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„Ich bin immer dicker geworden“

Foto: Symbolfoto (© 123RF.com)

Isabel leidet seit ihrer Jugend an starkem Übergewicht. Als Initiatorin einer neuen Selbsthilfegruppe für Adipositas-Betroffene, die am 16. Oktober startet, will sie anderen Betroffenen helfen.

Tageszeitung: Was ist Ihre persönliche Erfahrung mit der Adipositas?

Isabel: Ich bin als Kind mit neunzehn Jahren etwas molliger geworden. Meine Eltern haben mich damals zu einem Kinderarzt gebracht, der ihnen empfohlen hat, mich auf Diät zu setzen. Mit 10 habe ich dann meine erste Diät gemacht. Es hat dann nicht lange gedauert, bis ich mir mit meinem Taschengeld heimlich Essen gekauft habe. Die verbotenen Lebensmittel hatten einen besonderen Reiz. Die Diät habe ich nach einiger Zeit abgebrochen und hab noch mehr zugenommen. Als junge Erwachsene habe ich – unterstützt von Ernährungsberatern im Bozner Krankenhaus – mehrere Diäten probiert, aber nichts hat langfristig gehalten und ich bin immer dicker geworden.

Bis hin zur Adipositas …

Genau.

Mit welchen Herausforderungen haben Sie aufgrund der Krankheit zu kämpfen?

Da gibt es vieles. Oft fühle ich mich von Ärzten nicht richtig ernst genommen. Wenn es um medizinische Sachen geht, steht mein Gewicht ständig im Mittelpunkt. Es gibt auch alltägliche Probleme: Kleidung in meiner Größe in normalen Geschäften zu kaufen, ist nahezu unmöglich. Selbst grundlegende körperliche Aktivitäten sind für mich mit Anstrengung verbunden; einfaches Treppensteigen bringt mich außer Atem, und verstärktes Schwitzen ist im Sommer eine ständige Begleiterscheinung. Die permanente Sorge um meine Ernährung, um nicht noch mehr zuzunehmen, belastet mich ebenfalls sehr. Ich kenne auch Betroffene, die nicht überall sitzen können, etwa im Flugzeug. Das klingt für viele vielleicht komisch, aber man muss sich das mal vorstellen, wie unangenehm, wie beschämend das sein kann. Die Angst, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, einer Krebserkrankung oder einem Schlaganfall, also einer der vielen möglichen Folgeerscheinungen der Adipositas, zu erkranken, besteht darüber hinaus natürlich auch.

Menschen mit Adipositas sind häufig auch einem sozialen Druck ausgesetzt …

Ja, wir werden oft als faul klassifiziert, als Couchpotatos, die keine Bewegung haben und denen mit einer Diät und etwas Bewegung schon geholfen wäre. Man vergisst dabei das Seelische, Gewichtszunahme durch Medikamente, psychiatrische Erkrankungen. Es gibt noch eine Menge weiterer Vorurteile.

Ihre persönliche Erfahrung?

Da habe ich sehr viele. Man bekommt alles Mögliche zu hören, das kann manchmal auch richtig verletzend sein: „Wie kann sie nur einen Bikini tragen“ oder „stell sie dir mal beim Sex vor“. Das kann auch von nahestehenden Personen kommen und ist dann natürlich besonders verletzend.

Was ist Ihre Erfahrung mit der Versorgung und Unterstützung für Menschen mit Adipositas in Südtirol?

Wie der momentane Stand ist, kann ich nicht genau sagen, weil ich einige Jahre im Ausland gelebt habe. Ich habe mich davor mehrmals an den Dienst für Diätetik und klinische Ernährung im Krankenhaus Bozen gewendet. Dort wurde mir immer wieder eine Diät verschrieben. Und das war alles. Psychologische Unterstützung hatte ich damals keine. Ich bin inzwischen wieder in Südtirol und habe mich nach einer Selbsthilfegruppe für Adipositas-Betroffene umgeschaut, so etwas gibt es aber nicht.

Sie haben sich entschlossen, selbst eine solche zu gründen …

Genau. Ich habe als Jugendliche aufgrund der Adipositas eine Essstörung entwickelt und war deshalb im Therapiezentrum Bad Bachgart. Dort habe ich für mich selbst entdeckt, wie wichtig das Miteinander in einer solchen Situation sein kann, wie wichtig der Austausch mit Menschen ist, die das gleiche Problem haben. Dadurch ist mein Wunsch entstanden, mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und da es leider in Südtirol keine gibt, eine zu gründen.

Wie kann man sich eine Adipositas-Selbsthilfegruppe vorstellen?

Ein Zusammensein von Betroffenen, Gespräche über die Krankheit, die Ernährung und mehr. Ein weiterer Aspekt wäre die Möglichkeit, sich gemeinsam zu bewegen. Wir Adipositas-Patienten tun uns tendenziell schwer, uns in Sportvereinen einzuschreiben. Dabei spielt häufig ein bestimmter Gedanke eine Rolle: „Was denken wohl die anderen über mich?“ Es geht aber auch um vermeintlich normale Aktivitäten, wie gemeinsam etwas essen gehen. Viele Betroffene isolieren sich aus Angst vor der Wertung anderer. In der Gruppe ist die Situation anders.

Gibt es etwas, das Sie sich von der Gesellschaft im Umgang mit Betroffenen und der Krankheit wünschen würden?

Mein größter Wunsch ist es, dass wir von dem Druck, dem perfekten Körperbild entsprechen zu müssen, wegkommen. Jeder sollte sich so zeigen dürfen, wie er ist, authentisch und frei von der Angst vor Vorurteilen.

Interview: Hannes Lentsch

Die Selbsthilfegruppe für Adipositas-Betroffene startet am 16. Oktober. Infos zur Anmeldung und anderen Selbsthilfegruppen in Südtirol gibt es bei der Dienststelle für Selbsthilfegruppen des Dachverbands für Soziales und Gesundheit (E-Mail: [email protected], Telefon: 0471/1888110).

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

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  • placeboeffekt

    Sehr gut, wenn die TZ dieses Thema auf den Tisch bringt.

    Zum einen ist fat-shaming, also das sich lustig machen über Übergewichtige, zweifelsohne inakzeptabel.

    Andererseits gehen mit Adipositas eine ganze Fülle anderer körperlicher und psychischer Leiden einher.

    Fettleber, Diabetes, Hüft- und Knieprobleme, Kreislaufprobleme nur um einige aufzuzählen.
    In den USA sind bei schwarzen Frauen 4 von 5 extrem übergewichtig. Schlechte Ernährung, Mangel an Bewegung sind da die Ursachen, sich hier noch auf Genetik herausreden kann man getrost abtun.

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