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„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

Foto: lpa/Claudia Corrent

Die italienische Regierung will die Aufnahmetests für das Medizinstudium abschaffen. Gesundheitslandesrat Hubert Messner steht der Sache skeptisch gegenüber und kann sich die Verwirklichung schwer vorstellen.

von Christian Frank

Mehrere universitäre Fachrichtungen in Italien setzen eine erfolgreich absolvierte Aufnahmeprüfung voraus, um sich einen Studienplatz sein eigen nennen zu dürfen. Die erste große Hürde für angehende Studenten, bevor die akademische Laufbahn eigentlich begonnen hat. Während in Deutschland die Abschlussnote der Hochschulreife in Form eines Numerus Clausus über eine Immatrikulation entscheidet, müssen sich hierzulande Studenten tatkräftig unter Beweis stellen. Wissenschaftliche Fragen, Allgemeinwissen – die Bandbreite möglicher Frageinhalte, welche den aspirierenden Studenten unterkommen kann, ist breit gefächert. Je begehrter und begrenzter der Studienplatz, desto größer der Druck, und das Medizinstudium rühmt sich dabei eines besonders berüchtigten Rufs.

Nun scheint es diesbezüglich zu einem Paukenschlag zu kommen, zumindest in den Gefilden des Medizinstudiums. Der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Senat, Roberto Marti, will nämlich die Aufnahmeprüfungen für das Medizinstudium abschaffen. Das würde einen Wegfall der Aufnahmeprüfung auch für die Chirurgie, Zahnmedizin und Veterinärmedizin bedeuten.

Die Reform wurde bereits von der Bildungskommission des Senats genehmigt und muss sich nun in der Abgeordnetenkammer bewähren. Dies soll zügig vonstatten gehen, denn die Regierung will die Reform bereits für das akademische Jahr 2025/2026 greifend machen.

Gesundheitslandesrat Hubert Messner steht der Reform skeptisch gegenüber: „Es ist eine Diskussion, welche bereits seit Monaten geführt wird. Es bedeutet grundsätzlich wirklich, dass jeder Zugang zum Medizinstudium hat“, erklärt Messner, doch er warnt: „Jeder muss sich bewusst sein, dass es aufgeschoben und nicht aufgehoben ist.“

Unter den Studenten wird nämlich dennoch selektiert, jedoch anstelle einer Aufnahmeprüfung werden die Prüfungen des ersten Semesters dafür hinzugezogen. Studenten, welche alle Prüfungen mit Erfolg bewältigen, akkreditieren sich für das nächste Semester. Jene, welchen dies nicht gelingt, scheiden zwar aus, können sich jedoch die im Verlauf des ersten Semesters erworbenen Credits für andere Studiengänge anrechnen lassen.

Für Messner ist es bei weitem nicht der große reformierende Wurf für das Medizinstudium: „Die Entscheidung verschiebt sich lediglich auf ein Semester. Statt bereits vor Studienbeginn die Nachricht einer Zulassung oder Absage zu bekommen, ist es nun nach dem ersten Semester.“

Mit der Neuerung will die Regierung zudem 5.000 weitere Studienplätze schaffen, somit würde sich die Gesamtzahl auf 25.000 erhöhen. Der Gesundheitslandesrat sieht jedoch die strukturellen Grenzen als gefestigt und verspricht sich demnach am Ende keine großartige Veränderung.

„Wir werden aufgrund der Struktur sicherlich nicht imstande sein, sonderlich mehr Plätze zu schaffen. Wie viele Professoren stehen zur Verfügung? Wie viele Studienplätze können überhaupt angeboten werden? Wenn ich an einer Universität bis dato 500 Plätze hatte, kann ich nicht von heute auf morgen auf einmal 1.000 anbieten“, konstatiert Messner.

Der Landesrat fürchtet um die Qualität der Ausbildung und sieht besonders die Professoren zusätzlich gefordert, dem Ansturm des frei zugänglichen ersten Semesters gerecht zu werden.

„Die Reform würde bedeuten, dass die Professoren im ersten Semester ordentlich ausmisten müssten. Wenn die Universitäten über ihren Kapazitäten arbeiten, dann kann die ausreichende Qualität der akademischen Ausbildung unmöglich gewährleistet werden“, kritisiert Messner. Die Szenen, welche er sich aufgrund mangelnder Kapazitäten ausmalt, sind ihm ein Graus: „Ich fürchte Szenen, in denen Studenten sich um vier Uhr morgens anstellen müssen, um einen Studienplatz im Saal zu bekommen.“

Für Messner ist die Realisierung der Reform nur mit einem hybriden Aufbau des Studiums möglich.

„Ich kann mir die Realisierung dieser Idee nur vorstellen, wenn ein hybrider Unterricht möglich ist. Also sowohl die Lehre in Präsenz als auch online. Ansonsten ist so etwas unmöglich umzusetzen“, mahnt Messner.

Zudem bemerkt der Gesundheitslandesrat, dass der freie Zugang zum Medizinstudium kein Novum ist: „Früher wurde im Medizinstudium in Innsbruck gleich verfahren. Es konnten sich alle Interessierten dafür einschreiben. Dort wurde dann im ersten Semester nach zwei Monaten mit Prüfungen ausgemistet. Es gab ein richtiges Knochenkolloquium, und die Hälfte ist anschließend ausgeschieden.“

Trotz aller Kritik zeigt sich Messner angetan vom Grundgedanken, allen Interessierten die Tore zu einem Medizinstudium zu öffnen, auch wenn es sich für viele nur um eine gestundete Duldung handelt: „Ich finde es schon richtig, dass mehr Personen eine Zugangschance bekommen und nicht nur solche, welche sich durch eine Aufnahmeprüfung profilieren können. Die Ausführung ist jedoch strukturell schwierig.“

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