Wagnerlt’s? Jetzt Wagnerlt‘s nimmer!
Notate und nähere Betrachtungen des prädominanten Genies Anton Bruckner zum 200. Geburtstag von C. F. Pichler.
Erfahrungsgemäß sind Genies aller Lebensbereiche wegen ihres Wirkungskreises immer präsent. Bei Anton Bruckner soll mit näheren Betrachtungen das Rückrufen zur Excellenz werden, da er jahrein – jahraus ‚der‘ Jubilar ist. Wenn Bruckner zu Lebzeiten verkannt wurde, dann deshalb, weil eingeschworene Musikkritiker ihn herabwürdigten. Seine Musik hielten sie für verrückt und trafen dabei genau den Tenor der bürgerlichen Scheinwelt. Doch das‚Verrückte‘ bekundet Bruckners prädominante Genialität in seinen Klangkosmen. Die pejorative Kritik von Eduard Hanslick erscheint heute wie eine Lobeshymne: „Es bleibt ein psychologisches Rätsel, wie dieser sanfteste und friedfertige aller Menschen im Moment des Componierens zum Anarchisten wird, der unbarmherzig alles opfert, was Einheit der Form und Tonalität heißt. Wie eine unförmliche glühende Rauchsäule steigt seine Musik auf.“ (1892)
Bruckner kränkte Hanslicks Abneigung, wenn er den „Schönheitssinn“ missbilligte. Doch die Adjektiva, „Nicht – Alltägliches“, „glühende Rauchsäule“, verwandeln sich in nie erlebte (nicht religiöse!) Apotheosen. Auch wenn die kirchlichen Werke Sphärisches einbinden, schreitet Bruckner als Ruhestörer mit vollendeter Polyphonie zur großen Symphonie. Er zitiert in den Symphonien seine geistigen weltlichen Vokalwerke – in denen die kontrapunktischen Affektwechsel des Polyphonen und Homophonen der Kirchentonarten eingebunden sind – wie Anregungen aus Richard Wagners Musikdramen. Doch der Selbstbewusste, der Humorist, lässt sich ‚anregen‘, ist empfindlich über Assoziationen, und: bleibt ER SELBST! Max Brod erzählte von einem Thema, das Bruckner Christian von Ehrenfels vorspielte. Als der meinte, dass ihn diese Passage an Wagner erinnere, fragte Bruckner: „Wagnerlt’s?“ Dann veränderte er das Thema und sagte: „Jetzt Wagnerlt’s nimmer!“
Der Sonderling Bruckner wollte den „Wiener Musikverein“ erobern, ja, er ist förmlich in ihm eingedrungen! Bruckners Symphonien waren 1896 in Wien noch umstritten, aber niemals verkannt. Das bezeugen die Aufführungen unter den weltbesten Dirigenten, besonders unter Arthur Nickisch, der mit der „Siebten“ bei der UA ‚die‘ Brucknerweihe einleitete.
Die Wiener Klassik mit Joseph Haydn, Mozart und Beethoven stand jenseits der kritischen Vertrautheit, während der ‚sogenannte‘ Wagnerianer Bruckner sich dem gefeierten Brahms als Antipode entgegenstellte. Der war Bruckner gegenüber herablassend: „Er ist ein armer, verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben… Glauben Sie denn, daß ein Mensch unter dieser unreifen Masse auch nur das Geringste von diesen symphonischen Riesenschlangen begreift?“ (an Elisabeth von Herzogenberg).
Bruckner kränkten solche Äußerungen von einem Mann von „so hoher Bildung“. Als er dessen Violinsonate hörte und anschließend das g – Moll Quintett von Mozart schlug er zurück: „Hat Brahms jemals eine solche Melodie erfunden? Brahms ist ein außerordentlicher Musiker, ein großer Kontrapunktist, aber ich werde ihm sagen: Herr, Sie sind kein Komponist, sie sind ein Macher.“ Brahms war eifersüchtig, obwohl seine großen Werke nicht anders sind als die von Bruckner. Denn, beide siedeln ihren ästhetischen Wahrnehmungsraum zwischen existenzieller Zweifels – und Hoffnungsnot an. Die bei abstrakt – geistiger Betrachtung zum Signum der ankommenden Moderne – Schönberg verehrte Brahms und Bruckner – mutiert. Bruckners symphonische Apotheosen sind nicht nur ästhetische Strömungen, sondern sie erfassen eine von ihm angestrebte kompositorische Weisheit, deren Sinnhaftigkeit, DAS WOLLTE ER(!), ‚Absolute Musik‘ ist! Als 1893 seine f – Moll Messe aufgeführt wurde, war der anwesende Brahms von der Musik so überwältigt, dass er Bruckner persönlich dankte.
Als Hans Richter am 21. März 1886 Bruckners „Siebte“ in Wien dirigierte, befanden sich auch Adele und Johann Strauß jr. unter den enthusiastisch Zuhörenden. Strauß, Freund von Brahms, schickte Bruckner ein Telegramm: „Bin ganz erschüttert – es war einer der größten Eindrücke meines Lebens!“
Die „Vierte“, die Hans Richter 1881 Wiener Musikverein dirigierte, bei der Brahms dessen vielgepriesene Verwandtschaft mit Franz Schubert (im 1.Satz) lobte, doch er dreschte in die Klaviertasten: „Aber dann, erinnert mich Bruckner daran, daß er Wagnerianer ist“! Keine Versöhnung? Ja, eine bewegende, denn am 14. Oktober 1896 bei der Einsegnung war Brahms anwesend. Der 8jährige Bernhard Paumgartner – legendärer Musiker und Salzburger Festspielpräsident – beobachtete, wie der weinende Brahms seine Tränen von seinem weißen Bart wischte. Es erklang u. a. das „Adagio“ der „Siebten“ in der Blechbläserfassung von Ferdinand Löwe.
Das stereotype Klischee des „Musikanten Gottes“ ist schlicht Nonsens. Gewiss war Bruckner reformkatholisch geprägt im Sinne der habsburg’schen „Pietas Austriaca“, in der die Verehrung der Dreieinigkeit Mittelpunkt ist. Bruckner betete den Rosenkranz, war oft tiefversunken bei langen Orgelimprovisationen, doch nachher ging er mit seinen Schülern ins Gasthaus und verzehrte fünf Gänge. Bruckners Frömmigkeit bestand aus ständigen Gewissenserforschungen, die nach Augustinus von den Augustiner Stiftchorherren zur Maxime erhoben wurde. Bruckner haderte mit Gott und wenn der Walzergroßmeister Joseph Lanner bei seinem Walzer Die Schönbrunner auf der Titelseite „Mit Gott“ setzte, tat das Bruckner nie! Es gibt keine einzige überlieferte Äußerung, dass er in seinen Symphonien sakrale Attribute zugebilligt wissen wollte!
Weltweit bekannt als der größte Organist besuchte ihn Arthur Schnitzler in seiner Wohnung: „Richard Horn nahm mich in seine Wohnung mit, wo er sich den Besuch der Kontrapunktvorlesungen im Index testieren lassen wollte. Bruckner ebenso genial als gutmütig erfreute uns durch sein wunderbares weltverlorenes Spiel. Nachher habe ich den großen Komponisten nie mehr gesprochen, doch oft wieder, wenn er, stürmisch gerufen, nach einer Aufführung einer seiner Symphonien, in einem sackartigen Anzug, in seiner unbeholfenen, rührenden Weise sich vor dem belustigtem, damals nur zum geringeren Teile wirklich begeisterten Publikum verbeugte.“ Weltverloren sind ‚seine‘ Symphonien nicht, sondern sie erstrahlen in präzedenzloser Aura.
Leben, Werke, Schüler, Frauen, Rezeption
Anton Bruckner, geboren am 4. September 1824 in Ansfelden, übersiedelte erst 1868 nach Wien, wo er, anders als der avancierte Brahms, seinen Weg zum Bürgertum vollzog. Ehe ihm am 7. November 1891 das Ehrendoktorat vom Rektor der Universität Wien verliehen wurde, um das er sich selbst beworben hatte. Nach zwei Gutachten von Hermann Levi und Joseph Hellmesberger, wurde der Antrag von der Philosophischen Fakultät einstimmig – als Musiker! – angenommen. Bruckner war der erste Musiker, den die Universität Wien mit dem Ehrendoktor auszeichnete. Zuvor hatte er ausdrücklich erbeten: „daß im Diplome der Ausdruck ‚als Symphoniker‘ nicht vergessen werde, weil darin stehts mein Lebensberuf bestand“.
Signifikant war Bruckner, Schüler und Nachfolger des legendären Simon Sechter, als Lehrer für Harmonielehre, Kontrapunkt, oder beim Orgelspiel u. a. im Musikverein Wien. Er widmete seine „Dritte“ Richard Wagner, der ihn in Wahnfried empfangen hat. Der ständige Gast bei den Bayreuther Festspielen musste als Liszt 1886 in Bayreuth starb, bei der Trauerfeier auf Befehl von Cosima Wagner auf der Orgel Improvisationen über den Verheißungsspruch und das Glaubensthema aus „Parsifal“ spielen.
Nach der Geburt 4. September 1824 besucht der 10jährige fünf Jahre lang die Volkschule und wird 1837 Sängerknabe in St. Florian, wo er zum Schulgehilfen ausgebildet wird und den ersten Orgelunterricht erhält. In Windhaag als Hilfslehrer verfasst Bruckner die 1. Messe, ca. 1845, ehe er 10 jahrelang Schulgehilfe in St. Florian und Privatlehrer für die Sängerknaben wird. Ab 1855 wird er in Wien von Simon Sechter erstmals unterrichtet, es folgen mehrere Studienreisen zu Sechter bis 1861. Bruckners Symphonisches Schaffen beginnt 1866 und zwei Jahre später wird er Sechters Nachfolger als Professor für Harmonielehre, Kontrapunt und Orgelspiel in Wien. Es folgen sagenhafte Orgelkonzerte in Nancy und Paris, während er in London an der neuen Orgel in der Royal Albert Hall und im Cristal Palace 11 umjubelte Orgelkonzerte (1871) darbietet. In den Folgejahren bemüht er sich Lektor an der Universität Wien zu werden, er wird es, und zielgerichtet komponiert er seine Symphonien. Viele seiner geistig – weltlichen Vokalwerke werden aufgeführt, doch in Wien schreibt Bruckner zwar Bedeutendes, u.a. 150.Psalm – Te Deum (Vollendung), doch nicht viel. Als fabelhafter Organist fasziniert er, aber seine vier Orgelkompositionen sind für ihn geringwertig: No i‘ wert net long afn Bach eini werkln dös soll’n dö tuan, do koaa Phantasie hobn.“ (aus: BRUCKNER – SKIZZIERT)
Er wohnte im besten Ambiente, er verdiente mit ca. 3000 Gulden mehr als Brahms. 16 Monate vor seinem Tod wird ihm auf Vermittlung der Erzherzogin Marie Valerie – Bruckner spielte die Orgel bei ihrer Vermählung in Bad Ischl – vom Kaiser die Parterrewohnung im „Kustodenstöckl“ am Oberen Belvedere als Ehrenwohnung zur Verfügung gestellt. Anton Bruckner wird auf seinen Wunsch hin am 17. Oktober 1896 unter der großen Orgel in der Stiftskirche St. Florian beigesetzt.
Verliebt in ein Stubenmädchen
Noch im hohen Alter verliebt sich Bruckner in Berlin bei der Erstaufführung der „Siebten in das blutjunge Stubenmädchen Ida Buhz des Hotel Kaiserhof. Er machte Ida einen (dokumentierten) Heiratsantrag. Oder in die 17jährige Maria Bartl, die bei den Passionsspielen Oberammergau spielte. Bruckner warb um sie, vergeblich, weil das ihre Mutter wegen des großen Altersunterschieds ablehnte.Naiv, devot trifft auf ihn zu, was seine Schüler bei ihm im Gasthaus „Zum Roten Igel“, als er Brahms des Bier kredenzte anmerkten. Ein Untertan war er nicht!
Der hervorragende Schwimmer und Tänzer gestaltete sein Lehramt vorzüglich, auch mit witzigen Analogien, z. B. über die III Stufe Dreiklang: „Dös der lyrische, der is wos für die Damen zum componier’n;“ (BRUCKNER – SKIZZIERT) Akademiker und Gelehrte waren unter dem Hören, anderseits zollten ihm später Musiker, ob seiner „Halbbildung“ wenig Respekt, was sich in skrupellosen Bearbeitungen niederschlug! Bruckner zeigte wenig Neigungen zur Literatur, doch wenn er Hilfe brauchte, sprangen seine Schüler wohlgesonnen ein. Die kompositorische Einflussnahme beschränkte sich auf Löwe, die Schalk Brüder oder Hermann Levi. Als er August Höllerich – Schüler und Biograf – fragte, ob ihm seine verändert herabstürzenden Oktaven gefallen, wollte der das wilde Ursprüngliche: „Na’n Herrn Höllerich zu lieb soll’s so bleiben!“
Riesengestalt unserer Kunstgeschichte
„Wir dürfen uns wahrlich glücklich preisen der einzigen, letzten Riesengestalt unserer Kunstgeschichte so innig vertraut und nahe zustehen stehen!“ (Josef Schalk an Bruder Franz). Hans von Bülow schrieb an Otto Leßmann: „Ihr ‚neuer‘ Symphoniker (Scharwenka) dem eine Standarte zu entfalten Sie doch nicht mehr den Enthusiasmus zu spüren wie vor 15 ½ Monaten, ist mehr Musiker als dieser mir seit 1865 Halbgenie + Halbtrottel bekannte Br(uckner)“.
Ernst Bloch in Geist der Utopie: „Er (Halm) hat gezeigt, daß Bruckner gibt, was Beethoven nicht mitgegeben hat, bei dem der Gesang über Massen zu herrschen verloren ging. Es ist des Meisters Tat, den Gewinn des Wagnerstils, die sprechende Musik des Musikdramas endgültig loslöst, und derart Musik als Form und Stoff zugleich als Weg der Poesie begründet zu haben.(1923)
Der Philosoph und große Bruckner – Verehrer, Ludwig Wittgenstein schreibt in Vermischte Vermerkungen: „Die Brucknersche Neunte ist gleichsam ein Protest gegen die Beethovensche und dadurch wird sie erträglich, was sie als eine Art Nachahmung nicht wäre.“
Die Nazis missbrauchten Bruckner als „Größten Meister der deutschen Kunst, der in dem gleichen heldischen Weltgefühl des germanischen Heldentums wurzelt.“ (Goebbels, 1937)
Riccardo Muti, der am 15. August zum 1. Mal die „Achte“ bei den Salzburger Festspielen mit den Wiener Philharmonikern als Unvergängliches verherrlichte, erkennt Wagner’sche Anklänge, rügt aber kategorisch das (falsche!) Klischee eines ‚Bescheidenen‘ : „wer so eine fabelhafte Musik schreibt, ist kein uomo umile!“ „Wagnerl’ts „Jetz Wagnerl’ts nimmer!“
Letztgültiges
„Heute gibt es Knödel mit Soße“ Lara – Marie Steininger! Bruckner verzehrte, wie Brahms, Knödel und Geselchtes. „Vor dir den Hut ziehen, wird mir immer am meisten bedeuten!“ ebenso aus Lara – Marie Steininger: „HUT“. Ja, das wärs wohl, doch Bruckner, der von Schweißausbrüchen geplagt war, hatte in Wels seinen Schlapphut in der Hand als er Erzherzog Otto begegnete. Der sagte: „Aber, setzen Sie den Hut doch auf!“ Bruckner entgegnete urwüchsig: „Aber, kaiserliche Hoheit, wegen Ihna hab i den Huat ja gar net abgnumma, mir war jo nur so hoaß!“ (Hans Commenda)
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