Monster
Der neue Film von Hirokazu Kore-eda erzählt weder von Monstern noch von Unschuldigen sondern von dem Vielen dazwischen.
von Renate Mumelter
Meine Tipps für diesen Film sind gleich zwei. Der erste bezieht sich auf die Sprache. Die OmU-Fassung wäre auf jeden Fall besser als die glattgebügelte Synchronversion. Originalfassungen sind immer dann besonders zu empfehlen, wenn es um Atmosphärisches geht, und das ist bei Kore-edas Film der Fall. Der Filmclub bietet diese OmU-Fassung am Montag an.
Das Atmosphärische beginnt schon beim Titel. Auf Japanisch „Kaibutsu“ („Monster“), im Englischen auch, auf Deutsch steht „Die Unschuld“ im Vordergrund, im Italienischen „L’innocenza“. Offensichtlich hatten die Verleihfirmen unterschiedliche Vermarktungsideen.
Auf das Erzählte passen je nach Perspektive beide Titel, und genau das ist der Punkt. Kore-edas Film erzählt keine Einszueins-Geschichte.
Familie Mugino
Da gibt es eine berufstätige, alleinerziehende Mutter, Saori Mugino. Sie arbeitet in einer Putzerei. Ihr 11-jähriger Sohn Minato ist Schüler und macht sich auf den schwierigen Weg ins Erwachsenwerden. Saori ist verständlicher Weise besorgt um ihr Kind, vor allem, als sich herausstellt, dass es einen Lehrer gibt, der Minato schlecht behandelt. Saori macht Wirbel, stößt aber nur auf höfliche Verneigungen. Die Ratlosigkeit der Mutter wächst, auch weil Minato unverständliche Dinge tut. Unverständlich bleiben diese Dinge zunächst auch fürs Publikum.
Die Schule
In Minatos Klasse gibt es Schülerinnen und Schüler, die sich gegenseitig genau unter die Lupe nehmen. Unter den Lehrpersonen ist das nicht anders. Gern wird nach Schuldigen gesucht, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Lehrer Hori ist einer von denen, die schuldig gesprochen werden. Minatos Mutter unterstellt ihm, er würde ihren Sohn misshandeln. Schuldig gesprochen wird auch Yori, ein Mitschüler von Minato, den niemand recht ernst nehmen will, und schuldig gesprochen wird auch Minato selbst.
Die andere Welt
Zwischen Yori und Minato entsteht so etwas wie eine Freundschaft, die aber nicht offen gelebt wird. Yori wird viel gehänselt, weil er etwas mädchenhaft wirkt. In einer anderen Welt finden die Buben aber ihren eigenen Ort. Mit dem Fahrrad ist diese andere Welt gut zu erreichen. In einem rostenden Eisenbahnwagen gestalten sie ihr Heim.
Väter
Den Vätern kommt in der Geschichte eine besondere Rolle zu. Minatos Vater ist tot und steht als Foto am Hausaltar, Yoris Vater hingegen scheint sein Leben nicht wirklich im Griff zu haben. So wie Minatos Mutter vielleicht überfürsorglich ist, ist Yoris Vater unterfürsorglich. Das könnte möglicherweise auch den Brand ausgelöst haben, mit dem der Film beginnt.
Eindeutige Antworten gibt Kore-edas Film keine, auch nicht auf jene Frage, die Minato besonders beschäftigt und die am Ende des Films erneut gestellt wird, die Frage nach einer möglichen Wiedergeburt. Was zuerst so klar scheint, wird durch diverse Perspektivwechsel immer fraglicher und das ist faszinierend. Nicht umsonst hat Kore-edas Film in Cannes den Preis für das beste Drehbuch gewonnen. Die Queer-Palm auch.
Die Musik kommt übrigens von Ryūichi Sakamoto. Der schwer Erkrankte konnte aber nur mehr Teile des Soundtracks liefern. Er starb am 28. März 2023.
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