„Wer im Glashaus sitzt …“
Ex-Senator Karl Zeller kritisiert die Querschüsse von Alt-LH Luis Durnwalder und verteidigt Arno Kompatschers Autonomie-Kurs: Warum die geplante Reform, sollte Giorgia Meloni sie absegnen, einem „halben politischen Wunder“ gleichkäme.
Tageszeitung: Herr Zeller, Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder hat öffentlich Kritik an Arno Kompatschers Bemühungen zur Wiederherstellung der autonomen Kompetenzen geäußert und fordert mutigere Schritte. Weshalb verfolgt Kompatscher in Rom nicht entschiedener den „großen Wurf“?
Karl Zeller: Ich habe den Eindruck, dass hier wieder politische Kampagnen angeheizt werden. Man sollte aber bei den Fakten bleiben: Als Kompatscher Ende 2013 sein Amt übernahm, waren wesentliche Kompetenzeinschränkungen bereits durch Verfassungsgerichtsurteile besiegelt, und das Mailänder Abkommen, das Durnwalder in gutem Glauben verhandelt hatte, war löchrig wie ein Sieb und wurde von Rom unterlaufen, bevor die Tinte überhaupt getrocknet war. Silvio Berlusconi und später Mario Monti kürzten unseren Haushalt Jahr für Jahr um 50 bis 100 Millionen Euro. Durnwalder trägt dafür keine Schuld – sein Nachfolger aber noch weniger.
Wäre es nicht denkbar, die Autonomie entschlossener zu verteidigen?
Die Autonomie ist ein dynamischer Prozess, bei dem nicht immer alles so läuft, wie man es gerne hätte. Kompatscher hat mit dem Sicherheitspakt 2015 entscheidende Schritte gesetzt: Unser Haushalt steht seither auf sicheren Beinen, mit jährlichen Rekordhaushalten. Es stimmt, dass seit der Verfassungsreform von 2001 durch Verfassungsgerichtsurteile Kompetenzen in Bereichen wie Personal und öffentliche Verträge verloren gingen, weshalb Durnwalder bereits ab 2009 das Staatsrecht anwandte. Kompatschers Reform zielt darauf ab, genau diese Kompetenzen zurückzuholen. Die Behauptung, die Autonomie sei unter seiner Ägide sukzessive ausgehöhlt worden, ist schlichtweg falsch – das Gegenteil ist der Fall: In den letzten zehn Jahren haben wir in Südtirol zahlreiche neue Zuständigkeiten übernommen, vom Verwaltungsgerichtspersonal über den Stilfser Joch Nationalpark und die Jagd von Murmeltieren und Steinböcken bis zur Urbanistik und den großen Wasserleitungen. in meiner Zeit in der Sechserkommission versuchte ich auch, mit einer neuen Durchführungsbestimmung die öffentlichen Verträge wieder nach Südtirol zu holen, jedoch wurde dieser Versuch durch ein Urteil des Verfassungsgerichts zunichtegemacht. Der Unterschied? Ich hatte damals 20 Senatoren hinter mir und war wesentlicher Teil der Regierungsmehrheit. Die politische Realität heute sieht anders aus: Die SVP hat in Rom keine entscheidende Position mehr, und auch die lokale Mehrheit in Südtirol lässt sich nicht eins zu eins auf die römischen Verhältnisse übertragen. Autonomie ist eben kein Wunschkonzert – deshalb sollte man mit den Füßen am Boden bleiben. Umso bedauerlicher, dass es immer wieder Querschüsse aus den eigenen Reihen gibt.
Warum fährt Durnwalder seinem Nachfolger ausgerechnet jetzt in die Parade?
Durnwalder hat stets das pragmatische „Magnago-Motto“ befolgt: Blumen am Wegesrand pflücken, statt den ganzen Strauß zu verlangen. Er ist ein Pragmatiker und weiß genau: Wer in Rom zu viel Fleisch auf den Grill wirft, riskiert, dass am Ende alles verbrennt. Dennoch hat er 2013 kein gut bestelltes Haus an seinen Nachfolger übergeben. Kompatscher konnte einige der Probleme reparieren; andere Schritte sollen nun folgen. Die anstehende Reform ist jedoch eine schwierige Operation, da sie als Verfassungsgesetz, mit dem wir unsere Durchführungsbestimmungen vor Urteilen des Verfassungsgerichts absichern, zwei Parlamentsdurchgänge erfordert – und jede Sonderregion jetzt allein verhandeln muss. Da ist es nicht fair, wenn Durnwalder heute das Haar in der Suppe sucht, das er in seiner Amtszeit auch nicht fand. Wer im Glashaus sitzt …
Auch der Verfassungsrechtler Peter Hilpold sieht die Reform kritisch und hält sie für europarechtswidrig. Was entgegnen Sie seiner Einschätzung?
Hilpold, mein Nachfolger am Institut für Völkerrecht an der Uni Innsbruck, sollte wissen, dass auch künftig keine Durchführungsbestimmung gegen EU-Recht, das Autonomiestatut oder die italienische Verfassung verstoßen darf. Die Unterstellung, wir wollten das Verfassungsgericht „aushebeln“, entbehrt jeglicher Grundlage.
Ihre ehrliche Einschätzung: Wie realistisch ist die Wiederherstellung der Autonomie unter der Regierung Meloni?
Wenn das gelingt, wäre das unter den aktuellen Umständen ein halbes politisches Wunder. Die Zeiten haben sich geändert, und die SVP-Stimmen sind in Rom nicht mehr ausschlaggebend. Jede Kompetenz, die wir zurückgewinnen oder dazubekommen, ist ein Erfolg. Jeder, der das Gegenteil behauptet, kennt die Realitiät – auch wenn er öffentlich etwas anderes behauptet.
Interview: Matthias Kofler
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