Sarner Manöver
Beim neuen Gemeinden-Gesetz haben Arno Kompatscher und Franz Locher alles auf eine Karte gesetzt – und gewonnen. Die Hintergründe eines politischen Schachzugs, der seinesgleichen sucht.
Von Matthias Kofler
Es ist schon weit nach 21 Uhr, als Präsident Roberto Paccher das Votum zum Lega-Antrag freigibt. Dass dieses Manöver nicht seit Langem geplant war, sondern in letzter Minute in den Hinterzimmern des Palazzo Dante in Trient eingefädelt wurde, zeigt die verdutzte Reaktion von Daniel Alfreider. Der SVP-Präsidialsekretär blickt unsicher in die Runde und fragt: „Wie stimmen wir hier ab?“ Dann dreht er sich zum Gemeindenassessor: „Locher?“ Doch die Antwort kommt prompt von Sitznachbar Sepp Noggler: „Verde.“ Die SVP-Fraktion stimmt geschlossen für den Antrag des Koalitionspartners – mit Ausnahme von Franz Locher, der sich als einziger in der 13-köpfigen SVP-Fraktion enthält.
Doch die SVP-Stimmen allein reichen nicht. Landeshauptmann Maurizio Fugatti verliert die wichtige Abstimmung, weil die Opposition geschlossen mit Nein stimmt – und ausgerechnet die Koalitionspartner im Trentino – Fratelli d’Italia, Civica und PATT – sich der Opposition anschließen. Das Ergebnis: 26 Ja-Stimmen, 36 Nein-Stimmen. Der Antrag zur Aufstockung der Mandatsbeschränkung für Bürgermeister in Gemeinden über 15.000 Einwohner scheitert.
Eine einkalkulierte Niederlage
Noch nie hat sich eine vermeintliche Abstimmungsniederlage für die SVP so sehr wie ein Sieg angefühlt. Denn das Scheitern des Lega-Antrags bedeutet, dass das neue Gemeindegesetz vollumfänglich die staatliche Regelung zu den Amtszeiten für die Bürgermeister übernimmt. So wie es die SVP-Parteileitung ihren Mandataren am Montag aufgetragen hatte: unbegrenzte Amtszeiten für Bürgermeister in Gemeinden bis 5.000 Einwohner, drei Amtsperioden bis 15.000 Einwohner und zwei für größere Städte. Auch die Mandatsdauer für Gemeindereferenten wird nicht mehr beschränkt. Das Verfassungsurteil zu Sardinien, das für autonome Regionen keine Ausnahmen zulässt, wird damit voll akzeptiert.
Nach der spannungsgeladenen Nachtsitzung des Regionalts zeigt sich Locher sichtlich erleichtert: „Endlich haben wir die Rechtssicherheit, die die Gemeinden dringend brauchen.“ Eine Verschiebung der Wahlen vom Mai auf den Herbst kam für den Sarner nie in Frage. „Die Gemeinden brauchen jetzt Gewissheit.“
Fugatti verzockt sich
Locher wundert sich noch immer, wie leicht Fugatti sich über den Tisch ziehen ließ: „Er hat sich komplett verkalkuliert.“ Vor der Abstimmung hatte Locher bei der Opposition sondiert: Team K, Grüne und die deutsche Rechte versicherten ihm, nicht für eine dritte Amtszeit für den Bozner und den Brunecker Bürgermeister, Renzo Caramaschi und Roland Griessmair, zu stimmen. „Das Gesetz wäre dann noch schlechter geworden“, erklärten Brigitte Foppa und Paul Köllensperger. Sie setzen sich dafür ein, auch in kleinen Gemeinden eine Mandatsbeschränkung beizubehalten, um frischen Wind zu ermöglichen. Locher sagt, er hätte es auch gerne so. Als Bürgermeister habe er stets junge Leute in den Ausschuss geholt. Die Gemeindewahlen im Mai seien nun die Gelegenheit, dies zu beweisen. Sollte der Ministerrat später eine Durchführungsbestimmung bewilligen, die der Region mehr Gestaltungsspielraum einräumt, könnte man in Kleingemeinden irgendwann wieder Limits festlegen – allerdings frühestens für Wahlen nach 2025, kündigt der Sarner an.
Der Preis des Kompromisses
Zurück zur Abstimmung: Landeshauptmann Arno Kompatscher gibt Einblicke in die schwierigen Verhandlungen: „Im Gegensatz zur Opposition, die Populismus betreiben kann, tragen wir die Verantwortung, ein solides Gesetz zu verabschieden und für Rechtssicherheit zu sorgen. Deshalb haben wir in den sauren Apfel gebissen und Fugatti klar gemacht, dass er eine Mehrheit für seinen Antrag finden muss.“ Die SVP sah das Votum als „kleineres Übel“, das nur Bozen und Bruneck betroffen hätte, anstatt das Risiko einzugehen, dass Rekurse alle 116 Gemeinden betreffen. „Wir können den Bürgermeistern nicht zumuten, Baukonzessionen zu erlassen oder Haushalte zu verabschieden, nur um dann festzustellen, dass der Gemeinderat aufgelöst wird, weil das Gesetz gerichtlich nicht standhält“, betont Locher.
Die Fratelli wittern ihre Chance
Der risikoreiche Plan der SVP ging auf. Selbst Fugattis Koalitionspartner – darunter die Fratelli d’Italia – stimmten gegen seinen Antrag. Aus Eigeninteresse: Die FdI wollen Renzo Caramaschi in den Ruhestand schicken und den nächsten Bozner Bürgermeister stellen. Auch Fugatti selbst wird immer isolierter. Seine Stellvertreterin, „Sorella“ Francesca Gerosa, hat bereits signalisiert, dass sie 2028 seine Nachfolge antreten will. In dieser Frage interessiert die Meloni-Partei der autonome Sonderweg wenig.
Die Opposition sieht das Vorgehen der SVP kritisch. „Nach dem Sardinien-Urteil mahnte SVP-Stratege Karl Zeller, dass wir schnellstmöglich die Gesetzgebungskompetenzen für Mandatsbeschränkungen zurückgewinnen müssen“, erinnert Andreas Leiter Reber von der Freien Fraktion. Doch bei den laufenden Autonomie-Verhandlungen mit Rom sei das kein Thema. Auch Philipp Achammer, früherer JG-Chef, habe sich für Mandatsbeschränkungen eingesetzt, diese aber jetzt mit seiner Stimme aufgehoben. Die Schwierigkeit, geeignete Kandidaten zu finden, liege nicht an der Mandatsbeschränkung, sondern an der Gestaltung der Politik, so Leiter Reber.
Abstimmung um Mitternacht
Um 23 Uhr ruft Paccher zur Endabstimmung, doch Fugatti, sichtlich aufgebracht, fordert eine weitere Krisensitzung. Er droht, gegen das Gesetz zu stimmen, da sein „autonomer Weg“ gescheitert ist. Nach einer weiteren Stunde Diskussion besteht die SVP auf der Vereinbarung. Kurz vor Mitternacht fällt die Entscheidung: Das „Locher-Gesetz“ wird mit 29 Ja-Stimmen, 23 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen verabschiedet. Die Lega enthält sich geschlossen und gibt der Reform widerwillig ihren Segen.
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