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„Die Personaldecke ist dünn“

Josef Widmann (Foto: Sabes)

Josef Widmann, der Sanitätsdirektor im Südtiroler Sanitätsbetrieb, zur aktuellen Situation der Plastischen Chirurgie – und über sein Ziel.

Tageszeitung: Herr Widmann, der Sanitätsbetrieb Brixen wirbt mit einem Kompetenzzentrum der Plastischen Chirurgie, ein Kompetenzzentrum, das es jedoch nicht gibt. Unter dem damaligen Leiter Alexander Gardetto wurde dieses aufgebaut, nach seinem Wechsel in die Privatklinik Brixsana wurden die Leistungen wieder sukzessive zurückgefahren…
Josef Widmann: Es stimmt: Nach seinem Wechsel und dem seines Nachfolgers Lorenz Larcher in die Privatmedizin wurden die Leistungen sukzessive zurückgefahren. Derzeit können wir in Südtirol gewisse rekonstruktive Maßnahmen der Plastischen Chirurgie nicht anbieten. Das landesweite Kompetenzzentrum der Plastischen Chirurgie wurde zwar nicht abgeschafft, allerdings ist die Personaldecke sehr dünn. Dadurch kann sich das Kompetenzzentrum nicht so entwickeln, wie es sich eigentlich sollte – mit der Durchführung von komplexen, rekonstruktiven Operationen. Diese verlangen spezifische Operationstechniken und hierzu muss man organisatorisch anders aufgestellt sein.

Warum ist der Sanitätsbetrieb nicht imstande, diese Positionen zu besetzen?
Es haben sich mehrere Kollegen gemeldet, die es aber vorgezogen haben, derzeit nicht im Dienst tätig zu sein.

Wie schwierig ist es, ein solches Kompetenzzentrum zukunftsorientiert aufzubauen?
Das ist keine Kleinigkeit. Plastische Chirurgie ist wesentlich mehr als die landläufige Meinung von Schönheitschirurgie. Vor allem im öffentlichen Bereich sollte es sich um eine Tätigkeit handeln, die die rekonstruktiven Aspekte berücksichtigt. Rekonstruktive Aspekte sind in verschiedenen Bereichen gefragt, ein großer Bereich davon ist die Senologie: Dort geht es darum, den Patientinnen mit bösartigen Brusterkrankungen nach einer Operation die Möglichkeit zu geben, durch rekonstruktive Maßnahmen einen Wiederaufbau der Brust zu ermöglichen. Ein noch viel größerer Anteil betrifft aber die rekonstruktiven Maßnahmen bei Verletzungen verschiedenster Art der Extremitäten, im neurochirurgischen, traumatologischen, gefäßchirurgischen, onkologischen und auch im Bereich angeborener Missbildungen. Und die Plastische Chirurgie in diesen Bereichen müssen wir in Südtirol auf die Beine stellen.

Wo werden heute derartige Patienten behandelt?
Diese komplexen rekonstruktiven Eingriffe werden in Zentren durchgeführt, in denen man entsprechend ausgestattet ist.

Böse Zungen behaupten, dass man in Südtirol bei solchen Eingriffen zuweilen herumexperimentiert und die Patienten oft erst zu spät in spezialisierte Zentren überstellt …
Diese Meinung kann ich nicht bestätigen. Jeder, der ein bisschen Ahnung von Chirurgie hat, weiß, dass bei jedem Eingriff Komplikationen auftreten können. Wenn zudem der optische Aspekt sehr wichtig ist, dann werden die Ergebnisse zuweilen noch empfindsamer beurteilt.

2013 hat sich Angelina Jolie beide Brüste operativ entfernen lassen, um das Brustkrebsrisiko zu minimieren. Aufgrund ihrer genetischen Veranlagung ist bei ihr das Risiko höher. Derartige Vorsorgebehandlungen wurden zeitweise auch in Südtirol durchgeführt. Und jetzt?
Das ist ein sehr sensibler Bereich. Aber wir haben hierfür ein spezielles Ambulatorium eingerichtet. Patientinnen, die eine derartige Therapie brauchen, werden adäquat versorgt bzw. an die entsprechenden Zentren verwiesen, die diese Spezialeingriffe durchführen.

Ihre Marschroute? Wann wird das Kompetenzzentrum der Plastischen Chirurgie voll aufgebaut und funktionsfähig sein?
Ich bin der Ansicht, dass wir eine Weiterentwicklung der Plastischen Chirurgie erreichen müssen, auch aufgrund der Fallzahlen. Das ist ein wichtiges Ziel. Einen Zeitplan kann ich nicht nennen, dieser ist durch verschiedene Ereignisse im Sanitätsbetrieb, auch durch Corona, aus dem Rhythmus gekommen. Daher will ich dazu keine Aussage treffen.
Wir werden uns jedoch bemühen, alsbald möglich die Voraussetzungen zu schaffen, die aber von vielen Dingen abhängen. Schon mal klar ist jedoch, dass wir nicht in der Verbrennungschirurgie tätig werden bzw. es wird kein Verbrennungszentrum in Südtirol geben. Hierfür ist im Vergleich zum Einzugsgebiet der Aufwand zu groß. Wir möchten aber im restlichen Spektrum der rekonstruktiven Chirurgie, das sich vor allem durch die mikrochirurgischen Operationstechniken auszeichnet, unsere Schwerpunkte setzen.

Interview: Erna Egger

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (3)

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  • steve

    Dieses Fachgebiet steht leider ziemlich in Konkurrenz zur Privatmedizin.
    Gewisse Personen, die sich als die großen Wohltäter aufspielen möchten, haben es leider, wohl des Rubels wegen, vorgezogen, Brüste zu vergrößern ecc.
    Sie mögen damit glücklich werden!

    • hermannh

      steve: Da hast Du absolut recht! Scheinheiliges Verhalten, zuerst zahlt die öffentliche Hand die Ausbildung und macht dann eigentlich medizinisch unnötige Schönheitsoperationen.

      Jeder soll das machen was er will, die öffentliche Sanität dann kritisieren ist dann aber scheinheillig!

  • andreas

    Da diese Eingriffe wohl kaum akut sind, würde ich mal behaupten, dass es aus qualitativen und wirtschaftlichen Gründen sinnvoller ist, sie einzukaufen.
    Infrastruktur und Betrieb kostet Millionen, Fachleute haben wir anscheinend zu wenig, also wozu?
    Da im Interview nur das Wort Fallzahlen genannt wird, wäre interessant zu wissen, wie viele es sind, was sie der Sanität kosten würden und das der Einkauf kosten würde.
    Auch für die Sanität sollten Kosten-Nutzen-Analysen die Basis von Entscheidungen sein und nicht irgendwelche sozialromatische Ansichten, dass wir alles selbst machen müssen, da nur wir es richtig können.

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