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„Frosch am Kreuz“

Brigitte Foppa

Brigitte Foppa hat sich bislang mit Aussagen zum Fall Goethe zurückgehalten. Jetzt nimmt die Grünen-Politikerin erstmals Stellung.

Der Fall Goethe – oder: Wie aus einer pädagogischen Frage ein ethnischer Krieg wird.

Ich bin entsetzt, und auch ein wenig rat- und sprachlos geworden. Mein ganzes Leben hab ich mich für Mehrsprachigkeit, für inklusive Schule, für Demokratie und Partizipation eingesetzt. Wir haben alle Höhen und Tiefen, und auch die Fallen und Fallstricke dieser Thematik in Südtirol gesehen. Und dann passiert es wieder: Ein Anlassfall führt zum ethnischen Krieg.

Ein Versuch der Aufarbeitung

In der Bozner Goetheschule treffen offenbar Welten aufeinander:

1) Deutschsprachig aufwachsende Bozner Kinder

2) Zweisprachig aufwachsende Kinder

3) Kinder von italienischen Familien, die möchten, dass ihre Kinder mehrsprachig aufwachsen
4) Migrantenkinder.

Das ist Bozen. In ganz Bozen gibt es diese 4 Gruppen (und auch Zwischen- bzw. Mischgruppen). In der Goetheschule wurde dies offensichtlich, und, wenn ich richtig verstanden habe (ich habe alles, auch alle Leserbriefe aufmerksam durchgelesen), hat die dortige Direktorin beschlossen, diese Welten in unterschiedliche, in sich homogenere Klassen zu setzen. Dies steht im Widerspruch zum verbindlichen Beschluss der Landesregierung, der eine heterogene, durchmischte Klassenbildung vorsieht. Deshalb ist die Direktorin auch von der zuständigen Behörde gerügt worden.
Soweit die (hoffentlich richtig rekonstruierte) Faktenlage.

Aus der pädagogischen Frage wurde zuerst eine bildungspolitische, dann eine identitätspolitische Sache. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung, welches Recht Vorrang hat: das Recht aller Kinder auf Bildung oder das Recht auf muttersprachliche Bildung.

Dazu ein kleiner Exkurs: Schon voriges Jahr habe ich im Landtag vorgeschlagen, das Konzept der Muttersprache durch das Konzept der Erstsprache(n) zu ersetzen. Die Wogen gingen hoch. Man wolle den Südtirolern die Muttersprache nehmen, so der Tenor. Sven Knoll hat mit einem Video von seiner Wutrede genau hierzu die Landtagswahl gewonnen. Mir hatten Linguistinnen geraten an das Konzept der Erstsprache hinzuführen, weil sich das inzwischen in Fachkreisen durchgesetzt habe. Und es gibt ja Menschen, die mehrere Erstsprachen haben. Meine Kinder haben 1 Muttersprache, aber 2 Erstsprachen. Wenn meine Kinder, selbst 2sprachig vielleicht mit 2sprachig aufgewachsenen Partner:innen einmal Kinder haben sollten, so hätten diese tatsächlich 4 Erstsprachen. Doch bereits diese Debatte war im Landtag nicht führbar. Rechte, Patrioten und SVP stiegen auf die Barrikaden. Ich dachte damals, es seinen die bevorstehenden Wahlen, die diese Diskussion so verzerrten. Aber jetzt sind wir eigentlich nach der Wahl.

Wir tun also gut daran, diese Polemik in eine Einordnung zu bringen.

Gehen wir von den Menschenrechten und der Verfassung aus, das ist nie falsch. Es sind bekanntlich alle Menschen gleich an Rechten und Würde geboren. Ein deutschsprachig aufwachsendes Kind in Bozen hat demnach unverrückbar das gleiche Recht auf Bildung wie ein anders- oder mehrsprachig aufwachsendes Kind. Und umgekehrt.

Wie diese Bildung am allerbesten und mit gleichen Chancen gewährleistet wird, das ist nun eine Sache der Expert:innen. Ich bin keine Pädagogin. Viele Politiker:innen, und auch viele Kommentatoren sind das nicht. Zur Frage: Wie können Kinder, die unterschiedliche Ausgangspositionen haben, am besten in Unterricht gegeben werden, um die bestmögliche Bildung für alle (wie von den Menschenrechten vorgesehen) zu gewährleisten? haben sich Bildungswissenschaftlerinnen und die Sprachwissenschaftlerinnen ziemlich eindeutig zu Wort gemeldet.

Ich möchte, dass diese Diskussion genau auf Expert:innenebene geführt wird, und zwar sachlich, ehrlich und wissenschaftlich.

>Politik hat nicht diese Eckpunkte. Politik, vor allem Machtpolitik, diskutiert nach Gemengelagen. Die Einen wittern Zuspruch und holzen los, ohne Rücksicht auf Verluste, in diesem Fall der Verluste eines ganzen Schulsystems, und vor allem der Kinder. Medien amplifizieren, in diesem Fall gezielt und unverhohlen einseitig.

Der Fall Goetheschule zeigt auf, an welch seidenem Faden das viel beschworene Zusammenleben in Südtirol hängt.

Es genügt, dass die Dolomiten mit einem Titel daran zerren, und er zerreißt sofort und artet in einen Glaubenskrieg aus. Wie immer in einem Glaubenskrieg, geht es nicht darum, die besten Lösungen zu finden. Ein Glaubenskrieg braucht Bekenntnisse. Es entsteht Polarisierung, in der man sich zu positionieren hat. Zwischentöne, Sachlichkeit, Zweifel sind nicht zugelassen. Treib- und Hexenjagden beginnen, Leserbriefschlachten werden geführt, Shitstorms bauen sich auf, am Ende kürt das Tagblatt die Protagonistinnen zu Auf- oder Absteigerinnen der Woche.

Wir haben das alles schon gesehen: Die Sonderklassen-Debatte reiht sich nahtlos an die Frosch-Debatte und die Kreuz-Debatte – übrigens sind immer Frauen im Zentrum des Wirbelsturms, es wird ein Zufall sein. Wir haben auch daraus gelernt: Es geht vorbei. Anscheinend hält die Öffentlichkeit ca. 3 Wochen die Aufmerksamkeit hoch, dann flaut es langsam ab. So wird es auch diesmal sein.

Was also bleibt von dieser unseligen Diskussion?

Erstens ein Bildungssystem, das Angst haben wird, schwierige Themen anzugehen. Niemand wird je wieder so eine wilde Debatte führen wollen. Diese Lähmung gehört wohl durchaus zu den politischen Zielsetzungen der Treiber dieser Diskussion.

Zweitens sollten wir auch darauf schauen, was in der Volkspartei passiert ist. Die Parteiführung Steger/Stauder und ethnische Hardliner treiben Kompatscher und Achammer in die Marginalisierung. Anhand der Goetheschule inszeniert sich der aktuelle Machtkampf, vielleicht auch -wechsel innerhalb der SVP.

Und drittens entfernen sich die deutsche und die italienische Welt ein weiteres Mal voneinander. Die Mehrsprachigkeit (einer der Auswege aus dieser Situation, wir Grüne werden nicht müde es zu sagen) wird an die italienische Schule verlegt, unter dem Motto „wenn ihr unbedingt meint, macht’s euch eure mehrsprachige Schule selber“. Das wird es nicht lösen. Die italienischen Eltern wollen, dass ihre Kinder zusammen mit deutschsprachigen Kindern in der Klasse sitzen. Die sich herauskristallisierende Antwort auf dieses Bedürfnis ist: Nein. Die deutsche Schule gehört uns.

Wir sind also zurückgefallen in ein Denken der Trennung alter Zeiten. Unsere Mehrsprachigkeit macht sich gut in der Südtirol-Werbung. Damit umzugehen, in aller Komplexität und Widersprüchlichkeit und allen schwierigen Detailentscheidungen, das haben wir immer noch nicht gelernt. Oder nicht lernen wollen. Es bräuchte viel Pädagogik in unserem Land.

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Kommentare (62)

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