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Influencer statt Ärzte

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Im letzten Jahr erzielten gesundheitsbezogene Videos auf YouTube etwa 300 Milliarden Aufrufe. Besonders Jugendliche werden von diesen Inhalten angezogen. Mit Risiken.

von Nadia Tinkhauser

Gesundheitsinfluencer haben sich zu einer mächtigen Stimme in der digitalen Welt entwickelt: Eine aktuelle Studie zeigt, dass 75 Prozent der 15- bis 25-Jährigen angeben, Influencern auf sozialen Medien zu folgen, wobei 30 Prozent explizit Gesundheitsinfluencern ihre Aufmerksamkeit schenken. Allein auf YouTube verzeichneten gesundheitsbezogene Videos im vergangenen Jahr rund 300 Milliarden Aufrufe, wie Götz Gottschalk, Leiter der Gesundheitsabteilung bei YouTube, betonte.

Dieses Phänomen wirft die Frage auf: Woher kommt das zunehmende Interesse an Gesundheitsinfluencern?

„Psychologisch gesehen lässt sich dieses Interesse auf ein wachsendes Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Kontrolle über die eigene Gesundheit zurückführen. Menschen möchten aktiv an der Gestaltung ihrer Gesundheit teilnehmen und suchen nach verständlichen, leicht zugänglichen Informationen. Gesundheitsinfluencer bieten dabei Inhalte, die emotional ansprechend und einfach konsumierbar sind“, erklärt Sabine Cagol, Psychologin und Psychotherapeutin aus Bozen.

Besonders junge Menschen zeigen ein gesteigertes Interesse an Gesundheitsthemen und nutzen vermehrt soziale Medien als Informationsquelle. Laut Cagol befindet sich diese Altersgruppe in einer intensiven Phase der Identitätsbildung, in der körperliche Gesundheit und Aussehen zentrale Themen darstellen. „Soziale Medien bieten hierbei ein Umfeld, in dem Gesundheit als Lifestyle propagiert und durch Mechanismen wie Likes, Kommentare und Follower Anreize zur Auseinandersetzung mit Gesundheit geschaffen werden“, so die Psychologin.

Ein weiterer Faktor, der die Beliebtheit von Influencern erklärt, ist ihre Art der Vermittlung. „Influencer vermitteln ihre Inhalte auf eine emotional ansprechendere und weniger formelle Art, die es jungen Menschen ermöglicht, sich mit ihnen zu identifizieren.“ Traditionelle medizinische Institutionen hingegen würden „oft als unpersönlich und bürokratisch wahrgenommen, während die direkte Interaktion mit Influencern in den sozialen Medien einen einfacheren Zugang zu Informationen bietet“, führt Cagol aus.

Allerdings ist die Verbreitung von Gesundheitsinformationen durch nicht ausgebildete Fachkräfte nicht ohne Risiken. „Ohne fundiertes Wissen können Influencer irreführende oder sogar schädliche Ratschläge geben, die falsche Überzeugungen und gefährliche Verhaltensweisen hervorrufen können“, warnt die Psychologin. Die Algorithmen sozialer Medien würden dieses Problem noch verschärfen, da sie „Inhalte basierend auf Popularität und nicht auf wissenschaftlicher Fundierung verbreiten“.

Dies könne „zu einer Fehlinformationsspirale führen, in der falsche Gesundheitsratschläge sich systematisch verbreiten und etablieren. Zudem schwächt es die Autorität von Fachleuten, die auf validiertes Wissen angewiesen sind“, bedauert Cagol.

Durch den Einfluss von Gesundheitsinfluencern neigen viele Menschen dazu, sich Selbstdiagnosen zu stellen. Dies habe Konsequenzen, wie Cagol erklärt: „Es entsteht sozusagen ein Parallelgesundheitssystem, indem medizinische Fachkräfte umgangen werden. Denkt man hier weiter, kann dies zu einer Dysfunktionalität im Gesundheitssystem führen, da Menschen nicht mehr als Patienten in das formale medizinische System eintreten und dadurch notwendige medizinische Interventionen ausbleiben. Langfristig könnte dies zu einer Überlastung des Systems führen, wenn Fehldiagnosen erst in einem späten Stadium korrigiert werden müssen.“

Daher sei es umso wichtiger, sich an ausgebildete Fachkräfte zu wenden. „Viele fühlen sich als Alltagspsychologen und glauben leider, sie wären in der Lage, in psychologischen Themengebieten hilfreich zu intervenieren“, so Cagol. Sie weist darauf hin, dass man in Italien, um als Psychologe arbeiten zu dürfen, ein anerkanntes Studium sowie das Staatsexamen absolvieren muss. Psychologen unterliegen einem strengen ethischen Kodex, der ihr Verhalten und ihre Verantwortung gegenüber Klienten und der Öffentlichkeit regelt. Verstöße gegen diesen Kodex können Disziplinarmaßnahmen zur Folge haben. „Sich an Fachpersonen zu wenden, die einen Beruf ausüben, der auf diese Weise geregelt ist, lohnt sich deshalb auf jeden Fall“, betont die Psychologin.

Abschließend plädiert Cagol für Regulierungsmaßnahmen, um das Problem anzugehen: „Ich denke, die beste Art, Jugendliche zu schützen, bleibt, sie dahingehend zu fördern, kritisches und selbstverantwortliches Denken und Handeln zu entwickeln. Außerdem sollten sie Kontexte erleben, wo sie den Mehrwert einer dialogischen Auseinandersetzung mit einem analogen Gegenüber erfahren. Das kann Social Media nicht bieten.“ Zudem könnte eine Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsministerien, unabhängigen Prüforganisationen und Plattformen hilfreich sein. „Vielleicht könnten Informationen mit einem Qualitätssiegel versehen werden und Labels für nicht geprüfte Gesundheitsinhalte einführen, ähnlich wie es bei Fake News bereits geschieht. Dies würde es erleichtern, zwischen vertrauenswürdigen und unsicheren Quellen zu unterscheiden und Gesundheit fördern“, schließt Cagol ab.

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