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Medikamente aus dem Weltall?

Eine Astronautin führt auf der ISS ein Experiment von Tobias Niederwieser durch.

Um Weltraumbiologie, die Internationale Raumstation ISS, das Raumfahrtprojekt der NASA Artemis und warum unsere Medikamente bald aus dem Weltall kommen könnten, geht es bei dem Vortrag von Tobias Niederwieser am 2. September im Naturmuseum.

Welche Experimente werden auf der ISS durchgeführt?

Tobias Niederwieser: Auf der ISS führen wir nicht nur Experimente zur Erforschung des Weltalls, sondern auch Grundlagenforschung durch, die uns allen zugute kommt. Die ISS (und seit kurzem auch die chinesische Raumstation Tiangong) sind weltweit die einzigen Labore, in denen wir Experimente unter konstanter Mikrogravitation durchführen können. Die NASA hofft, Produkte zu finden, die sich in der Schwerelosigkeit viel besser herstellen lassen als auf der Erde. Erste erfolgreiche Experimente gibt es schon viele, z. B. zum Beispiel reinere Gussmetalle, weil sie gleichmäßiger erstarren, künstliche Netzhäute für die Augen, um das Patermann-Syndrom – eine Netzhautdegeneration – zu bekämpfen, pure Glasfaserkabel für schnellere Kommunikation, oder Stammzellen zur Bekämpfung von Krankheiten.

Weltraumflüge bieten die Möglichkeit, die medizinische Forschung voranzutreiben, zum Beispiel im Bereich der Krebs- und Altersforschung. Welche Erkenntnisse konnten bisher auf diesem Gebiet gewonnen werden?

Tobias Niederwieser: Das langfristige Ziel dieser Forschung ist es, eine Fabrik im Weltraum zu errichten, die Stammzellen vermehrt, die dann zur Erde gebracht werden, um Menschen von Krankheiten zu befreien.

Von 2000 bis 2010 wurde die ISS gebaut, von 2010 bis 2020 wurde sie größtenteils ausgestattet und nun von 2020 bis 2030 steht die Nutzung für die Wissenschaft im Vordergrund. Die Forschung ist also noch recht jung. Trotzdem gibt es schon Ergebnisse: Experimente haben gezeigt, dass der Knochenschwund in der Schwerelosigkeit zehnmal schneller voranschreitet, als bei einem Osteoporose-Patienten. Die Forschung auf der ISS hat deshalb geholfen, ein Medikament gegen Knochenschwund zu entwickeln, das heute Osteoporose-Patienten verabreicht wird. Wir haben auch Proteinkristalle gezüchtet, die viel homogener in alle Richtungen sind, als gleiche Kristalle auf der Erde. Und wir haben Zellen gesehen, die in Mikrogravitation kugelförmig wachsen, wohingegen sie auf der Erde eher teppichförmig wachsen. Und wir haben Zellkulturen gesehen, die bis zu viermal schneller wachsen als auf der Erde.

Sie forschen derzeit an Bord von Raumstationen an der Herstellung von Stammzellen in der Schwerelosigkeit. Warum ist das wichtig? Was erhoffen Sie sich davon?

Die Stammzelltransplantation ist heute vor allem bei Blutkrankheiten etabliert. Es gibt aber sehr vielversprechende Forschungen, dass man die Stammzelltransplantation in Zukunft auch bei anderen Krankheiten einsetzen kann. Die ersten Medikamente dafür sind gerade zugelassen worden. Für diese Medikamente benötigt man jedoch eine große Anzahl qualitativ hochwertiger Stammzellen. Diese sind auf der Erde nur sehr schwer zu gewinnen, da sie im Reaktor zu Boden sinken. Auf der ISS ohne Schwerkraft haben wir dieses Problem nicht und können sie gleichmäßig verteilen, was zu besseren Wachstumsbedingungen führt. Das langfristige Ziel dieser Forschung ist es, eine Fabrik im Weltraum zu errichten, die Stammzellen vermehrt, die dann zur Erde gebracht werden, um Menschen von Krankheiten zu befreien.

Wie werden sich die Experimente weiterentwickeln, wenn das ISS-Programm im Jahr 2030 zu Ende geht und der Übergang zu kommerziellen Raumstationen erfolgt?

Derzeit gibt es 4 Firmen in den USA, die eine private Raumstation bauen mit dem Ziel, einen kontinuierlichen Übergang von der ISS zu diesen Raumstationen zu ermöglichen. Die NASA hat diesen Firmen versprochen, dort Astronauten und Experimente unterzubringen. Es gibt gerade einen großen Konkurrenzkampf, wer diesen Zuschlag erhält. Es gibt auch Überlegungen, dass die Experimente direkt vom Wissenschaftler durchgeführt werden und nicht mehr durch einen professionell ausgebildeten Astronauten. Was sich die NASA aber wirklich erhofft, ist, dass es auf diesen Raumstationen zusätzlich andere Module für neue kommerzielle Nutzungen gibt. So sind Fabrikmodule zur Herstellung von Produkten angedacht oder Hotelmodule, in denen Weltraumtouristen eine Unterkunft buchen können. Die NASA möchte sich dann weiter entfernten Zielen wie einer Mondstation oder einer Reise zum Mars widmen. Dazu müssen einerseits wichtige Fragen mit Experimenten beantwortet werden, andererseits können aber auch völlig neue Experimente wie Strahlenexperimente, Experimente mit Mondstaub oder Experimente mit nur 1/5 der Schwerkraft auf der Mondoberfläche durchgeführt werden.

Wie sind Sie überhaupt zu dieser Karriere gekommen?

Wie so oft hat der Zufall eine große Rolle gespielt. Ich war schon immer sehr technikbegeistert. Aber als ich mit acht Jahren bei einem Linienflug unerwartet die Piloten im Cockpit besuchen und eine Nachtlandung im Cockpit miterleben durfte, war mein Interesse für die Luft- und Raumfahrttechnik geweckt. In der Schule nahm ich dann mit einem selbst entwickelten Schlitten mit Neigetechnik an einem Wissenschaftswettbewerb teil und lernte sowohl das wissenschaftliche als auch das ingenieurtechnische Arbeiten kennen. Durch mehrere Praktika in der Automobil- und Luftfahrtindustrie festigte sich mein Wunsch, Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren. Während meines Bachelorstudiums habe ich mich dann mehr in Richtung Raumfahrt orientiert und durch einen Mentor an der Universität kam der Kontakt zur University of Colorado und BioServe zustande, wo ich dann meinen Master und Doktor gemacht habe. Seitdem hat mich die bemannte Raumfahrt nicht mehr losgelassen.

Sie haben unter anderem mehr als 19 Raketenstarts begleitet. Wie war das Gefühl beim ersten Start?

Wenn man von weitem das unglaublich helle Licht der Triebwerke sieht und sich die Rakete senkrecht in Bewegung setzt, ist das ein toller, unwahrscheinlicher Anblick. Und wenn dann ein paar Sekunden später der donnernde Lärm kommt, spürt man erst die unglaubliche Kraft dieser Raketen. Wenn man sich dann auch noch bewusst wird, dass die eigene Arbeit an der Spitze dieser Rakete gerade durch die Wolken schießt, dann ist das schon etwas Besonderes. Es ist auch eine große Erleichterung für uns, da wir oft zeitkritische biologische Experimente starten und bei Startverschiebungen das Experiment manchmal ein zweites Mal vorbereiten müssen. Wer einmal die Möglichkeit hat, bei einem Raketenstart dabei zu sein, sollte das auf jeden Fall tun. Zum Glück ist das heutzutage einfacher denn je, da etwa alle drei Tage eine Rakete vom Kennedy Space Center in Florida startet – vor zehn Jahren waren es noch eher drei Raketen pro Jahr.

Termin: „Weltraumbiologie: Die Internationale Raumstation, Artemis, und warum unsere Medikamente bald aus dem Weltall kommen könnten“ am Montag, 2. September um 18 Uhr im Naturmuseum Südtirol.

 

Zur Person

Tobias Niederwieser ist ein Wissenschaftler bei BioServe Space Technologies in Boulder (Colorado/USA) und hat im Auftrag der US-Weltraumbehörde NASA die ISS mit mehr als 250 kg wissenschaftlicher Ausrüstung ausgestattet, mehr als 19 Raketenstarts unterstützt, und über 75 bahnbrechende Experimente ermöglicht. Zuletzt führte er im Rahmen der Artemis-I-Mission um den Mond das am weitesten entfernte, aktive, biologische Experiment in der Geschichte der Menschheit durch. Derzeit forscht er an Bord von Raumstationen an der Herstellung von Stammzellen in der Schwerelosigkeit.

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