Die römischen Hürden
Der Abschluss der Autonomie-Verhandlungen mit der Regierung Meloni rutscht wohl auf Anfang 2025. Welche Schwierigkeiten den Prozess bremsen – und warum die entscheidende Hürde erst noch bevorsteht.
von Matthias Kofler
Arno Kompatscher will die Flinte nicht ins Korn werfen und bemüht sich, Zuversicht auszustrahlen: „Wir sollten das Eisen jetzt schmieden, solange es heiß ist“, sagt der Landeshauptmann, obwohl die Autonomie-Verhandlungen mit der Regierung Meloni in Rom nur schleppend vorankommen.
Am Montag fand im Ministerium für Regionen eine weitere Arbeitssitzung mit Vertretern der Regierung zur Reform des Autonomiestatuts von Südtirol und Trentino statt. Neben den Delegationen der beiden Provinzen nahmen auch der Kabinettschef von Minister Roberto Calderoli, Claudio Tucciarelli, und die Spitzenbeamtin im Rechtsamt des Ministerrats teil. Kompatscher beschreibt die Gespräche als „mühsam und zäh“.
Der Grund: Entgegen früheren Zusicherungen haben einige Ministerien ihre Gutachten zum Gesetzentwurf noch nicht vorgelegt. Dies macht die von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gegebene Zusage, den Text bis Ende November in den Ministerrat zu bringen, zunehmend unrealistisch. Die Vertreter des Staates schieben den Schwarzen Peter zurück an die Provinzen, die ihrerseits Änderungen am Ursprungstext eingebracht haben. Kompatscher bestätigt dies und erklärt, dass dies die Notwendigkeit von Umformulierungen mit sich bringe. Da sich die Regierung bislang inhaltlich nicht weit aus dem Fenster gelehnt hat, ist noch unklar, wie sie die einzelnen Punkte bewertet, bei denen Kompatscher und Co. eine „Wiederherstellung“ der seit der Verfassungsreform von 2001 verlorenen autonomen Kompetenzen anstreben. Besonders umstritten sind dabei die Bereiche Personal, öffentliche Vergabe, Umwelt und Raumordnung, für die verschiedene Ministerien noch Position beziehen müssen – etwa jene für Tourismus, Arbeit und Umwelt. Einige Ministerien hätten ihre Hausaufgaben gemacht, andere jedoch noch nicht, bedauert Kompatscher. Am Rande der Sitzung machten die Staatsvertreter auch deutlich, dass sie lieber einen fertigen Gesetzentwurf begutachten würden, anstatt über einzelne Teile ein Gutachten abzugeben. Schließlich habe man auch noch andere Dinge zu tun. Erst im Anfangsstadium der Verhandlungen sind jene Punkte, die über die „Wiederherstellung“ hinausgehen, vor allem die Fragen der Grenzen der Gesetzgebung und die Funktionsweise von Durchführungsbestimmungen. „Es ist spürbar, dass wir nun in der Phase sind, in der die Regierung Entscheidungen treffen muss. Das erschwert die Gespräche“, so Kompatscher. Die Regierungsvertreter behielten sich vor, noch interne Klärungen vorzunehmen.
Besonders umstritten sind das Einvernehmensprinzip, wonach Änderungen am Statut nur noch mit Zustimmung der Länder erfolgen können, sowie die rechtliche Aufwertung der Durchführungsbestimmungen. Von italienischer Verhandlungsseite heißt es, dass Ministerpräsidentin Meloni ihre Zusage rein auf die Wiederherstellung gemacht habe, alle anderen Punkte seien Verhandlungssache. Auf römischer Seite stellt man sich bereits auf einen harten Poker ein. Auch Kompatscher und seinem Team ist klar, dass der Verfassungsgesetzentwurf am Ende kein Wunschkatalog, sondern ein beinharter Kompromiss sein wird.
Denn in der nächsten Sitzung am 26. November werden erstmals die Forderungen behandelt, die Alessandro Urzì im Namen der Fratelli d’Italia einbringt. Dabei geht es einerseits um die Absicherung der italienischen Vertretung in der Landesregierung und in den Gemeindeausschüssen – unabhängig von der tatsächlichen Präsenz der Sprachgruppen in Landtag und Gemeinderat. Andererseits fordert Urzì, die vierjährige Ansässigkeitsklausel für das aktive Wahlrecht in Südtirol auf ein Jahr zu reduzieren. Dies könnte jedoch die deutsche Sprachgruppe schwächen. Deshalb muss auch die Schutzmacht Österreich ihren Sanktus dazu geben. Vor einem Vierteljahrhundert gab es bereits einen Notenwechsel zu dieser Frage zwischen den Außenministern Lamberto Dini und Benito Ferrero-Waldner, doch damals wurde das Thema nicht weiterverfolgt. In SVP-Kreisen ist man sich bewusst, dass ein Abschluss der Verhandlungen im November nicht mehr realistisch ist. Da im Dezember der Haushalt und danach die Weihnachtspause anstehen, ist ein frühestmöglicher Abschluss wohl erst zu Beginn des kommenden Jahres zu erwarten, vernimmt man aus der Brennerstraße.
Nach der Genehmigung des Entwurfes durch den Ministerrat müssen auch die beiden Landtage, der Regionalrat – und freilich auch Österreich – informiert und weitestmöglich eingebunden werden. Erfahrene Politiker in Rom sind wenig überrascht oder enttäuscht über diese Verzögerungen, da man weiß, dass in der Hauptstadt die Uhren anders ticken. „Wenn in Rom ein November-Termin genannt wird, musst du immer mit vier bis fünf Monaten Verspätung rechnen“, sagt ein Mitglied der SVP-Parteileitung mit einem Augenzwinkern. Kompatscher selbst räumt ein, dass es „theoretisch“ durchaus möglich wäre, die Verhandlungen in einer Woche abzuschließen, womit der von Meloni ins Spiel gebrachte Termin eingehalten würde. Doch je nachdem, wie die Ministerien sich positionieren, könne es auch „drei bis vier Wochen“ dauern. „Wir drängen auf einen zügigen Abschluss. Aber es geht uns nicht nur um Geschwindigkeit. Sonst hätten wir längst auf einige Forderungen verzichtet und den Prozess abgeschlossen“, so der Südtiroler Verhandlungschef.
Freilich hat es der Landeshauptmann durch seine eigenen Deadlines – zunächst Juni, dann Herbst, schließlich November – geschafft, sich und sein Team selbst unter Zugzwang zu setzen. Zudem hat er die Autonomie-Verhandlungen stark an seine eigene Person und die Bildung der Mitte-Rechts-Koalition in Südtirol gekoppelt, obwohl die Themen eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Mittlerweile scheint er sich jedoch von Ultimaten und Drohungen, die Landesregierung mit den Fratelli d’Italia zu Fall zu bringen, verabschiedet zu haben. „Es gibt keine unüberbrückbaren Divergenzen“, betont Kompatscher, ohne – aus Respekt vor den laufenden Verhandlungen – auf die genauen Inhalte und Knackpunkte einzugehen.
Nur so viel: „Es gibt verschiedene Sichtweisen.“ Die Ministerpräsidentin habe er bislang nicht kontaktiert. Andere in der Partei betonen, dass man der Regierung in Rom nicht vorwerfen könne, dass sie sich nicht bemühe, am Thema Autonomiereform zu arbeiten und baldestmöglich eine Lösung zu finden. Man könne jedoch auch nicht von ihr verlangen, in kürzester Zeit all das zu bewerkstelligen, was man jahrzehntelang auch mit Mitte-Links-Regierungen, mit denen man sogar detaillierte Wahlabkommen ausverhandelt habe, nicht umgesetzt habe. Dass eine Statutenreform notwendig sei, hätte man eigentlich schon seit den ersten „autonomiefeindlichen“ Verfassungsgerichtsurteilen von 2005 wissen müssen, erinnert ein SVP-Bezirksobmann. Doch die größte Hürde für die Reform steht noch bevor: die Debatte im Parlament, das – so berichten SVP-Abgeordnete – derzeit wahrlich wenig autonomieliebende Stimmung versprüht.
Das jüngste Verfassungsgerichtsurteil zur „Differenzierten Autonomie“ könnte diese Stimmung weiter anheizen. Nicht nur die Fratelli d’Italia, sondern auch der PD und der Movimento 5 Stelle könnten mit ihrer autonomiekritischen Haltung diesem Prozess noch Steine in den Weg legen. Erschwerend kommt hinzu, dass die fünf Sonderregionen inzwischen getrennt mit der Regierung verhandeln. Eifersüchteleien sind vorprogrammiert, und die anderen Regionen sind inhaltlich längst nicht so weit wie Südtirol und Trentino. Für eine Verfassungsreform braucht es eine doppelte Lesung in beiden Parlamentskammern – und die Hälfte der Legislaturperiode ist bereits um. „Wenn wir diese Reform durchbringen, wäre es ein großer Wurf“, sagt ein Beteiligter, drückt jedoch gleichzeitig auf die Euphoriebremse: „Wie realistisch das ist, können wir erst sagen, wenn der Text in den Gesetzgebungsausschüssen vorliegt.“
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Kommentare (5)
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criticus
Hindernisse über Hindernisse seitens der Brüder Italiens, da nützt auch der Pakt mit den Brüdern Italiens, die man in die Landesregierung hievte, gar nichts. Wie war das noch Ende November wird abgeschlossen hieß es vor gut einen Monat?
gulli
Dann hoffen wir mal, sehr geehrter Herr LH, daß es bis zum Auslaufen ihrer Amtszeit noch klappt…
saustall_kritiker
Es war doch abzusehen schon im Juni, als er auf September und dann November vertröstet wurde 🙁 . Viele hatten den LB vor dieser Koalition gewarnt, allen hat er was vorgemacht. Jetzt sieht es so aus, als würde er vor dem Auslaufen seiner Amtszeit in Rom schön gemütlich auflaufen……
artimar
„Brennerbassdemokratie“ hat es am 19.11.2024 mit der Titelung „Wiederherstellung durch Aushöhlung“ auf den Punkt gebracht: „Gegenleistung für die Rückgabe von Zuständigkeiten, die Südtirol zustehen und im Grunde — weil im Widerspruch zur Streitbeilegung von 1992 — widerrechtlich beschnitten wurden , verlangen die italienischen Rechte auch noch eine Beschneidung des Minderheitenschutzes. So will Alessandro Urzì ( FdI ) die Abschaffung der vierjährigen Ansässigkeitsklausel , die Senkung der Schwellen zur Ernennung von Referentinnen italienischer Muttersprache in den Gemeinden und eine stärkere Vertretung der italienischen Sprachgruppe in der Landesregierung. Da für letztes der Proporz gilt, geht das nur, indem man die beiden anderen Sprachgruppen – auch die Minderheiten – diskriminiert.
Absurd und widersinnig: »Minderheitenschutz« zu Lasten der nationalen Minderheiten und zugunsten der Staatsbevölkerung . Den italienischen Mitbürgerinnen würde man so außerdem das demokratische Recht verwehren, sich – wenn sie es wünschen – von Deutschsprachigen vertreten zu lassen.“
Wetten, dass man auch das der dt./lad. Minderheitenbevölkerung in Italien als großen Erfolg verkauft.
brutus
Ankündigungspartei par excellence!