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Österreichische Schicksalswahl

Am Sonntag werden in Österreich die Nationalratswahlen abgehalten: Der renommierte
Politikwissenschaftler Peter Filzmaier über die tiefe politische Spaltung, den großen Imageschaden
der traditionellen Parteien und den Faktor Herbert Kickl.

TAGESZEITUNG: Peter Filzmaier, welche Prognose stellen Sie für den Ausgang der
Nationalratswahlen an? Wird die FPÖ diese für sich entscheiden oder genießen Sie die
Wahlumfragen mit Vorsicht?

Peter Filzmaier: Ich treffe täglich Leute, die angeblich jetzt schon das Wahlergebnis ganz genau
kennen. Ich als Politikwissenschaftler weiß das nicht. Denn ganz abgesehen von der
Schwankungsbreite der Umfragen: Auch seriöse und bestmöglich durchgeführte Datenerhebungen
können nicht erfassen, wie jene bis zu zehn Prozent der Wählerschaft abstimmen, die sich in den
letzten drei Tagen oder im Extremfall erst im Wahllokal entscheiden. Hinzu kommt als Unbekannte
die Wahlbeteiligung. Die Sehnsucht nach der Kristallkugel ist also unerfüllbar.

Wie haben sich die Parteilandschaft und Wählerpräferenzen in den letzten Jahren verändert?

Infolge der Polarisierung in der Gesellschaft haben sich auch die Trennlinien zwischen den Parteien
verschärft. Nicht nur gegenüber der FPÖ, sondern in der Bundespolitik auch zwischen ÖVP und SPÖ,
was freilich auch am sich klar links positionierengen Parteichef der SPÖ liegt. Hinzu kommt, dass das
Image aller traditionellen Parteien so schlecht ist, dass neue Parteien eine Chance haben. Auch wenn
sie, wie bei dieser Wahl der Fall, den für eine politische Gruppierung seltsamen Namen BIER haben
und so gut wie kein Programm vorweisen können.

Wie bewerten sie das Erstarken der FPÖ?

Es ist bemerkenswert, dass die FPÖ ihren Markenkern einer radikalen Oppositionspartei erhalten
konnte, obwohl sie dreimal in der Bundesregierung war und dort jedes Mal skandalträchtig
scheiterte. Weil ihr das aber gelungen ist, überrascht es wenig, dass man nach zahlreichen Krisen –
von der Coronapandemie bis zu Teuerung und Energiekrise als Folge des russischen Angriffskrieges
in der Ukraine – in der Opposition stark zulegt. Die Regierungsparteien konnten angesichts der
Krisen ja jahrelang nur Schadensbegrenzung und Problemverwaltung betreiben.
In Deutschland wird die Brandmauer zum Kampfbegriff gegen die Wahlerfolge der AfD, kann eine
solche Entwicklung im Falle eines Wahlerfolges der FPÖ auch in Österreich erwartet werden?
Nein. Die FPÖ ist in den Landesregierungen von Nieder- und Oberösterreich sowie in Salzburg. Auf
Bundesebene war sie von 2002 bis 2005 und 2017 bis 2019 in einer Koalition mit der ÖVP, von 1983
bis 1986 regierte sie mit der SPÖ. Der einzige Unterschied ist, dass die Freiheitlichen überall da in der
Rolle des Juniorpartners sind, nun stellen sie mit Herbert Kickl den Kanzleranspruch. Findet die ÖVP
eine andere Regierungsvariante, die ihr den Bundeskanzler und generell mehr Macht sichert, wird
sie das tun. Mit einer Brandmauer hat das nichts zu tun. Die inhaltliche Übereinstimmung der
Themenstandpunkte von ÖVP und FPÖ ist bis zu 80 Prozent. Ohne Kickl würde man sofort koalieren,
wie auch immer die Wahl ausgeht.

Welche Koalitionskonstellationen halten Sie für realistisch?

Entweder es regieren ÖVP und FPÖ gemeinsam, in welcher Reihenfolge auch immer. Oder es kommt
zu einer Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ. Wenn rechnerisch notwendig mit den liberalen Neos
oder den Grünen als Dritten im Bunde.

Was würde ein Sieg der FPÖ für die politische Entwicklung auf nationaler und europäischer Ebene
bedeuten?

Außer einer Symbolwirkung wenig bis nichts, falls die FPÖ nachher nicht in der Regierung ist. Falls
doch und sogar als Kanzlerpartei, so wird Österreich auf europäischer Ebene vermutlich mit Ungarn
gleichgesetzt. Innenpolitisch würde klarerweise die Polarisierung noch mehr zunehmen.

Welche Themen sind für die Wahl besonders entscheidend?

Bis vor zehn Tagen waren die entscheidenden Themen Zuwanderung, Teuerung und Umwelt. In
dieser Reihenfolge. Nach einer Hochwasserkatastrophe in den östlichen Bundesländern ist jedoch
das Thema Klimaschutz auf den ersten Platz vorgerückt. Doch zugleich geht es um
Krisenmanagement, und ob die Amtsinhaberpartei ÖVP nach bayrischem Vorbild dadurch profitieren
kann. Es ist durch Studien wissenschaftlich belegt, dass 2013 in Bayern nach einem Hochwasser
mittels geglückter Kommunikation in der Krise Horst Seehofer als Ministerpräsident mit der CSU die
absolute Mehrheit zurückholte. Karl Nehammer und der ÖVP stehen dabei freilich einige den
Klimawandel verharmlosende Aussagen im Weg.

Wem spielen die heftigen Unwetter stimmentechnisch in die Hände und wem schaden sie?

Natürlich profitieren die Grünen davon, dass nun ihr Wunschthema Umwelt und Klima im
Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Umgekehrt ist es für die FPÖ ein Nachteil, dass
in der Schlussphase des Wahlkampfs niemand über Zuwanderung und Asyl reden will.

Welche Rolle spielen die kleineren Parteien bei der Wahl?

Alle kleineren Parteien, die bundesweit kandidieren, haben nur mittelmäßige bis mäßige Chancen in
den Nationalrat einzuziehen. Sie beeinflussen aber so oder so entscheidend die
Mehrheitsverhältnisse. Gelingt keiner Kleinpartei der Sprung über die Mindesthürde von vier
Prozent, bleiben deren Stimmen natürlich bei der Sitzverteilung unberücksichtigt – und es steigt die
Wahrscheinlichkeit für Zweiermehrheiten. Gelingt hingegen einer oder gar zwei Kleinparteien der
Nationalratseinzug, braucht es für tragfähige Mehrheiten wahrscheinlich eine Dreierkoalition.

 

Interview: Christian Frank

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • steve

    Vor kurzem wurde ganz Niederösterreich zum Katastrophengebiet erklärt. Etwas das es in diesem Ausmaß noch nie gegeben hat. Im Osten wütet ein brutaler Krieg, in dem selbst vor der Bombardierung von Kinderspitälern nicht halt gemacht wird.

    Vermutlich stellt demnächst in Österreich eine Partei den Kanzler, die den Klimawandel als Realität ablehnt und sich den brutalen Verbrecher im Osten zum Partner gemacht hat.

    Mit Kickels Spott allein löst man keine Probleme und die Naturgesetze sind kein Wunschkonzert!
    Der Prophet führt euch tiefer in die Krise!

    So schauts aus heast Oida 😉

  • andreas69

    Vielleicht bekommen die Südtiroler jetzt den Doppelpass? Hier könnte die Packtlpartei ihr können unter Beweis stellen: selbst mit rechtsnationalen eine Regierung bilden und jenseits des Brenners den Pass beantragen. Das wäre wieder mal eine richtige Herausvorderung für die SVP. Mit dieser zweigesichtigen Politik sind sie ja bestens vertraut.

  • morgenstern

    Bleib locker Steve, die Welt wird schon nicht unter gehen. Ach die Rechten sollten ihre Möglichkeit bekommen um am Ende zu scheitern wie die Grünen in Deutschland.

    • steve

      Und wenn man dann fragt woran die Grünen denn groß gescheitert sein sollen, kommt Blödsinn oder gar nichts!

      • placeboeffekt

        Die Grünen scheitern weil sie nicht verstehen, warum sie gerade scheitern- so wie Sie 🙂

        Die grüne Führung lebt in ihrer eigenen Welt, entrückt von den Problemen der Wirtschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Ideologie, gepaart mit Naivität und Sendungsbewusstsein, Weltfremdheit sind die Attribute vieler Exponenten Partei.

        Wobei ein Kretschmann und der geschasste Boris Palmer in dieser Chaostruppe eigentlich nix verloren haben, weil sie kompetent sind und Hirn haben.

        • steve

          Mehr als Bla bla und Allgemeinplätze haben sie nicht zu bieten?

          Sie scheitern an einer gscheiden Analyse! Das kommt davon wenn man NZZ liest!

          • placeboeffekt

            Ok
            Dann beglücken Sie uns doch mit Ihrer Analyse, wenn Ihnen meine zu abstrakt ist.

            Aber bitte nicht das übliche Kopf in den Sand „die Leute sind doof, wir müssen unsere Politik besser erklären „

            Was die NZZ angeht, empfehle ich Ihnen die Lektüre von „ Tausend Zeilen Lügen „ eines gewissen Spiegel Journalisten Moreno.
            Vielleicht geht auch Ihnen ein Lichtlein auf, warum diese Zeitung der Zeit oder SZ vorzuziehen ist.

          • steve

            Der Vorwurf des Scheiterns kam doch von ihnen, oder nicht?
            Also es bleibt beim Bla bla bla! Möchtens nicht ihr pseudointelektuelles Geschwafel noch mit ein bisschen Bodyshaming gegenüber Frau Lang garnieren?

            Vielleicht hats die NZZ nicht geschrieben, aber alle Ampelparteien haben in den Umfragen Stimmen eingebüßt! Die Grünen prozentuell am wenigsten.

  • andreas1234567

    Hallo zum Mittag,

    warum das jetzt eine Schicksalswahl sein soll? Wird nicht so richtig erklärt, Legislaturperiode ist beendet, es wird neu gewählt und nach Lage der Dinge werden die Karten in Sachen Regierung neu gemischt.
    Nach Lage der Dinge werden die drei grossen Parteien unter sich ausmachen und das skurrile Sammelbecken der Kleinparteien mit ihren Extremisten, Utopisten ,Geldverschenker mit Weltsozialamtsattitüden, Planetenretter kann bestenfalls auf den Oppositionsbänken teilnehmen wenn sie nicht erfolgreich die 4%-Limbostange untertanzen was zumindest bei den Kommunisten sehr wahrscheinlich ist.
    Es passiert auch nichts aussergewöhnliches, es fliegen wieder einmal Grüne aus einer Regierung, das ist in Europa mittlerweile ein feiner Brauch bei solchen Wahlen.
    Es wird wahrscheinlich FPÖ/ÖVP oder umgekehrt, sich mit der sehr nach links gerutschten SPÖ und den plärrenden Grünen ins Bett zu legen wird sich der Nehammer nicht wirklich geben wollen.
    Freu mich auf das „hab 10 Zitronen gefressen“-Gesicht vom grünen Präsident van der Bellen wenn er die neue Regierung angeloben muss..

    Weil sich hier der selbsternannte Klassensprecher der bundesdeutschen Grünen wieder einmal mit nichtssagenden Jubelperserkommentaren beteiligt, die Ursachen und Gründe für den Absturz der bundesdeutschen Grünen würden jeden Kommentarrahmen sprengen, um das halbwegs zu umschreiben bräuchte es einen Zeitungsartikel im Umfang eines Tagesaufmachers. So wie es die STZ gestern in der gedruckten Ausgabe im Angebot hatte..

    Auf Wiedersehen am Sonntagabend, da stellt der Deutsche immer die grüne Tonne vor die Tür, auch und gerade an Wahlsonntagen

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