierjährigen Ermittlungen mit einem der größten Lauschangriffe in der Südtiroler Kriminalgeschichte haben die Carabinieri-Sondereinheit ROS und die NEF-Sondereinheit der Finanzwache auch unzählige Beifunde gemacht, die vielleicht strafrechtlich nicht relevant, die aber politisch hochbrisant sind.
Insbesondere für die Oppositionsparteien dürfte der Schlussbericht zur Causa Hager-Benko ein gefundenes Fressen darstellen. Einerseits werden auf der Grundlage der Ermittlungsberichte und -protokolle viele politische Vorgänge im Nachhinein besser verständlich.
Andererseits können die Oppositionsvertreter den politischen Gegner mit Anfragen usw. mächtig auf die Nerven gehen.
Kommentare (6)
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