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„Reine Symbolpolitik“

Wie Rechtsanwalt Nicola Canestrini den Streit zwischen Regierung und Justiz hinsichtlich der Asylzentren in Albanien einschätzt.

von Sandra Fresenius

Ende vergangenen Jahres hat Italien mit Albanien zum Zweck der Auslagerung von Asylverfahren und der Erleichterung von Abschiebungen vereinbart, zwei Zentren für Migranten außerhalb der Europäischen Union auf albanischen Boden zu errichten. Diese sollen jedoch unter italienischer Gerichtsbarkeit stehen und von italienischem Personal betrieben werden. Ausgenommen von der Unterbringung in Albanien sind lediglich ältere Menschen, Kinder oder schwangere Frauen sowie schutzbedürftige Personen. Damit möchte Italien bei der Eindämmung von illegaler Migration und der Stärkung der EU-Außengrenzen eine Vorreiterrolle für andere Länder übernehmen. Vor rund einer Woche nun traf in Albanien eine erste Gruppe von 16 Männern – sieben aus Bangladesch und fünf aus Ägypten – ein, damit italienische Beamte vor Ort im Schnellverfahren deren Asylanträge prüfen können. Nach Italien dürften sie nur, wenn ihnen Asyl gewährt wird. Andernfalls würden sie direkt von Albanien aus wieder abgeschoben. Doch es kam anders. Ein Gericht in Rom hat die Inhaftierung der Migranten für unrechtmäßig erklärt und sie zurück in die Hafenstadt Bari in Süditalien geschickt, wo nun über ihr weiteres Schicksal entschieden wird.

„Gemäß dem Abkommen zwischen Albanien und Italien dürfen nur diejenigen Asylbewerber nach Albanien abgeschoben werden und dort nach Prüfung ihres Asylantrags einem beschleunigtem Abschiebeverfahren ausgesetzt werden, die aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen“, erklärt Rechtsanwalt Nicola Canestrini. Bei seinem Urteilsspruch beruft sich das italienische Gericht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 4. Oktober, das besagt, dass ein EU-Mitglied ein Herkunftsland nur dann als sicher einstufen kann, wenn die Bedingungen dafür im gesamten Hoheitsgebiet des Landes erfüllt sind.

„Jeder Staat kann für sich definieren, welche Länder als sicher und welche als unsicher gelten“, weiß der Anwalt. So hätte das italienische Außenministerium 2023 eine Liste mit sicheren Herkunftsländern aufgestellt. Auf Antrag des Innenministeriums seien auch Bangladesch und Ägypten in diese Auflistung eingefügt worden, obgleich die Regierung selbst einräumen musste, dass diese beiden Länder in einigen Landesteilen als nicht sicher einzustufen sind. „Die italienische Regierung hat dies dennoch nicht berücksichtigt beziehungsweise sich über dieses Wissen hinweggesetzt, weil sie ihre politischen Wünsche vor Recht und Gesetz stellt“, meint Canestrini.

Auch nach dem Urteilsspruch aus Rom will die Regierung Meloni an ihrem Kurs festhalten und will nun die überarbeitete Liste der sicheren Herkunftsländer in ein Gesetz aufnehmen lassen – und nicht wie bisher durch einen Ministerialerlass niedrigeren Ranges festlegen lassen. „Dabei geht die Regierung zu Unrecht davon aus, mit diesem Dekret das Problem zu lösen, denn das Unionsrecht hat Vorrang vor dem nationalen Recht und sogar gegenüber der italienischen Verfassung. Das lernt jeder Jura-Student bereits im ersten Jahr“, so der Anwalt.

Der Beschluss des Gerichts in Rom stellt folglich für die Regierung einen herben Rückschlag dar – ganz zu schweigen von den enormen Kosten, die diese Vereinbarung mit Albanien und die Errichtung der Lager gekostet haben. Ob die Regierung die Schwierigkeiten, die mit der Errichtung des Aufnahmelagers in Albanien einhergehen, unterschätzt hat, sei schwer einzuschätzen, meint Canestrini: „Für die Politik ist es wichtig, das Gesicht zu wahren, auch wenn sie nicht gewusst haben sollte, dass die EU-Rechtsprechung nicht nur für Richter, sondern auch für Regierungen bindend ist. Anstatt sich aber zu schämen, bezieht man sich jetzt auf ein angebliches Komplott, um politische Vorteile herauszuschlagen. Bei der Idee eines albanischen Aufnahmelagers handelt es sich jedoch zu hundert Prozent um reine Symbolpolitik.“ Immerhin würde eine Aufnahme in die albanischen Asyllager lediglich rund 300 Migranten pro Jahr betreffen – von etwa insgesamt 150.000 Migranten. Die ganze Idee würde daher den Staat Unmengen an Geld kosten, dafür dass „die Regierungsmitglieder in jeder Debatte und jeder Talkshow angeben können, sie hätten die Lösung in der Migrationsproblematik gefunden“, so Canestrini.

Stattdessen müsste den Asylbewerbern, die, indem sie einen Asylantrag stellen, ein Grundrecht ausüben, einen Weg geben, legal nach Italien oder Europa zu kommen, um dort ihren Asylantrag in einer angemessen Zeit auswerten zu können. Die seit Jahrzehnten vorhandene und stetig zunehmende Migrationswelle sollte nicht mehr als ein Notzustand eingestuft werden, sondern einfach besser geregelt sein, plädiert der Anwalt.

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