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„Es wird noch viele Streiks geben“

Bis zu 16-stündige Arbeitsstage, verfahrene Vertragsverhandlungen und wenig Regulierungen. Gewerkschafter Günther Pallhuber über die prekären Verhältnisse der Bediensteten im öffentlichen Nahverkehr und die Enttäuschung über die Landespolitik.

von Christian Frank

Immer wieder ploppt auf dem Smartphone vieler Südtiroler die unheilvolle Meldung der Suedtirolmobil-App auf, welche vor einem Streik von Bus, Bahn oder gleich beidem warnt. Für die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs ein Ärgernis, doch für die Gewerkschaften und deren Arbeitnehmer, welche sie vertreten, ein Hilferuf. „In Rom herrscht Stillstand“, moniert Günther Pallhuber. Er ist Gewerkschaftssekretär der Fachgewerkschaft für Transporte FIT der SGB CISL. Wenn Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen und mit Streikproklamationen um sich werfen, ist der Grund sektorenübergreifend meist derselbe: Kollektivverträge kommen im Prozess der nötigen Erneuerung auf keinen grünen Zweig, und Anpassungen der Löhne und Arbeitszeiten werden zu Grunde verhandelt. So in etwa verhält es sich auch bei den Bediensteten des öffentlichen Nahverkehrs. Seit Ende letzten Jahres, erklärt Pallhuber, ist der nationale Kollektivvertrag für diese Bediensteten ausgelaufen. Die Verhandlungen vollzogen sich daraufhin schleppend, bis sie vollständig zum Stillstand gelangten – ein chronisches Krankheitsbild der italienischen Regierung, findet er.

„In Italien werden die Verhandlungen zu den Kollektivverträgen kurz vor Ablauf der Fristen aufgerollt, das ist zu kurzfristig. Zudem sind sie viel zu konvulsiv. Während in Deutschland mit 30 Seiten Kollektivvertrag alles gesagt ist, erstrecken sich diese Dokumente in Italien auch gerne über 400 Seiten“, so Pallhuber und unterstreicht die vielschichtige Verworrenheit der Verträge: „In diesem Kollektivvertrag wird auf Gesetze hingewiesen, wie das königliche Dekret von 1931. Das ist so nicht tragbar. Es braucht eine starke, vereinheitlichte Erneuerung.“ Die Notwendigkeit von Veränderungen des Angestelltenverhältnisses gibt es dem Gewerkschafter zufolge an allen Fronten. „Die Arbeitszeiten sind sehr schwammig reguliert. Ein Bediensteter muss mindestens 27 und maximal 50 Stunden die Woche ableisten. Ein gewisser Durchschnitt, inklusive Überstunden, darf pro Monat nicht überschritten werden. Das bedeutet aber, dass die Verteilung dieser Stunden willkürlich sein kann“, warnt Pallhuber. Exemplarisch bedeutet das, dass ein Bediensteter in einer Woche gleich 50 Stunden arbeiten kann, wobei gewisse Tage besonders vollgepackt sind.

„Es gibt keine Regelung, welche ein Maximum von acht Stunden pro Tag vorsieht. Wir kennen Betriebe, wo die Bediensteten zwölf oder 13 Stunden pro Tag arbeiten müssen“, mahnt Pallhuber und merkt an, dass bei Linienbussen unter 50 Kilometern Strecke auch die sogenannte Tachopflicht hinfällig ist. Anhand dieser wird beispielsweise bei Reisebussen oder Fernfahrern überprüft, ob sie nicht die Grenze der an einem Stück geleisteten Fahrtzeit überschreiten. „Eine unserer Hauptforderungen ist ein solcher Fahrtenschreiber, sodass endlich geregelte Fahrtzeiten und Pausen gewährleistet werden“, beanstandet der Gewerkschafter. Doch auch neben der Arbeitszeitenpolemik enttäuscht der Kollektivvertrag und seine bisherigen Änderungen in den vergangenen Jahren. „Oft wird man mit einer Einmalzahlung oder 100 Euro brutto abgespeist, das ist lächerlich.“ Dieser Sachverhalt führt zu einer für Pallhuber bedenklichen Entwicklung: „Firmen machen immer öfter Individualverträge mit einzelnen Fahrern. Das ist für uns als Gewerkschaft sehr bedenklich.“
Die Betriebe wollen dadurch den unbefriedigten Bedürfnissen der Arbeitnehmer individuell entgegenkommen und somit dem Fachkräftemangel entgegentreten, doch diese eigenmächtigen Maßnahmen abseits der kollektivvertraglichen Leitlinien erschwert die Arbeit der Gewerkschaft maßgeblich, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten und zu verteidigen.
„Wir beobachten beispielsweise, wie in solchen Angestelltenverhältnissen Fahrerrotationen nicht eingehalten werden und sich somit ein enormes Arbeitspensum für den Einzelnen ergibt“, konstatiert der Gewerkschafter.

Eine weitere besorgniserregende Entwicklung erkennt Pallhuber darin, dass große Firmen, wie die Sasa Bozen, zunehmend ihre Aufträge als Unteraufträge an Betriebe weitergeben, welche sich nicht an die kollektivvertraglichen Richtlinien halten. „Hier erleben wir Sachen, die lassen einem die Haare zu Berge stehen. Bedienstete, welche beispielsweise 15 bis 16 Stunden am Stück arbeiten.“
So prekär die Lage auch erscheinen mag, eine absehbare Besserung bleibt aus.
„Die Verhandlungen in Rom sind so dermaßen verfahren, dass es in nächster Zeit sicherlich zu keiner Einigung kommt.“

Doch nicht nur auf nationaler Ebene fühlen sich die Gewerkschaften im Stich gelassen, sondern auch auf Landesebene. Laut Pallhuber hat sich bereits vor einigen Jahren ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften darum bemüht, ein territoriales Zusatzelement zum nationalen Kollektivvertrag zu erwirken, wie es beispielsweise im Tourismussektor in Südtirol gegeben ist. Diese Mühen blieben ohne Erfolg.
„Wir sind von der Landespolitik enttäuscht. Es ist bereits ein Jahr her, dass wir eine Anfrage an Landesrat Alfreider geschickt haben, welche bis heute unbeantwortet blieb.“
Ohne diese interventionistische Struktur macht sich auf dem Transportsektor des öffentlichen Nahverkehrs der freie Markt von seiner hässlichen Seite breit.
„Betriebe werben sich gegenseitig die Mitarbeiter mit Zulagen ab. Oft bleiben Angestellte lediglich zwei Monate bei einem Betrieb, bevor sie abgeworben werden.“
Angesichts dieser misslichen Zustände kündigt der SGB für den achten November einen 24-stündigen Streik an und schickt voraus: „Es wird noch viele weitere Streiks geben.“

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