Giftige Kleider?
Plattformen wie Temu oder Shein versprechen niedrige Preise und die Möglichkeit, an unauffindbare Artikel zu kommen. Doch ist wirklich alles Gold, was glänzt?
von Nadia Tinkhauser
Über soziale Netzwerke, Blogs oder Online-Tutorials findet ein Jugendlicher eine Jacke auf Shein, die er schon lange im Auge hat. Normalerweise würde diese rund 700 Euro kosten, doch auf der Webseite wird sie für weniger als 50 Euro angeboten – ein verlockendes Angebot, das er sich nicht entgehen lassen will. Auch dessen Freundin, die regelmäßig im Internet surft, wird durch zahlreiche Banner auf verführerische Angebote aufmerksam gemacht. Temu präsentiert ihr immer wieder eine Vielzahl von Produkten zu unschlagbaren Preisen. Die beiden verbringen schließlich den ganzen Tag auf den Portalen, um Schnäppchen zu ergattern. Und sie sind bei weitem nicht die Einzigen: Immer mehr junge Menschen nutzen regelmäßig Plattformen wie Shein und Temu für ihre Einkäufe.
Arnob Chowdhury, ein 23-jähriger Wirtschaftsstudent aus Bozen, bestätigt diesen Trend. „Ich kaufe oft online und habe schon häufig erlebt, dass viele diese Portale nutzen.“ Die Beliebtheit dieser Fast-Fashion-Anbieter erklärt Chowdhury vor allem durch ihre starke Präsenz in den sozialen Medien: „Influencer arbeiten oft direkt mit Unternehmen wie Shein zusammen. Durch Rabattcodes, Kooperationen oder sogar eigene Modekollektionen schaffen sie Anreize für ihre Follower, dort einzukaufen.“ Vor allem die extrem niedrigen Preise sowie die Belohnungssysteme, bei denen Nutzer durch Interaktionen wie das Teilen oder Bewerten von Produkten zusätzliche Rabatte erhalten können, tragen zur Attraktivität dieser Plattformen bei. „In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, insbesondere als Student oder Schüler, der oft nur ein begrenztes Budget hat, ist der Druck groß, überall zu sparen“, erklärt er weiter. „Da ist es verständlich, dass viele auf solche günstigen Angebote zurückgreifen.“
Doch die extrem niedrigen Preise haben auch eine Schattenseite: Immer wieder stehen Anschuldigungen zu den Themen Zwangsarbeit, Ausbeutung und schädliche Chemikalien, die die Gesundheit der Käufer ernsthaft gefährdet, im Raum. „Diese Plattformen mögen gut für den eigenen Geldbeutel sein, aber das Leid der Menschen, die unter diesen Bedingungen arbeiten, wird oft übersehen oder ist vielen gar nicht bewusst“, bedauert der Student.
Untersuchungen zeigen außerdem, dass die Produkte dieser Anbieter nicht nur für die Arbeiter und die Umwelt gefährlich sind, sondern auch für die Verbraucher selbst. Südkoreanische Behörden fanden erst kürzlich in Artikeln von Shein und Temu gesundheitsschädliche Stoffe. Dabei überschritt ein Paar Schuhe von Shein den zulässigen Grenzwert für Weichmacher um das 229-Fache, was zu Unfruchtbarkeit und Frühgeburten führen könnte. Auch bei Temu wurden giftige Chemikalien wie Blei und Formaldehyd in unzulässig hohen Konzentrationen festgestellt, welche in Verdacht stehen, krebserregend zu sein und andere schwere Gesundheitsschäden zu verursachen. Obwohl die betreffenden Artikel nach Bekanntwerden der Untersuchungsergebnisse von den Portalen entfernt wurden, bleibt die grundsätzliche Problematik bestehen. Plattformbetreiber wie Shein und Temu argumentieren, dass sie lediglich Vermittler seien und keine direkte Kontrolle über die Produkte haben, die von den Herstellern angeboten werden.
Die Verbraucherzentrale Südtirol warnt vor dem Kauf dieser Waren. Dies nicht nur aufgrund der potenziell gefährlichen Inhaltsstoffe, sondern auch wegen rechtlicher Probleme: „Viele dieser Plattformen haben ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union und unterliegen daher nicht den strengen europäischen Vorschriften zum Verbraucher- und Umweltschutz“, erklärt Stefano Albertini, Koordinator des Europäischen Verbraucherzentrums in Bozen. Dadurch könnten Produkte verkauft werden, die in der EU aufgrund von Verstößen gegen Umwelt- und Gesundheitsschutzvorschriften längst verboten sind. „Wenn ein Artikel fehlerhaft ist oder nicht der versprochenen Qualität entspricht, gestaltet sich die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen oft als äußerst schwierig“, fügt Albertini hinzu. Rücksendungen seien oft kompliziert und mit hohen Kosten verbunden, was viele Verbraucher abschreckt. Darüber hinaus warnt er vor dem Kauf von vermeintlichen Luxusmarken zu auffallend günstigen Preisen. „Oft handelt es sich hierbei um Fälschungen“, betont Albertini, was auch rechtliche Konsequenzen haben kann, denn Käufer gefälschter Ware müssen mit Strafen von bis zu 7.000 Euro rechnen.
Die EU hat erste Schritte unternommen, um dem unkontrollierten Wachstum dieser Plattformen entgegenzuwirken. „Im März 2024 trat ein Gesetz – der Digital Markets Act – in Kraft, das den großen Plattformen wie Shein und Temu strengere Vorschriften auferlegt“, so Albertini. Zudem appelliert der Koordinator an die Verbraucher: „Jeder kann einen Beitrag dazu leisten, den Konsum von Fast Fashion zu reduzieren. Bewusstes Einkaufen, die Entscheidung für langlebige und umweltfreundlich produzierte Kleidung sowie der Kauf von Second-Hand-Mode sind wichtige Maßnahmen, um den negativen Einfluss von Fast Fashion zu minimieren.“
Ähnliche Artikel
Kommentare (4)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.
andreas
Dass der Krempel von Temu, Shein oder Alibaba größtenteils von zweifelhafter Herkunft ist, sollte doch jedem Schnäppchenjäger bekannt sein.
Wenn es jemand doch kauft, sollte er sich nicht beschweren, wenn ein Elektrogerät mal Feuer fängt oder die Bremsbacken für € 14,99 dann doch nicht so gut bremsen.
Die EU ist leider zu blöd manche Einfuhren zu unterbinden, sie haben es ja nicht mal geschafft, Amazon dazu zu zwingen, dass sie die chinesischen Waren in der EU verkaufen, sie von den Chinesen die MwSt. kassieren und diese dann an die Staaten abführen.
Die chinesischen Händler wissen größtenteils nicht mal, was eine MwSt. ist und dass die abzuführen wäre.
Aber für jemanden der jeden Krempel braucht und sparen will, sind die Seiten recht gute Alternative zu vielen europäischen Seiten, da diese teilweise auch nur denselben Mist mit Aufschlag verkaufen.
Wobei man da aber annehmen kann, dass das Zeug einigermaßen EU-konform ist.
.
gulli
Sind das die selben Jugendlichen, die dann Freitags für Klimaschutz protestieren?
andreas
Es sind nicht nur Jugendlche, welche den Mist kaufen, also kannst dir deine Kritik sparen.
Nebenbei steht es den Jugendlichen zu zu protestieren, sie können nichts für die Welt, welche Koyphäen wie du ihnen hinterlassen.
placeboeffekt
Gulli
Fff & Co stellen eine kleine, lautstarke Minderheit dar.
Die erdrückende Mehrheit interessiert sich hauptsächlich was Kylie Jenner , die Kardashians und ander „ Beeinflusser“ so treiben, und eifert denen nach.
Die Diskrepanz zwischen Nachhaltigkeitsgefasel und Verhalten welches den Planeten zerstört raubt einen den Atem .