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„Habe mich nie als radikal empfunden“

Hubert Stuppner: Die Frage, ob das überhaupt noch Musik ist, was ich da mache, war der Cantus firmus der Kritik.

Vor 50 Jahren gründeten Hubert Stuppner und andere das Festival zeitgenössischer Musik und brachten damit die radikale Nachkriegs-Avantgarde auch nach Südtirol. Für das Land der Einheitspartei waren die Neutöner eine Zumutung und politisch suspekt. Ein Gespräch zum Jubiläum des Festivals und zum 80. Geburtstag des Gründers.

Tageszeitung: Herr Stuppner, wie viele Kompositionen umfasst Ihr Werkverzeichnis? 

Hubert Stuppner: Die genaue Zahl kann ich nicht nennen: die Leiterin von Ricordi Berlin, wo meine Werke, auch die des ersten Verlags Edition Modern, liegen: sagte mir: über 100

 Sie haben jüngst Ihren 80. Geburtstag gefeiert. Komponieren sie noch täglich? 

Wenn man unter Komponieren die Inkubation eines Stückes versteht, das Skizzieren und Strukturieren, das in Noten fassen, danach Revidieren und Interpolieren, ja. Zunehmend denke ich aber daran, meinen Hof zu bestellen, d. h. ältere Stücke auf ihre Konsistenz zu prüfen und eventuell zu annullieren. Vieles ist Zeugnis einer Zeit im Umbruch, Versuch und Experiment, aber mit manchem habe ich mir aus der Seele gesprochen. Letzteres kann ruhig als Flaschenpost an ferne Gestade gespült werden und eventuell entdeckt werden (z.B. mein Violine-Konzert).

Wie sieht Ihr Kompositionsprozess aus? Wie laufen die Phasen des Komponierens ab, wie entsteht ein neues Stück?

Nur dann, wenn man zu einem bestimmten Stück, zu einer bestimmten Besetzung Lust hat. Das nennen manche Einfall. Dieser ist nicht steuerbar. Generell verstehe ich Komponieren heute, nach der Avantgarde-Phase (in der alle Stücke als Auftragswerke mit einem hohen Innovationsgrad für die sogenannten „Tage der Neuen Musik” entstanden sind) als Erfinden nach Gestalt- Kriterien, um mich besser verständlich zu machen und die Aufnahmebereitschaft zu erleichtern. Im Grunde geht es nur darum, egal ob radikal oder gemäßigt, mit Tönen etwas deutlich auszudrücken, ohne epigonal zu werden. Im Ausdruck gehen meine Neigungen in Richtung Persiflage und Karikatur und akustisch leide ich an Lichtzwang und „Hochdruck“ im Diskant.

In Ihrem künstlerischen Curriculum spielen die legendären Ferienkurse in Darmstadt eine entscheidende Rolle, bei denen nichts weniger als die Gegenwart und Zukunft der Avantgarde verhandelt wurde. Ist Darmstadt Ihre eigentliche künstlerische Heimat? 

Nach Darmstadt pilgerten wir (damals aus Südtirol Albert Mayr und ich) wie auf einer musikalischen Erleuchtungsfahrt, die uns aus der Endgültigkeits-Vorstellung von Klassik in das blendende Gebiet einer permanenten Verwandlung und Erneuerung führte. Damals, in den Siebziger Jahren, war das Prinzip Hoffnung (Bloch) allgegenwärtig und das Vertrauen in den radikal „Freien Willen“ so unerschütterlich, dass plötzlich alles anders schien, als das, was uns die alten Akademien lehrten.

Der Hausherrgott in Darmstadt war der Philosoph Theodor W. Adorno, der mit seiner Philosophie der neuen Musik die Diskussion um die Avantgarde bestimmte. Wie haben Sie die Grabenkämpfe um die Avantgarde erlebt?

In Darmstadt lehrten nicht nur die arrivierten Komponisten, nicht nur die Ideologen à la mode, Dahlhaus und Schnebel, die gefragtesten Instrumentalvirtuosen, die das Spielen Neuer Musik revolutionierten, sondern man las Adorno, den wahren Zeremonienmeister der Avantgarde. Sein Wort, das auf das unerhörte „Autonome Kunstwerk“ abhob, blieb beim Versuch, Werke zu konzipieren, die „in sich stimmig“ waren und nicht nach Gefallen schielten, unwidersprochen. Und Adornos „Ästhetische Theorie“ musste man gelesen haben. Was dazu führte, dass die Donaueschinger Musiktage, die mir und Gérard Grisey einen Kompositionsauftrag erteilten, per Vertrag fixierten, dass wir mit den jeweiligen Partituren auch eine ausführliche ästhetische Begründung im Text zu liefern hatten.

Den Stand radikal zeitgemäßen Komponierens bestimmten dort Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez, Luigi Nono und später Helmut Lachenmann. Wer hat Sie geprägt?  

Ich habe in beiden Sommern (1972 und 1974) die Analyse-Kurse von Stockhausen besucht und im zweiten zusätzlich jene von Xenakis, Ligeti und Lachenmann. Letzter hat mich vor allem mit seiner „Ästhetik der Verweigerung“ in den Bann gezogen, die darin besteht, dass auch die vollständige Denaturierung des Klanges an der Grenze des „Nicht mehr Klingens“ noch Musik sei.

Sie waren mit Ihren Kompositionen rasch erfolgreich, bekamen Aufträge, wurden viel aufgeführt, unter anderem auch bei den Salzburger Festspielen. Das Problem der Avantgarde ist ihre rasche Abnutzung.

Die Gründer des Festivals zeitgenössischer Musik Andrea Bambace, Hubert Stuppner und Walter Daga

Der Erfolg eines Avantgarde-Komponisten hängt eng mit seinem jugendlichen Überschwang zusammen, so ähnlich wie man in den Klavierwettbewerben die Höchstleitungen mit denen der Schwimmer vergleicht, die mit 18-20 Jahren zu ihrer Hochform auflaufen. Danach, vermuten die Veranstalter, fällt die Innovationsenergie rasch ab. Besonders in der europäischen Avantgarde wurden zahlreiche Werke einzig auf einen Überraschungsmoment hin komponiert und dann ad acta gelegt. Wenn man das rasche Altern der Avantgarde beklagt, liegt das am exzessiven Umgang mit dem Schock und mit der Abkehr des Publikums von Experiment und Provokation.

Der künstlerische  Leiter des Haydn Orchesters Giorgio Battistelli stellte anlässlich der Präsentation seiner Autobiographie fest, dass die Avantgarde im unendlichen Meer der Musik nicht mehr als ein „Indianerreservat“ sei. Nur Selbstironie oder auch ein bisschen Resignation darüber, dass sie es aus dem Reservat nie in die Mitte der Kultur geschafft hat?  

Beides. Die Avantgardisten sind nach dem Biss in die verbotenen musikalischen Früchte aus dem musikalischen Paradies der konsonanten Musik vertrieben worden. Diejenigen, die dazu zurückkehren wollen, werden zu Recht als epigonal abgelehnt, die anderen, radikaleren, reden als Nomaden des endlos experimentellen Weltgeistes mit verdorrten Zungen und neigen zu Selbstironie und Resignation.

Die radikale Avantgarde der 1970er und 80er Jahre war von Luigi Nono über Berio bis Henze und Sciarrino dezidiert kommunistisch eingestellt. Sogar Claudio Abbado und Pollini sympathisierten mit der Linken. Scheint eine richtige Liebesbeziehung gewesen zu sein.

Man darf nicht vergessen, dass die radikale Nachkriegs-Avantgarde gerade in jenen Ländern Fuß fasste, wo die Schrecken des Faschismus und des Genozids am stärksten nachwirkten: in Deutschland, in Österreich, Italien, Frankreich, Spanien und Polen. Avantgarde war ethisch und politisch gleichbedeutend mit Widerstand und Antifaschismus. In Italien war der Antifaschismus ausschließlich Sache der Linken und insbesondere des PCI, so wie sich diese Partei an vorderster Front fast alleine für eine fortschrittlich orientierte Kulturpolitik, für den „impegno“ der Intellektuellen und die Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung stark machte. Aber keiner von den Genannten war ein richtiger Kommunist.

Vor 50 Jahren haben Sie zusammen mit anderen das Festival zeitgenössischer Musik gegründet. Südtirol war damals nicht gerade offen für neue Töne.

Als wir das Festival gründeten, herrschte in Südtirol Aufbruchsstimmung, die vor allem von einigen Intellektuellen und der Hochschülerschaft initiiert wurde. Die Zeichen standen auf Pluralismus, Säkularisierung und Mündigkeit der Bürger. Der „Kulturkampf“, der damals zwischen den Bewahrern und den fortschrittlich Gesinnten entbrannte, zog auch die Neue Musik in die Auseinandersetzung und machte sie politisch brisant. Radikale ästhetische Standpunkte waren per se suspekt und wirkten bedrohlich für das Land der Einheitspartei. Dabei war keiner von uns Kommunist…Libertär gesinnt, ja.

Wer damals nicht für die Revolution war, war automatisch ein Reaktionär. Wie heftig waren diese Grabenkämpfe hierzulande?

Ich erinnere mich, wie Ligeti in den Kompositionskursen in Darmstadt über Britten witzelte und Schostakovitsch einen weit überschätzten Komponisten schalt. Für Heinz Klaus Metzger war Giacinto Scelsi, der selbst keine Note setzte, der Größte. In Bozen war am Ende des „Songbooks“ von Cage das Waltherhaus leer. Bei einer Aufführung eines in Holland preisgekrönten Orgelstücks mit Tonband, schaltete der Mesner im Bozner Dom den Strom ab. Moderne und Avantgarde waren damals manchmal eine Zumutung.

Als avantgardistischer Komponist standen Sie damals ziemlich allein auf weiter Flur. Wie oft hat man Ihnen die Frage gestellt: Ist das überhaupt noch Musik, was Sie da machen? 

Diese Frage war der Cantus firmus der Kritik. Die Frage ist legitim, denn die meisten Avantgarde-Komponisten fühlen sich in ihrer Haut nicht wohl. Wenn man Musik als Tröstung zu sich nimmt, also als Wiederkennen des Gesicherten und Vertrauten, ist man zufrieden. Wenn man aber dem Komponisten, wie dem Literaten, das „Abenteuer im Kopf“ zugesteht, die „unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, dann ist es nur eine Frage der Neugier und Toleranz, dem Ungewohnten sein Ohr zu leihen. Und es gibt auch spannende und hörenswerte Neue Musik.

Haben Sie je eine Antwort darauf gefunden, woher Ihre radikale Ader kommt?  

Ich habe mich nie als radikal empfunden. Eher als ungeduldig und unabhängig. Mir geht es darum, die Dinge verbal und musikalisch zu benennen. Das kommt wohl von meiner humanistischen Erziehung her, die existenzialistisch den Lauf der Dinge beklagt, etwa im Sinne von der bekannten Bemerkung in Verdis Falstaff: „Tutto il mondo è burla“. Einen Spruch, den ich in meinen (geheimen) 100 Tierfabeln mit dem Titel „Schöne Welt, böse Tiere“, Gedichte über alle Sorten menschlicher Schwächen, mit dem Satz von Werner Herzog paraphrasiert habe: „There is no harmony in the universe… there is a sort of  aegative  harmony of overwhelming and collective murder…” Meine Antwort darauf ist musikalisch eine konsonante Gegenwelt, in der noch etwas klingt und sich noch etwas reimt, also nicht Musik als Wahrheit, sondern als Trost.

50 Jahre ein Festival zu leiten, das dürfte Weltrekord sein. Weltrekord auch an Musiker-Geschichten und Anekdoten. Wie war das beispielsweise mit Stockhausen in Bozen?

Stockhausen war ein Fanatiker der Präzision, die einerseits seinem Anspruch, der oberste Avantgardist zu sein, entsprang, andererseits in seiner Ambition sein Charisma mit Unbedingtheit zu verteidigen und den Veranstalter an die Grenze des Möglichen zu treiben. Bei der Weltausstellung in Tokyo befahl er Siemens den Bau einer eigenen Kugel, in der ein Monat alle Tage ausschließlich seine Werke gespielt werden durften. Für seinen Bozener Auftritt hatte er in mehreren handgeschrieben Briefen und Skizzen jedes noch so unbedeutende Detail im Blick, vom Krümmungswinkel einer Stehlampe bis zur Schließung sämtlicher Türen während seiner Proben im Waltherhaus.

300 Uraufführungen hat das Festival gestemmt, seit 20 Jahren widmet es sich ausschließlich der lokalen Kreativität. Im Künstlerbund sind mittlerweile 30 Komponisten verzeichnet, die avancierte Musik komponieren. Das Festival hat also durchaus als Geburtshelfer gewirkt.  

Das allein gibt unserer Arbeit, zusammen mit Prof. Gander von Windkraft und Josef Lanz vom Künstlerbund im Verein mit all den professionellen einheimischen Formationen, einen Sinn: nämlich die Stärkung der primären Kreativität der Region: originale Komposition, Aufführung in Eigenproduktion und Verbreitung über den „Südtirol Youtube Kanal“, Stärkung des Selbstbewusstseins durch Kreativität und autonomes Denken.

In Ihrem Buch „Mephisto-Walzer oder: Der Tanz der Klaviere“ haben Sie in Thomas Bernhard-Manier schonungslos mit der Dekadenz internationaler Klavierwettbewerbe abgerechnet. Baute das auf Erfahrungen mit dem Busoni Wettbewerb, den Sie von 1982 bis 1996 leiteten? 

Das Buch ist in Wahrheit dem „unbekannten Pianisten“ gewidmet, der seine besten Jahre im Kampf um die Palme verbringt und am Ende ohne Gewinn dasteht. Es ging mir nicht um die Dekadenz der Klavierwettbewerbe, sondern um der Fan-Gemeinde bewusst zu machen, dass es in ihrer Euphorie für den Sieger das Drama ignoriert, das sich bei jedem einzelnen Wettbewerbsteilnehmer in der Arena abspielt.  Darüber hinaus wollte ich dem Verlierer das Gefühl einer existenziellen  Sisyphos-Größe vermitteln, die sein extremes Klettern am pianistischen Felsen adelt.

Wen lieben Sie unter den Klassikern? 

Mahler.

Interview: Heinrich Schwazer

Zur Person

Hubert Stuppner, am 19. Januar 1944 in Truden geboren, studierte Klavier bei Nunzio Montanari und Komposition bei Andrea Mascagni in Bozen; an der Universität Padua erlangte er seinen Abschluss in Musikwissenschaft. Von 1970 bis 1981 war er Professor für Analyse und Harmonielehre am Konservatorium „Claudio Monteverdi“ Bozen, dem er von 1981 bis 1996 als Direktor vorstand. Von 1982 bis 1996 hatte er den Vorsitz in der Jury des Internationalen Klavierwettbewerbs Ferruccio Busoni in Bozen inne. Außerdem ist er Gründer und Leiter des Festivals Zeitgenössischer Musik Bozen.

Stuppner erhielt zahlreiche Kompositionsaufträge, u. a. von den Donaueschinger Musiktagen, vom Südwestfunk Baden-Baden, vom Staatstheater Stuttgart, vom Deutschen Fernsehen ZDF, von der Akademie der Künste Berlin, von den Salzburger Festspielen, von der Biennale Venedig, von der Warschauer Kammeroper und vom Kronos Quartet. Er wurde unter anderem mit dem 1. Preis für Kammeroper „Filarmonica Umbra“, dem 2. Preis Wettbewerb „E. Ansermet“ für Balletmusik, dem Kunstpreis der Stadt Innsbruck für Musik, dem Premio delle Muse, Florenz, dem Walther von der Vogelweide-Preis für Musik und dem Würdigungspreis für Musik des Österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur ausgezeichnet.

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