„Bittere Realität“
Der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) feierte am Samstag seinen 15. ordentlichen Bundeskongress. Das Motto war: „Auskommen mit dem Einkommen“.
Den feierlichen Auftakt machte die ASGB-Bundessekretärin Priska Auer mit ihren Grußworten.
Sie übergab das Wort an Elmar Aichner, der einstimmig zum Präsidenten des Kongresspräsidiums gewählt wurde.
Nach der Vorstellung der Tagesordnung übernahm Moderator Markus Frings die Leitung. Er stellte dem Leitungsausschuss des ASGB – bestehend aus Priska Auer, Petra Nock, dem ASGB-Vorsitzenden Tony Tschenett und seinem Stellvertreter Alex Piras – Fragen zu den wichtigsten Errungenschaften und Herausforderungen der vergangenen fünf Jahre.
In den weiteren Tagesordnungspunkten wurden die Rechnungsprüfer und das Schiedsgericht gewählt sowie eine Reihe von Anträgen zu zentralen Themen wie Autonomie, Arbeit, Bildung, Familie, Gesundheit und Soziales, Wohnen und Jugend einstimmig verabschiedet.
Nach einer kurzen Pause begann der öffentliche Teil des Kongresses, zu dem zahlreiche Ehrengäste aus der lokalen Politik und dem Verbandswesen erschienen.
In der folgenden Rede ging Tony Tschenett auf die drängenden Herausforderungen ein, mit denen viele Menschen in Südtirol derzeit konfrontiert sind.
Er betonte, dass das Verhältnis zwischen Einkommen und den massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten, insbesondere bei Mieten und Energiepreisen, für viele nicht mehr tragbar sei. Tschenett wies darauf hin, dass im öffentlichen Dienst seit Jahren keine Anpassungen der Gehälter an die Lebenshaltungskosten stattgefunden hätten, was zu Personalmangel und Abwanderung qualifizierter Fachkräfte führe. Besonders alarmierend sei auch das wachsende Problem der Altersarmut, das durch stagnierende Löhne und niedrige Renten verschärft werde. Er forderte Lohnerhöhungen im öffentlichen und privaten Sektor, faire Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Altersarmut.
Der thematische Höhepunkt des Tages war ein Vortrag der Universitätsprofessorin Ulrike Elfriede Loch zum Thema „Armut“, der die Zuhörer tief bewegte und zum Nachdenken anregte.
Ein besonders emotionaler Moment des Kongresses war die Ehrung des ehemaligen ASGB-Vorsitzenden Johann Egger, der mit seinen 85 Jahren noch immer aktiv im Gewerkschaftsbund mitwirkt. Die Laudatio hielt der frühere ASGB-Vorsitzende Hans Widmann, der Egger für sein jahrzehntelanges Engagement würdigte und ihn sichtlich gerührt auf die Bühne bat.
Der Leitungsausschuss des ASGB überreichte ihm als Zeichen der Anerkennung ein kleines Präsent – eine gelungene Überraschung, die für großen Applaus sorgte.
Hier gibt es jetzt noch die Rede von Tony Tschenett im Wortlaut:
„Wir stehen heute zusammen, weil wir mit einer bitteren Realität konfrontiert sind: Für viele Menschen in Südtirol stimmt das Verhältnis zwischen Einkommen und Lebenshaltungskosten nicht mehr. Das Motto unseres Kongresses ,Auskommen mit dem Einkommen‘ beschreibt die Situation vieler Südtiroler treffend. Doch leider ist für viele das Auskommen mit ihrem Gehalt oder ihrer Rente nicht mehr möglich.
In den kommenden Minuten möchte ich Ihnen detailliert darlegen, warum das so ist und was dringend unternommen werden muss, um diesen Zustand zu ändern.
Wir alle spüren es: Die Lebenshaltungskosten in Südtirol sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. Es beginnt bei den Mieten, die in Städten wie Bozen, Meran und Brixen förmlich explodiert sind. Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist für viele Menschen – besonders junge Familien und Berufseinsteiger – nahezu unmöglich geworden. Die hohen Mietpreise fressen einen großen Teil des Einkommens auf. Laut einer Studie geben Haushalte in Südtirol inzwischen über 40 Prozent ihres Einkommens allein für die Miete aus.
Hinzu kommen die steigenden Energiepreise, die in den Wintermonaten zusätzlich belasten. Was bleibt da noch übrig für den Alltag?
Die Folge ist, dass immer mehr Menschen gezwungen sind, an den grundlegenden Dingen des Lebens zu sparen. Lebensmittel, die früher als selbstverständlich galten, werden zur Luxusware. Selbst ein einfacher Wocheneinkauf wird für viele Familien zu einer finanziellen Belastung. Und dies in einer Provinz, die eigentlich zu den reichsten in Italien zählt! Es ist ein Paradox, das uns vor Augen führen sollte, wie tief das Problem geht.
Ein Bereich, der besonders stark betroffen ist, ist der öffentliche Sektor. Einst galt der öffentliche Dienst als Vorbild – als sicherer Arbeitgeber, der faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen bot. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Gehälter im öffentlichen Dienst sind seit Jahren nicht mehr an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten angepasst worden. Lehrer, Verwaltungsangestellte, Gesundheits- und Pflegekräfte – sie alle arbeiten hart, doch ihre Gehälter spiegeln weder den Wert ihrer Arbeit noch die gestiegenen Anforderungen wider.
Der Personalmangel im öffentlichen Dienst ist mittlerweile alarmierend. Es fehlt an qualifizierten Lehrkräften in unseren Schulen. In den Gemeinden und Bezirksgemeinschaften sind die Verwaltungen oft unterbesetzt. Altenpfleger und Behindertenbetreuer sind genauso rar. Und das Gesundheitswesen, das Rückgrat unserer Gesellschaft, ist am Limit. Es mangelt an Pflegekräften und Ärzten – und das in einer Zeit, in der die Gesundheitsversorgung wichtiger denn je ist. Die Arbeitsbelastung steigt, doch die Löhne stagnieren. Die Folge: Immer mehr qualifizierte Fachkräfte kehren dem öffentlichen Dienst den Rücken. Sie suchen nach besser bezahlten Jobs im Ausland oder wechseln in die Privatwirtschaft, die in manchen Fällen besser zahlt.
Doch der öffentliche Dienst hat nicht nur ein Problem mit den Gehältern. Auch die Arbeitsbedingungen sind längst nicht mehr attraktiv. Überstunden, mangelnde Wertschätzung und eine überbordende Bürokratie machen den öffentlichen Dienst für viele Menschen unattraktiv. Dabei ist gerade der öffentliche Dienst das Rückgrat unserer Gesellschaft. Er sorgt dafür, dass unsere Schulen funktionieren, unsere Gemeinden verwaltet werden und unsere Gesundheitsversorgung gewährleistet ist. Doch wie lange kann der öffentliche Dienst noch diese Funktion erfüllen, wenn die Arbeitsbedingungen sich nicht drastisch verbessern?
Auch im Privatsektor ist das Bild nicht viel besser. Es gibt durchaus Unternehmen, die erkannt haben, dass faire Löhne der Schlüssel sind, um qualifizierte Arbeitskräfte zu binden und zu motivieren. Diese Unternehmen investieren in ihre Mitarbeiter und sorgen dafür, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Doch leider gibt es auch genug schwarze Schafe. Viel zu viele Unternehmen zahlen weiterhin Löhne, die nicht im Verhältnis zu den steigenden Lebenshaltungskosten stehen.
Es gibt Arbeitgeberverbände, die sich weigern, angemessene Lohnerhöhungen zu akzeptieren, und gleichzeitig über den Fachkräftemangel klagen. Doch wer bietet schon seine Arbeitskraft an, wenn der Lohn nicht reicht, um die eigene Miete zu bezahlen? Wie soll man motiviert arbeiten, wenn das Gehalt kaum für den Lebensunterhalt reicht? Diese Unternehmen sind gefangen in einem Teufelskreis: Sie zahlen niedrige Löhne, verlieren qualifizierte Mitarbeiter und klagen anschließend über den Mangel an Fachkräften. Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand: Es braucht angemessene Löhne, die den Lebenshaltungskosten angepasst sind.
Ein weiteres zentrales Problem ist die Altersarmut. Wer heute wenig verdient, steuert zwangsläufig auf ein Leben in Armut im Alter zu. Das Rentensystem in Italien ist stark unter Druck. Schon jetzt sehen wir, wie viele Rentner unter den steigenden Lebenshaltungskosten leiden. Ihre Renten reichen oft nicht aus, um die täglichen Ausgaben zu decken. Die Inflation frisst die ohnehin schon niedrigen Renten auf.
Besonders alarmierend ist, dass die Kaufkraft der Rentner seit Jahren sinkt. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, darf nicht im Alter in Armut leben müssen! Es ist ein Skandal, dass viele ältere Menschen gezwungen sind, jeden Cent zweimal umzudrehen, während die Politik diese Entwicklung weitgehend ignoriert. Und es betrifft nicht nur die jetzige Rentnergeneration. Auch diejenigen, die heute im Erwerbsleben stehen und geringe Löhne erhalten, werden in Zukunft in Altersarmut abrutschen. Wenn wir nicht jetzt handeln, wird das Problem der Altersarmut in den kommenden Jahren noch dramatischer werden.
Zu all diesen Problemen gesellt sich ein weiteres, das die Zukunft Südtirols nachhaltig gefährdet: die Abwanderung von Fachkräften. Immer mehr qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlassen Südtirol, weil sie hier weder angemessen bezahlt werden noch die Perspektiven finden, die sie anderswo erhalten. Laut aktuellen Berichten ist Südtirol mittlerweile Spitzenreiter in Italien bei der Abwanderung von Fachkräften. Diese Menschen, die für unsere Wirtschaft und unseren öffentlichen Sektor unverzichtbar sind, suchen ihr Glück in anderen Ländern, wo sie bessere Löhne und attraktivere Arbeitsbedingungen finden.
Dieser Verlust an Fachkräften trifft uns doppelt hart: Einerseits fehlt es in vielen Bereichen bereits jetzt an Personal, andererseits wird die Lücke durch die Abwanderung immer größer. Besonders betroffen sind dabei der Gesundheitssektor, die IT-Branche und technische Berufe. Aber auch im Handwerk und im Baugewerbe verlassen immer mehr qualifizierte Arbeitskräfte das Land. Es ist ein besorgniserregender Trend, der nicht nur unsere Wirtschaft schwächt, sondern auch die Qualität unserer öffentlichen Dienstleistungen beeinträchtigt. Wenn wir nicht bald handeln, wird Südtirol zunehmend an Attraktivität als Arbeitsstandort verlieren – mit dramatischen Folgen für die Zukunft unserer Region.
Die Politik hat hier eine zentrale Verantwortung. Doch was sehen wir? Viel zu oft wird das Problem ignoriert oder kleingeredet. Es gibt Lippenbekenntnisse, aber keine konkreten Maßnahmen, die das Problem an der Wurzel packen. Es reicht nicht, nur über die Situation zu sprechen – es müssen endlich Taten folgen! Wir brauchen eine politische Offensive, die dafür sorgt, dass die Menschen in Südtirol wieder von ihrem Einkommen leben können. Es kann nicht sein, dass in einer der reichsten Provinzen Italiens so viele Menschen um ihre Existenz kämpfen müssen.
Es ist an der Zeit, dass wir nicht länger zusehen. Wir fordern konkrete Maßnahmen, um die Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen und die Löhne an die realen Bedürfnisse der Menschen anzupassen. Was wir brauchen, sind:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit zu handeln ist jetzt! Wir dürfen nicht länger warten. Wir müssen uns für diejenigen stark machen, die keine Stimme haben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in Südtirol von ihrer Arbeit leben können – heute und in Zukunft. Und wir dürfen nicht aufhören, bis wir unser Ziel erreicht haben.“
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