Das ureigenste sanguinische Wesen
Das Georgische Kammerorchester führte zum Auftakt der Saison von Musik Meran Werke von Haydn, Schubert, Mozart und Sulchan Zinzadse auf.
Von Hubert Stuppner
Am Beginn der heurigen Saison von „Musik Meran“ fallen zwei Konzerte auf, die spiegelbildlich die sogenannte Erste und Zweite „Wiener Schule“ darstellen: das Eröffnungskonzert am letzten Dienstag mit Haydn, Mozart, und Schubert, und am kommenden 29. Oktober die hundert Jahre später von Schönberg expressionistisch eingeleitete „Zweite Wienerschule“, auch als „Freie Atonalität“ bekannt. Ein Konzept, das einerseits Wien als Wiege zweier großer Reformen der Klassischen Musik würdigt und andererseits auf den Umstand hinweist, dass die großen Umbrüche in der Musikgeschichte fast immer als Symptom epochaler Zeitenwenden und drohender großer Kriege auftreten, wie im Fall der genannten zwei Wiener Schulen: die Erste zeitgleich mit der Aufklärung und die Zweite als Vorbote des Ersten Weltkrieges. Ein Tatbestand, der den bekannten Wiener Dirigenten-Guru Hans Swarovski (Lehrer von Abbado und Mehta) zu dem Spruch verleitete: „Jede richtige Symphonie ist in Wien entstanden“.
„Die Welt ist gewaltig schön, doch sicher ist sie nicht!“, heißt es in einem von Schubert vertonten Mayrhofer-Lied. Das sang einer, der Wien Zeit seines Lebens nie verlassen hat (außer einmal nach Graz) und dennoch mitbekam, dass die Französische Revolution die Welt von Grund auf verändert und Napoleon ganz Europa neu entworfen hat. Der während des Wiener Kongresses erlebte, dass die alte feudale Welt wieder ihr Haupt erhob und die gewonnen Freiheiten annullierte: ein Jahr vor Vollendung seiner Fünften Symphonie, aus der man deutlich Sympathien für den freiheitsliebenden Beethoven heraushören kann. Was waren das für Leben, jene Mozarts und Schuberts, die nur ein wenig mehr als dreißig Jahre alt wurden! Und was für ein Kontrast zwischen der Kürze ihres Daseins und des Soseins ihrer zeitlosen Gültigkeit! Man weiß, dass Harnoncourt Mozarts Musik als Gottesbeweis ansah, dass dies die Fassbänder auch von Schubert dachte und dass sich der große Liedbegleiter Gerald Moore, „am Abend seines Lebens immer mehr dem Meister zuwandte, von dem Arthur Schabel sagte, er sei als Komponist Gott am nächsten.“
Soviel zum Repertoire in der noch heute im habsburgischen Mythos schwelgenden Stadt Meran und ihrer auf mitteleuropäische Identität ausgerichteten Programme bei den Festspielen und das Jahr über.
Das Konzert begann mit der Pariser Sinfonie Nr. 82, die nach dem Cembalo-Stück „La Poule“ von Rameau benannt, im ersten Satz immer wieder die „Henne“ gackern lässt. Haydn schrieb sie im Auftrag des Orchesters der Pariser Freimaurer-Loge „Le Concert de la Loge Olympique“ (Er selbst trat später einer Loge bei). In dieser gab sich der Meister aus Eisenstadt erstaunlich kosmopolitisch, sowohl in seinem Interesse für die konservative französische Vorklassik eines Lully und Rameau, als auch gegenüber den fortschrittlichen Enzyklopädisten, die mit Rousseau in den Pariser „Buffonisten“-Streit zur Überwindung barocker Steifheiten eingriffen und für eine natürliche und ausdrucksbetonte italienische Variante von Musik plädierten. Das Georgische Kammerorchester aus Tbilisi, heute in Ingolstadt ansässig, interpretierte unter der Leitung von Ariel Zuckermann einen witzigen und leichtfüßigen Haydn, der sich vor allem in den raschen punktierten Rhythmen gefiel und im abschließenden Allegro die raschen 6/8 Läufe als eine neapoletanische „Tarantella“ erklingen ließ.
In diesem Konzert stellte Joseph Haydn noch die mäßige, wiewohl geistreiche, klassische Instanz dar, während Mozart, der Jüngere, dem libertären Geist der Revolution erlag und frivol der Libertinage à La Beaumarchais frönte: “Non so più cosa son, cosa faccio, or di foco io son or die ghiaccio.“ Mit seinem 5. Violinkonzert, dem längsten und schönsten, bewies der chinesische Geiger Ning Feng Brio und Bravour und kehrte in den Ecksätzen dieses extrem diskantischen Konzerts mit Rokoko-Seufzern und Mordenten die flirtenden Koloraturen hervor, gab sich dann im Adagio einem angenehmen Andante amoroso hin, um im letzten Satz wieder voll aufzudrehen und im Abschnitt „alle turca“ rüde und heftig zu streichen. Anne Sophie Mutter wies zu diesem Satz auf Mozarts „übermütige Grobheiten“ hin, die dieser selbst in einem Brief an den Vater 1777 als großspurige Virtuosität hervorhob: „Da schaute alles groß drein. Ich spielte, als wenn ich der größte Geiger in ganz Europa wäre.“
Ebenso leichtfüßig lief die abschließende 5. Symphonie von Schubert dahin: ein Florilegium schwereloser und federleichter Melodien, die der Schubert Freund Leopold von Sonnleithner als „liebliche“ bezeichnete. Die von den Georgiern elegant gebotene schien mir als „galanter Stile“, als Glanzstück der erwachenden bürgerlichen Musikkultur, die in der Forderung nach stilistischer Einfachheit, Verständlichkeit und Natürlichkeit das Credo einer empfindsameren Klassik als jener heftigen von Beethoven verwirklichte.
Vor der Pause legte das Exil-Orchester in den „Georgischen Miniaturen“ des Landsmannes Sulchan Zinzadse jede klassische auf Stand und Stil bedachte Selbstkontrolle ab und gab sich ihrem ureigensten sanguinischen Wesen hin. In den temperamentvollen und zugleich melancholischen Gesängen machten sie keinen Hahl daraus, wie sehr sie Sehnsucht nach ihrer georgischen Heimat haben. Nach herzlichem Applaus gewährten sie noch zwei Zugaben, eine schrammelhaft wienerische und eine heimisch georgische.
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