Du befindest dich hier: Home » Kultur » „Ich mag keine Eierkopfkunst”

„Ich mag keine Eierkopfkunst”

Andrea Fraser in der Fondazione Antonio Dalle Nogare: Kritik in der Kunst ist generell zu einer Art Fehler-Suche geworden. Künstler suchen etwas, was falsch läuft, und dann wollen sie es entblößen. Das ist eine ziemlich begrenzte Strategie. (Fotos: Luca Meneghel)

Die US-Künstlerin, Schriftstellerin und Denkerin  Andrea Fraser ist eine der radikalsten und einflussreichsten Künstlerinnen ihrer Generation. In ihren Arbeiten zur Institutional Critique (Institutionskritik) setzt sie sich mit den Mechanismen des Kunstsystems, den Kunstinstitutionen und der Figur des Sammlers auseinander. Ein Gespräch anlässlich ihrer Ausstellung „I just don’t like eggs!“ in der Fondazione Antonio Dalle Nogare.

Tageszeitung: Frau Fraser, Ihre erste Einzelausstellung in Italien, in der Fondazione Antonio Dalle Nogare, trägt den Titel: „I just don’t like Eggs“. Sind mit dem Titel männliche Eier gemeint?

Andrea Fraser: (lacht) Nein, ich habe bei dem Titel überhaupt nicht an Hoden oder Eierstöcke gedacht. „I just don’t like Eggs” ist ein Zitat aus meinem Film „May I help you?”. Es stammt von einer britischen Kunstsammlerin, die über konzeptuelle Kunst spricht und dabei das Wort „Egghead” verwendet.  Mit „Eierkopf” sind Intellektuelle gemeint. So ist der Titel zu verstehen: „Ich mag keine Eierköpfe“, ich mag keine Intellektuellen, und deren „Eierkopfkunst”. Wobei ich selbst genau zu dieser Sorte von Eierkopf-Künstlerinnen gehöre.

Wer kam zuerst, Henne oder Ei?

Das ist eine unbeantwortbare Frage. Es ist die Frage ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich tendiere dazu eine „Glas halb leer“-Person zu sein.

Bekannt und berühmt geworden sind Sie als die Vertreterin der sogenannten „Institutional Critique”. Warum ist es Kunst, Institutionen zu kritisieren, in denen man selbst ausstellt?

Institutionskritik ist Kunstinstitutionen und dem Kunstsystem generell kritisch gegenüber eingestellt. Klassische Institutionskritik versteht Kunst als ein Statussymbol, das seine Bedeutung und seinen Wert aus seinem sozialen oder institutionellen Kontext bezieht. Die historische  Institutionskritik kommt aus einem avantgardistischen Denken heraus: Radikale Künstler gegen bürgerliche Kunstinstitutionen…

Sie hingegen …

Ich verfolge im Unterschied dazu seit den 1980er Jahren eine Kunst, die eine generelle Kritik am erweiterten Kunstfeld darstellt. Für mich war es immer sehr wichtig, Institutionskritik nicht nur als eine Kritik an Institutionen zu betreiben, sondern als eine Kritik an der künstlerischen Praxis.  Ich interessiere mich weniger für die Hülle von Institutionen, sondern für das Beziehungsgeflecht, das hinter diesen Institutionen steht. Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder das Medium der Performance als künstlerische Praxis wähle.

Institutionskritische Künstler produzieren keine Objekte, keine Waren aus einer inneren Dringlichkeit heraus, sie hinterfragen auf kritische Weise die Institutionen, in denen ihre Werke gezeigt werden. Korrekt?

Ich glaube nicht, dass das Innere und Äußere in Opposition zueinander stehen. Im Gegenteil. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat gezeigt, dass Institutionen nicht etwas von uns abgesondertes sind, sondern etwas, was wir internalisiert haben und reproduzieren. Die Gesellschaft existiert nicht nur auf externer Ebene, sondern wir selbst haben die Institutionen internalisiert.  Um auf die vorige Frage zurückzukommen: Es ist in meinen Augen unmöglich, zwischen Henne und Ei zu unterscheiden, weil das, was scheinbar spontan aus einem Künstler herauskommt, bereits vom institutionellen Feld der Kunst internalisiert ist. Das, was als Kunst produziert wird, ist zum großen Teil von der Geschichte der Kunst, ihren Institutionen, ihren Diskursen usw. determiniert.

In einem Interview haben Sie Kritik als eine Form der Liebe bezeichnet.

Das ist das psychoanalytische Verständnis von Kritik. Für mich ist Kritik eine Kunstform, eine Methodologie, die kritisch, reflexiv und standortspezifisch agiert. Was heißt das aber? Du kannst „Kontext Kunst“ machen, was aber nicht bedeutet, dass sie per se kritisch oder selbstreflexiv ist. Du kannst kritische Kunst machen, die nicht standortspezifisch ist, oder du kannst reflexiv sein, was aber nicht gleichbedeutend mit einer kritischen Haltung ist. Für mich ist es die Kombination dieser drei Elemente, die Institutionskritik ausmachen.

Nämlich?

Kritik in der Kunst ist generell zu einer Art Fehler-Suche geworden. Künstler suchen etwas, was falsch läuft, und dann wollen sie es entblößen. Diese Art der Kunst hat in der Kunst eine Geschichte und Tradition, es ist aber eine ziemlich begrenzte Strategie. Ich habe viel Zeit damit verbracht mich zu fragen was Kritik ist, und was effektive Kritik ausmacht.

Kunst ist nutzlos und hat keine gesellschaftlichen Folgen lautet eine verbreitete Meinung. Wenn man aber sieht, wie die Künstlerin Nan Goldin es geschafft hat, die  mit Opioid-Schmerzmitteln reich gewordene Sackler-Familie aus Institutionen wie dem Louvre, dem British Museum, der Tate Gallery, dem Guggenheim, dem Metropolitan Museum hinauszudrängen, trifft das Gegenteil zu. Ist das ein Beispiel für effektive Institutionskritik?

Andrea Fraser und Antonio Dalle Nogare: Der Sammler hat nicht für Sex bezahlt, sondern für das Video. Ich war also nicht eine Prostituierte, sondern wenn schon eine Pornographin.

Sicher. Gleichzeitig gehört es aber auch zur Institutionskritik, dass sie die Nutzlosigkeit der Kunst als eine politisch progressive, kritische Haltung begreift. Ich tendiere dazu, komplexe Antworten zu suchen. Ich glaube nicht, dass es einfache Antworten auf die Probleme unserer Welt gibt. Es gibt sehr verschiedene Wege, wie die Kunst politischen Einfluss nehmen kann. Kunstinstitutionen sind heute extrem prominente und einflussreiche Akteure. Das Kunstfeld oder die Kunstindustrie ist extrem einflussreich, es handelt sich um ein globales Milliardengeschäft, und das ist jetzt nur der Kunstmarkt, Museen nicht mit eingerechnet. Viele Museen besitzen extrem wertvolle Sammlungen von Kunstwerken, ihre Verwaltungsräte gehören zumindest in den USA zu den mächtigsten Clubs der Welt. Man kann mit kulturellen Aktivismus die Museen dieser Welt zwingen sich von „toxischen Verwaltungsräten“ zu trennen, aber diese Strategie birgt auch ein Risiko, denn ist damit das Problem aus der Welt geschafft?

…wenn es nur so einfach wäre…

Eben nicht. Das System wird nicht repariert, indem wir uns von den schlechten Aufsichtsräten trennen. So einfach ist das nicht, wir haben fundamentale systemische Probleme, die nicht einfach durch das Auswechseln von problematischen Aufsichtsräten gelöst werden können. Die Probleme liegen tiefer.

Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer. Wird in der Kunst die Klassenfrage gestellt?

Ich habe 2016 ein größeres Projekt zu Kapitalkonzentrationen unternommen mit dem Titel „L’1%, c’est moi“. Der eigentliche Konflikt unserer Zeit besteht zwischen kulturellem und ökonomischem Kapital. Dieser Konflikt steht im Zentrum der Politik, die sich gerade überall entfaltet. Die Linke definiert Klasse allein mit ökonomischen Begriffen und tendiert dazu, kulturelles Kapital nicht als eine Form der Macht anzuerkennen. Die Rechte hingegen definiert Klasse ausschließlich mit kulturellen Begriffen und minimiert das Ökonomische lediglich als eine Form der Macht. Es ist ganz klar ein Problem der Linken, dass sie kulturelles Kapital nicht als eine Form der Macht sieht, bzw. negiert.

Auch die politische Rechte betreibt Institutionskritik, indem sie in den Kunstinstitutionen Verschwörungen der sogenannten Eliten am Werk sieht. Wie kann man sich davon abgrenzen?

Ja, das ist so. Ich habe 2005 einen Text geschrieben mit dem Titel „Von einer Kritik an den Institutionen zu einer Institutionskritik”. Mein Verständnis von Institutionskritik unterscheidet sich von der Kritik der 1970er Jahre, die von einem starken Anti-Institutionalismus, im Sinne der Zerstörung von Institutionen geprägt war. Heute bedient sich die Rechte dieser Techniken und Traditionen. Für mich bedeutet Institutionskritik hingegen eine Verteidigung von Kunstinstitutionen als Orte von Kritik an der Gesellschaft. Ich verstehe Institutionen als Orte der Autonomie, des freien Denkens, des freien Ausdruckes, kurz der Kritik. Institutionskritik ist in meinen Augen eine Verteidigung des Kunstfeldes und ihrer Institutionen.

Welche Rolle spielt Humor in ihrem Werk?

In meinen früheren Werken spielte Humor eine viel größere Rolle als heute. Humor ist eine populäre Form der Kritik, mit Humor können wir das Repressive unserer Zeit für einen Moment hinter uns lassen und in Lachen auflösen. In meinem Werk kombiniere ich Humor und Pathos. In den letzten Jahren tendiere ich aber immer stärker in Richtung Pathos.

Einer breiteren Öffentlichkeit sind Sie durch Ihre Performance „Untitled” bekannt geworden, bei der Sie einem Sammler Sex mit Ihnen als Kunst verkauft haben. Das Abhängigkeitsverhältnis von Künstlerinnen und Künstlern von Sammlern ist darin radikal in einem sexuellen Akt ausgedrückt. Ist das Werk Prostitution?

Nein, das Werk ist keine Prostitution. Der Sammler hat für einen Service bezahlt und nicht für Prostitution. Ich habe mein Werk schon immer als „Service” verstanden, in dem es nicht darum geht „Waren” herzustellen. Tatsächlich habe ich aber bei „Untitled” eine Ware hergestellt, nämlich das Video. Der Sammler hat also nicht für Sex bezahlt, sondern für das Video. Ich war also nicht eine Prostituierte, sondern wenn schon eine Pornographin.

Im Innenhof der Fondazione Dalle Nogare hört man eine Audio Installation mit Geräuschen aus einem US-Gefängnis. Sie verwandeln diesen prächtigen Ort akustisch in einen Gefängnishof. Sind Museen Gefängnisse?

Es gibt da Parallelen. Während der 1970er Jahre gab es in den Vereinigten Staaten einen Boom von neuen Gefängnisbauten und parallel dazu einen Boom von neuen Museumsbauten . Der Aufstieg des Kunstmarktes erfolgte parallel zum Anstieg der Inhaftierungen. In den Vereinigten Staaten sind heute mehr Menschen eingesperrt als in jedem anderen Land der Welt.  Für mich ist es evident, dass in den USA Gefängnisse und Museen zwei Seiten der gleichen Medaille bilden, nämlich die der sozialen Spaltung. Auf der einen Seite gibt es Museumsbauten von Stararchitekten wie Renzo Piano, die Showcase Architektur produzieren, und gleichzeitig gigantische Gefängnisse die außerhalb unseres Sichtfeldes versteckt werden. Auf einer Seite steht das Gefängnis als Institution des Freiheitsentzuges, auf der anderen Seite das Museum, in dem die Freiheit des Ausdruckes hochgehalten wird.

Wie würde das ideale Museum aussehen?

Das kann ich nicht beantworten. Für die Vereinigten Staaten kann ich nur sagen, dass Museen nicht mehr auf die finanziellen Zuwendungen von Aufsichtsräten angewiesen sein sollten. Um in den Aufsichtsrat des Moma in New York aufgenommen zu werden, muss man 5 Millionen Dollar hinblättern, um Teil des Boards des Metropolitan Museums zu werden, muss man, glaube ich, 10 Millionen hinlegen. Wer Entscheidungsträger in einem Museum werden will, muss sich einkaufen. Das ist korrupt. In jedem anderen Feld würde das als Korruption gelten. Ein Aufsichtsrat eines Museum darf nicht nur die Finanzkraft ihrer Mitglieder repräsentieren, sondern muss breit aufgestellt sein. Es sollten Künstler und andere Vertreter der Gesellschaft Teil der Entscheidungsebene von Museen werden. Ich weiß nicht, ob das ein ideales Museum kreieren würde, aber sicherlich ein demokratischeres.

Interview: Leander Schwazer

 

Andrea Frasers Performance May I Help You?

In Zusammenarbeit mit der Antonio Dalle Nogare Stiftung und im Rahmen der Retrospektive „I just don’t like eggs!“ Andrea Fraser on collectors, collecting, collections, präsentiert das Transart Festival heute, 25. September, Andrea Frasers Performance May I Help You? (1991/2024). Zum ersten Mal in Italien aufgeführt und in der Sammlung Antonio Dalle Nogare re-aktiviert, präsentiert die Performance sechs verschiedene Positionen in Bezug auf kulturelle Objekte, die jeweils paradigmatisch für eine andere soziale Klasse stehen. Indem sie ihren Tonfall, ihre Körperhaltung, ihre Sprache und ihre Beziehung zu den Zuschauer:innen sowie zu den Kunstwerken variiert, hebt Fraser hervor, dass Kultur nicht nur in den Dingen objektiviert, sondern auch in den Menschen verkörpert wird. Indem sie die Dynamik von Affirmation und Negation inszeniert, die diese Positionen sowohl definieren als auch differenzieren, verdeutlicht Fraser die Funktion des Kulturkonsums als Ausdruck sozialer Hierarchien und unseres innersten Selbstverständnisses. Die Performance findet wird dreimal um 18:00 (tickets), 19:00 (tickets) und 20:00 (tickets) statt.

 

Zur Person

Andrea Fraser wurde in Billings, Montana (USA, 1965) geboren. Sie lebt und arbeitet in Los Angeles, Kalifornien, wo sie Dozentin im Fachbereich Kunst an der School of the Arts and Architecture der University of California Los Angeles (UCLA) ist. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in Einzelausstellungen im Hammer Museum, Los Angeles, im Philadelphia Museum of Modern Art, im Künstlerhaus Stuttgart, Deutschland, im Art Institute of Chicago, im Whitney Museum of American Art, im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, und an der Harvard University, Cambridge, MA (2010) gezeigt. Fraser erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Foundation for Contemporary Arts Fellowship, New York, den Oskar-Kokoschka-Preis, Wien, und den Wolfgang-Hahn-Preis, Köln. 1993 vertrat sie Österreich auf der 45. Biennale Venedig gemeinsam mit Christian Philipp Müller und Gerwald Rockenschaub.

Die Ausstellung

Die von Andrea Viliani mit Vittoria Pavesi kuratierte Ausstellung in der Fondazione Antonio Dalle Nogare ist die erste Retrospektive in einer italienischen Institution, die ausschließlich Frasers Werken gewidmet ist und sich mit der Figur des Sammlers, dem Sammeln, dem Kunstmarkt und den Überschneidungen zwischen privaten und öffentlichen Sammlungen beschäftigt. Das Projekt umfasst Werke, die das gesamte Œuvre der Künstlerin von den späten 1980er Jahren bis zu ihren jüngsten Produktionen abdecken, darunter auch eine neue, speziell für die Ausstellung entstandene Arbeit.

Termin: Bis 22. Februar 2025 in der Fondazione Antonio Dalle Nogare, Rafensteinerweg 19, Bozen. .  www.fondazioneantoniodallenogare.com

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen