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Die Blitz-Ermittlung

Bahnhof Kaiserau

Am 13. Jänner könnte das Urteil zum sexuellen Übergriff in Kaiserau gesprochen werden. Die Verteidigung setzt in ihrer Strategie auch auf einen möglichen Verfahrensfehler.

von Thomas Vikoler

Das hat es bisher nicht gegeben am Bozner Landesgericht – ein derartiger Medienauflauf wegen eines Falles von leichter sexueller Gewalt. Am Montagnachmittag ging – im Rahmen eines Schnellverfahrens – die bereits dritte Verhandlung zu einem Vorfall statt, der sich Ende Oktober im Bereich des Bahnhofs in Kaiserau ereignet haben soll.

Eine 14-jährige Boznerin wurde laut eigener Anzeige gegenüber der Polizei von einem Mann von hinten am Hals festgehalten und am Hintern begrapscht.

Eine Vergewaltigung im engeren Sinne, als welche sie in mehreren Medien dargestellt wurde, war das freilich nicht. Die Staatsanwaltschaft stuft den Vorfall, zu dem sie ein Schnellverfahren beantragte, als sexuelle Gewalt nach den Strafrechtsartikeln 609-bis und 609-ter ein.

Der mutmaßliche Täter, der 39-jähriger Pakistaner M.S., wurde festgenommen und sitzt weiter im Bozner Gefängnis in Untersuchungshaft. Er erinnert sich laut Aussage gegenüber seinem Anwalt Nicola Nettis an nichts.

Bei der Verhandlung am Montag vergangener Woche hatte Nettis für seinen Mandanten ein verkürztes Verfahren beantragt. Bei der gestrigen, bereits dritten Verhandlung bestätigte das Gericht unter Vorsitz von Walter Pelino diesen Verfahrensweg und vertagte auf den 13. Jänner, 14.30 Uhr.

An jenem Tag könnte bereits das Urteil zu diesem Aufsehen erregenden Fall – es folgten übereilte politische Statements und eine Solidaritätsveranstaltung für die 14-Jährige – fallen.

Doch es gibt weiterhin einige offene Punkte, die zu einer erheblichen Verlängerung des Prozesses führen könnten. Da ist einmal der Umstand, dass bisher seitens des mutmaßlichen Opfers lediglich einige Zeilen aus der Strafanzeige gegen Unbekannt vorliegen. Die Verteidigung hat wohlweislich auf eine Einvernahme der jungen Frau als Bedingung für das verkürzte Verfahren verzichtet.

Denn offenbar wurden bei der Blitz-Ermittlung von Polizei und Staatsanwalt Bestimmungen zum seit 2019 geltenden Codice Rosso für Fälle von sexualisierter Gewalt verletzt. Dieser sieht vor, dass Opfer innerhalb von drei Tagen ab Anzeigerstattung vom Staatsanwalt angehört werden müssen (was im konkreten Fall nicht passiert ist).

Die Anklage im Schnellverfahren könnte sich also als nichtig herausstellen.

Möglich ist aber auch, dass das Gericht auf der nächsten Verhandlung die Einvernahme der 14-Jährigen anordnet, denn bei einem verkürzten Verfahren müsste es allein aufgrund der vorliegenden Akten (sprich der Anzeige) über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von M.S. entscheiden.

Der zweite offene Punkt bezieht sich auf eine mögliche Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Dieser berichtete gegenüber seinem Anwalt von einem schweren Autounfall in Pakistan, der bei ihm eine Affektstörung mit Kontrollverlust zurückgelassen haben. Bis zur nächsten Verhandlung will ein psychologischer Sachverständiger der Verteidigung einen Bericht erstellen und auch eine Computertomographie durchführen.

Als Indiz für eine zumindest eingeschränkte Schuldfähigkeit sieht der Psychologe Claudio Fabricci den Umstand, dass M.S. laut Aussage seiner Zellengenossen, immer wieder nach seinen Verwandten ruft. Das Gericht könnte ein psychiatrisches Gutachten anordnen.

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