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„Wird auf dem Schlachtfeld entschieden“

Ist im russisch-ukrainischen Krieg ein Frieden in Sicht? Der Wiener Russland-Experte Alexander Dubowy erklärt, warum ein Friedensgipfel nichts bringen würde, warum der Westen strategielos wirkt und wie sich die US-Wahl darauf auswirken könnte.

Tageszeitung: Herr Dubowy, in den vergangenen Wochen wurde viel über einen möglichen Friedensgipfel zum Ukraine-Krieg gesprochen. Kommt dieser tatsächlich zu Stande?

Alexander Dubowy: Mitte Juni 2024 fand ein internationaler Friedensgipfel in der Schweiz statt, und eine Fortsetzung dieser Initiative ist durchaus wahrscheinlich. Da Russland seine Teilnahme erneut abgesagt hat, dürften die Ergebnisse, ähnlich wie im Juni, begrenzt bleiben. Dennoch sind selbst symbolische Errungenschaften für die Ukraine in der aktuellen Kriegsphase von großer Bedeutung. Politik ist schließlich die Kunst des Möglichen, nicht des erträumt Wünschenswerten. Und der Wert von Symbolik inmitten eines intensiven politisch-militärischen Konflikts sollte keinesfalls unterschätzt werden.

Wie entscheidend kann ein Friedensgipfel zum aktuellen Zeitpunkt für den Frieden sein?

Es darf nicht übersehen werden, dass der Ausgang dieses Krieges nicht auf internationalen Gipfeltreffen oder Kongressen, sondern auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Die zentrale Frage bleibt, ob die Friedensverhandlungen den Begriff „Frieden“ tatsächlich verdienen. Eine echte Verhandlungslösung wird es nur nach einer militärischen Schwächung Russlands und einer Pattsituation an der Front geben können. Die westliche Unterstützung für die Ukraine, der Ausbau der Waffenlieferungen sowie die Ermöglichung, diese auch gegen Militärobjekte auf russischem Boden einzusetzen, sind dabei von entscheidender Bedeutung.

Putin scheint von seinen Forderungen nicht abweichen zu wollen. Ist unter diesen Voraussetzungen ein Frieden überhaupt realistisch?

Russland hält starr an seinen Maximalforderungen, darunter vor allem den Territorialansprüchen, fest, verfolgt gegenüber Kyjiw einen Gewaltfrieden und weist sämtliche Friedensinitiativen, die davon wesentlich abweichen – darunter auch die jüngsten Vorschläge von Bundeskanzler Olaf Scholz – konsequent zurück. Eine nachhaltige diplomatische Lösung des Ukrainekrieges bleibt damit weiterhin außer Reichweite. Solange sich die militärische Lage nicht eindeutig zu Ungunsten Russlands wendet, wird sich daran voraussichtlich nichts ändern.

Sollte die Ukraine angesichts des Starrsinns Russlands ihre Verhandlungspositionen überdenken?

Das halte ich für grundlegend falsch. Zwar ist die Kriegsmüdigkeit in der ukrainischen Bevölkerung nach über zweieinhalb Jahren russischer Invasion spürbar gestiegen, doch bleibt die Bereitschaft zu Zugeständnissen, insbesondere zum Gebietsverzicht, für die Mehrheit inakzeptabel. Die Vorstellung, dass der Klügere oder auch der vermeintlich Schwächere immer und um jeden Preis nachgeben müsse, ist kindlich naiv. So funktioniert Friedensdiplomatie nicht. Ein erhöhter Druck auf die Ukraine durch die westlichen Verbündeten würde nicht zu größeren Verhandlungserfolgen führen, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit einer innenpolitischen Destabilisierung steigern, die das russische Regime mit Sicherheit auszunutzen versuchen wird.

Der ukrainische Präsident war in den vergangenen Tagen in verschiedenen Ländern in Europa zu Gast und hat dabei seinen „Siegesplan“ präsentiert. Können Sie erklären, was dieser Siegesplan beinhaltet?

Wolodymyr Selenskyj stellte gestern seinen Friedensplan dem ukrainischen Parlament vor, wobei einige zentrale Punkte der Friedensinitiative vom September 2022 erneut aufgegriffen wurden. Der Plan umfasst im Wesentlichen sechs Kernpunkte: Sicherheitsgarantien durch einen NATO-Beitritt der Ukraine, die Errichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine, die Aufhebung der Beschränkungen für den Einsatz westlicher Waffensysteme, die Schaffung einer umfassenden nichtnuklearen Abschreckung gegenüber Russland, den Ausbau des strategischen und wirtschaftlichen Potenzials der Ukraine sowie die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Interessanterweise wird die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine nicht explizit als eigener Punkt genannt. Diese Inhalte überraschen, da der Westen die meisten dieser Vorschläge mehrfach abgelehnt hat. Der Zeitpunkt dieses Vorstoßes ist jedoch wenig überraschend: Selenskyj will die internationale Unterstützung für seinen Plan noch vor den kommenden US-Wahlen sichern. Die größte und durchaus berechtigte Sorge Kyjiws bleibt, dass Trump im Falle eines Wahlsiegs Friedensverhandlungen weitgehend zu Bedingungen Wladimir Putins erzwingen könnte.

Ziel war es auch, mehr Unterstützung zu generieren. Wird es diese geben?

Beim Friedensgipfel in der Schweiz im vergangenen Juni sicherte der Westen Kyjiw unter den Blicken der internationalen Gemeinschaft seinen Beistand zu und eröffnete der Ukraine die Chance, zum integralen Bestandteil des Westens zu werden. Doch darüber hinaus dürfte nur wenig geschehen. Insbesondere ist es unwahrscheinlich, dass der Westen bereit sein wird, auch nur einen der Punkte des ukrainischen Friedensplans zur Gänze mitzutragen. Denn das Kernproblem der westlichen Unterstützung für die Ukraine ist die anhaltende Strategielosigkeit auf westlicher Seite.  Mit dem fortschreitenden Kriegsverlauf nimmt zudem die Kriegsmüdigkeit im Westen spürbar zu. Das ist wenig überraschend, denn dieser Krieg findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern vor dem Hintergrund innen- und wirtschaftspolitischer Entwicklungen in den jeweiligen Staaten. Hinzu kommt die ständige Sorge des Westens vor einer Eskalation des Konflikts mit Russland, was zur Zögerlichkeit bei den Waffenlieferungen führt. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Ukraine zunehmend zu einem Randthema wird und die westliche Unterstützung sinkt. In diesem Fall droht Russland, den Krieg zu gewinnen und der Ukraine einen Gewaltfrieden aufzuzwingen – mit verheerenden Konsequenzen für die europäische Sicherheitsordnung und den globalen Frieden.

Was meinen Sie mit der Strategielosigkeit des Westens? Konnte der Westen seit 2022 keine Erfolge feiern?

Den westlichen Verbündeten mangelt es im dritten Jahr der russischen Invasion nicht nur an klaren, konkreten Zielen, sondern noch gravierender – an einem gemeinsamen Zukunftsbild. Während einige Staaten auf eine Verbesserung der ukrainischen Verhandlungsposition hinarbeiten, fordern andere einen Waffenstillstand, und wieder andere sehen einen Sieg der Ukraine als Ziel. Eine gemeinsame Definition dieser Konzepte existiert jedoch nicht.

Gab es in den letzten Monaten eine Schwächung einer der beiden Kriegsparteien, sodass sich die Voraussetzungen für einen Frieden verändert haben?

Russland ist es in den vergangenen Monaten gelungen, der Ukraine einen Abnutzungskrieg aufzuzwingen – eine Taktik, die derzeit offenbar erfolgreich ist. Die Lage für die ukrainischen Streitkräfte bleibt an mehreren Frontabschnitten, insbesondere im Donbas, kritisch. Die russischen Truppen setzen die Ukraine unter massiven Druck und versuchen, weiter in die Tiefe vorzurücken. Moskau bemüht sich, vor der bald einsetzenden Schlammperiode eine möglichst günstige Ausgangslage für eine große Offensive im Winter zu schaffen. Die zentrale Frage ist, ob es der Ukraine gelingt, trotz aller Schwierigkeiten, einen operativen Durchbruch Russlands zu verhindern. Zwar sehen wir derzeit keine kriegsentscheidenden Entwicklungen, doch könnte sich das rasch ändern.

Wie lange wird der Krieg in der Ukraine noch andauern?

Der eigentliche Gamechanger in diesem Krieg bleibt die Rolle des Westens. Um die Situation grundlegend zu ändern, muss der Westen sein Verhalten überdenken. Kyjiw erhält weiterhin nicht die westlichen Waffen in einem Umfang, der für einen militärischen Sieg nötig wäre. Russland hingegen hat mit China, Iran und Nordkorea verlässlichere Verbündete für Waffenlieferungen und mit Indien einen stabilen Abnehmer für seine Energieexporte. Nur klare militärische Erfolge der Ukraine könnten eine realistische Chance auf einen nachhaltigen Waffenstillstand und ernsthafte Friedensverhandlungen eröffnen. Bevor Russland in die Nähe einer entscheidenden militärischen Niederlage gerät, wird es keine Atombombe einsetzen, sondern sich – aus politisch-rationaler Überlegung – verhandlungsbereit zeigen. Doch ohne ein klares Bekenntnis des Westens bleibt dieses Szenario bloßes Wunschdenken.

Interview: Markus Rufin

 

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