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Anrufung gegen die „Achse des Bösen“

Vokalensemble AllaBreve in der Pfarrkirche Niederlana: Das klug über die Jahrhunderte verteilte Programm und die gezielt zu den Gesängen verlesenen Texte verbreiteten in der Kirche eine solche Aura der Fassung und Innerlichkeit, dass einigen Zuhörern die Tränen kamen.

Ein Friedenskonzert zu gegebenem Anlass mit dem Südtiroler Vokalensemble „AllaBreve“ in der Pfarrkirche von Niederlana.

Von Hubert Stuppner

Das Anliegen des 1997 gegründeten Südtiroler „AllaBreve-Vokalensembles“ ist nach eigenen Worten das „Feilen an Intonation, klanglicher Homogenität und ausdrucksstarker Interpretation unter professioneller Anleitung.“ Das Konzert, das der Chor am letzten Samstag auf Einladung von „LanAntiqua“ in der Pfarrkirche von Niederlana für ein zahlreiches Publikum sang, war jedoch mehr als nur professionell geschulte Vokalität, es  ging in Zeiten wie diesen, unter dem Motto „sed libera nos a malo“ „Trauer zu lindern und Trost zu spenden“. Also nicht „exercitium vocale“ allein, sondern „consolatio in tempore belli“.

Wenn man jedoch weiß, dass dieses umfangreiche und vielstimmige Programm von der ständigen Leiterin des Chores, Nataliya Lukina aus Karkiv, zusammengestellt wurde, der Märtyrerstadt in der östlichen Ukraine, darf man das Konzert getrost als eine christliche Anrufung gegen die gegenwärtige „Achse des Bösen“ verstehen, gegen die Racheengel im Nahen Osten und gegen den russischen Antichristen, den kaukasischen Dracula, der ganze Landstriche verwüstet und noch immer nicht zu Fall gebracht wurde.

Das Konzert war inhaltlich und stilistisch auch ein ökumenisches, mit katholischen, protestantischen, anglikanischen und calvinistischen Gesängen, die sich wie ein Kranz um das katholische Kyrie, Credo, Sanctus, Agnus Dei und Benedictus der doppelchörigen „Messe pour double choeur“ von Frank Martin rankten. Zwischen den einzelnen Chören ließ die Leiterin Lukina überdies sinnschwere Texte vorlesen, welche die empathische Wirkung des Konzerts zusätzlich verstärkten und die verschiedenen Anrufungen der Chöre inhaltlich verdeutlichten, am deutlichsten im zentralen 43.Psalm von Mendelssohn, in dem der altbiblische Rächer-Gott angerufen wird: „Richte mich Gott und führe meine Sache gegen das unheilige Volk…Und errette mich von falschen und bösen Menschen…denn du bist der Gott meiner Stärke.“

Nach dem Kyrie von Frank Martins Messe (des Sohnes eines Schweizer calvinistischen Pastors und Lehrers von K.H. Stockhausen), trug der Chor das „Pater noster“ des Olmützer Hof- Komponisten Jacobus Gallus (1550-1591) vor, ein achtstimmiges responsorisch angelegtes Renaissance-Werk, an dem ein ostinater Sekundvorhalt auf der sechsten Stufe zur Dominante wie eine Anrufung in Not klingt. Anschließend das „Libera nos“ des englischen Meisters John Sheppard (1515-1558), dessen Schaffensperiode in die stürmischen Jahre der anglikanischen Reformation fiel, in denen der Untergang der katholischen Mehrstimmigkeit in England nicht mehr zu verhindern war. Ein eindringliches Werk mit ostinat flehenden Rufquarten und Klage-Terzen im Diskant. Nach dem jubelnden „Gloria“ der Frank Martin – Messe folgten das „Vater Unser“ und das „Verleih uns Frieden“ des Protestanten Heinrich Schütz (1585-1672), zwei zuversichtliche Gebete, durchgehend in Dur, die als positiver Pol zwischen Bangen und Friedensverlangen gut zur Dramaturgie des Konzerts passten.
Nach Frank Martins „Credo“ bekam das zahlreiche Publikum das herrliche „Hear My Prayer, O Lord“ des anglikanischen Barock- Komponisten Henry Purcell (1659-1695) zu hören: eine eindrückliche musikalische Anrufung im Oktavraum eines diatonisch und chromatisch changierenden „d“-Molls, ein eindrucksvolles Stück zu „Aus der Tiefe ruf ich Herr zu Dir“, jammernd über die Oktave hinaus und dann wieder resigniert zum Eingangs-Unisono auf „d“ zurück sinkend. Darauf folgte nach Frank Martins Sanctus Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847) „Richte mich Gott“, ein Synagogen-Gesang gläubiger Juden im 19. Jahrhundert, die ungeachtet ihrer zivilen Assimilierung im deutschen Königreich, ihrem Glauben und ihren alttestamentarischen Anrufungen nicht abschworen.
Auf das „Agnus Die“ folgte schließlich das „Ubi Caritas“ des amerikanischen heute 80-jährigen amerikanischen Komponisten Morten Lauridsen, des unlängst zum „American Choral Master“ ernannten prominenten Kirchen-Komponisten: eine eindringlich psalmodierende Polyphonie, in der Rufquarten und große Sekund-Vorhalte emotional aufgeladen die Einheit in Christo beschwören: „Congregavit nos in unum Christum. Deus ibi est!“

Das klug über die Jahrhunderte verteilte Programm und die gezielt zu den Gesängen verlesenen Texte verbreiteten in der Kirche eine solche Aura der Fassung und Innerlichkeit, dass einigen Zuhörern die Tränen kamen. Das kann Vokalmusik, wenn sie kunst- und ausdrucksvoll den stimmlich gebildeten Sängern über die Lippen und von Herzen kommt. Wie bei diesem einzigartigen Vokalensemble, das unter der Leitung von Nataliya Lukina jedes noch so schwierige Repertoire angeht und bewältigt. Eine Leistung, die umso erstaunlicher ist, als die Mitglieder des Ensembles, die zivilen Berufen nachgehen, nur zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen singen und als Verein neben geringen öffentlichen Zuwendungen hauptsächlich von freien Spenden der von ihrem Gesang beglückten Zuhörer überleben. Aber, wie heißt es: „Nemo propheta in patria.“, vor allem in einem Land, wo Pfauen ein großes Rad drehen und ihren Auftritt immer auch an die große Presse hängen, während andere, die mit Engelszungen singen und im Stillen an der Kunst feilen, bescheiden ihr Licht unter den Scheffel stellen.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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