„Ein Geschmäckle“
Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt hält eine transdermale Kontamination für plausibel – kritisiert aber die Geheimniskrämerei im Fall Sinner.
TAGESZEITUNG Online: Herr Seppelt, hat Jannik Sinner gedopt?
Hajo Seppelt: Ich weiß es nicht. Es gibt Informationen, die es durchaus plausibel erscheinen lassen, dass es im Fall Sinner zu einer transdermalen Kontamination gekommen sein kann
Als Erklärung haben Sinner und sein Stab angeführt, dass der Physiotherapeut Giacomo Naldi ein rezeptfreies Clostebol-haltiges Spray benutzt habe, um eine Wunde am Finger zu behandeln. Dieses Mittel habe er tagelang angewendet und damit Sinner kontaminiert …
Natürlich hört es sich an wie eine Räuberpistole. Aber es hat in Norwegen den Fall der Langlauf-Weltmeisterin Therese Johaug gegeben …
… da soll der Teamarzt die Athletin kontaminiert haben, indem er eine Clostebol-haltige Sonnencreme zur Behandlung eines Sonnenbrandes auf seiner Lippe verwendet hat.
Richtig. Auffallend ist, dass es in Italien bereits mehrere Clostebol-Fälle gegeben hat. Man müsste also der Frage nachgehen, warum es diese Auffälligkeit in Italien gibt.
Warum wurde der Fall Sinner erst so spät publik?
Die ITIA (Tennis Integrity Agency) muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie den Fall nicht transparenter verwaltet hat und ob es richtig war, jemanden provisorisch zu suspendieren, dies aber nicht öffentlich zu machen. Ich meine, der Fall hätte veröffentlicht werden müssen gemäß Code der Welt-Anti-Doping-Agentur. Die Sache hat daher ein Geschmäckle. Diese Geheimniskrämerei macht die ITIA in meinen Augen angreifbar.
Es gibt bereits Kritik von prominenten Tennisprofis, die sich laut wundern, dass Sinner nicht für zwei Jahre gesperrt wurde …
Das, was jetzt so leichtfertig gesagt wird, kann ich nicht unterschreiben. Denn dafür gibt es ja ein Rechtssystem.
Für Sie ist die Geschichte, die Sinners Team präsentiert hat, also glaubwürdig?
Sie ist, nachdem was bisher bekannt ist, zumindest plausibler als die Geschichte, die China jetzt in Bezug auf die 23 im Jahr 2021 positiv getesteten und nie gesperrten Schwimmer aufgetischt hat. Da hieß es, die positiven Proben rührten von einem Herzmedikament im gemeinsamen Suppentopf her. So unglaublich wie diese Story ist die Sinner-Erklärung nicht.
Wie unabhängig sind die ITIA oder die privatwirtschaftliche Schlichtungsstelle Sports Resolutions, die im Fall Sinner tätig war?
Kritiker bemängeln, dass so manche dieser neuen sogenannten Integritätseinheiten, die von Sportverbänden finanziert werden, nicht unabhängig genug seien. Ich kann das im Tennis nicht beurteilen. Auffallend ist aber, dass diese Einrichtungen im internationalen Sport ein bisschen wie Pilze aus dem Boden schießen. Ich glaube, es wäre besser gewesen, den Fall transparenter zu behandeln.
Glauben Sie, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA Rekurs einlegen wird?
Keine Ahnung. Die WADA wird den Fall jetzt vermutlich prüfen.
Die WADA steht gerade wegen des von Ihnen aufgedeckten Massendoping-Verdachts um die 23 chinesischen Schwimmer unter Druck …
Ja, weil man der WADA vorwirft, nicht konsequent genug zu handeln. Ich könnte mir daher vorstellen, dass sie beim Fall Sinner genauer hinsieht. Das ist aber eine reine Spekulation.
Kommen wir noch einmal zum Fall Sinner: Jetzt ist ein Foto aufgetaucht, auf dem der Physiotherapeut von Sinner in Miami mit einem Pflaster am kleinen Finger der linken Hand zu sehen ist …
Das spricht für Sinners Darstellung, denn zu dem angeblichen Zeitpunkt, als der Physiotherapeut das Pflaster trug, wusste keiner, so wird ja gesagt, von einem positivem Test Sinners.
Wenn dem so war, so war es vom Sinner-Physio extrem fahrlässig, seinen Athleten mit einer offenen Wunde am Finger zu behandelt.
Das ist auch wieder richtig.
Im Fall Sinner plädieren Sie also auf Freispruch im Zweifel für den Angeklagten?
Wenn es so war, wie Sinners Team sagt, würde ich das eher bejahen als verneinen.
Was wird von dieser Doping-Story an Sinner hängenbleiben?
Es ist immer so, dass etwas hängen bleibt, wenn eine Sache öffentlich wird. Ich weiß nicht, ob es nicht deshalb der bessere Weg gewesen wäre, gleich die Geschichte offensiver anzugehen. Von Seiten aller Beteiligten. Andererseits kann ich auch verstehen, dass ein Athlet, der erstmals in so eine Situation kommt, nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Das ist ein typisches Muster. Leider ist es allzu oft im organisierten Sport so: Am wichtigsten scheint es für viele Funktionäre nicht zu sein, das Doping zu bekämpfen, sondern das Reden darüber zu vermeiden.
Interview: Artur Oberhofer
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Kommentare (6)
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nobodyistperfect
Oder war es doch die Zahnpaste! 😉
placeboeffekt
Ist schon eine Gratwanderung zwischen legalen Steroiden und illegalen.
Leistungssteigernde Mittel wie
Kreatin
Matrix metalloproteinase (MMP) MMP , auch craze genannt
Dimethylamylamine (DMAA)
sind legal.. ob sie auf Dauer gesund sind und eventuell zu Impotenz und Sterilität führen, wie andere Mittelchen, ist nicht eindeutig erwiesen
2xnachgedacht
alles hypothesen… schwazer hat auf tennisplätzen trocken- training absolviert u geschwitzt… also er schuld… ironie off
vinschgermarille
Sachliche Stellungnahme.Respekt.
andreas1234567
Hallo zum Wochende,
zum Hajo Seppelt gibt es nicht mehr zu sagen als sein Wikpediaeintrag, der hat Abitur und ist dann mir einem Studium in den Geschwätzfächern Publizistik und Sozialkunde gescheitert.
Dann hat er bei der ARD Karriere als „Dopingexperte“ gemacht, mit diesen Vorausetzungen.
Da kannst du auch die Metzgersfrau fragen..
Auf Wiedersehen beim Interview von einer Kuh zum Thema Raumfahrt weil sie seit Jahren die Sterne beobachtet
andreas
Er ist zwar weltweit ein anerkannter Dopingjäger und hat einige Dopnigsünder zu Fall gebracht, aber natürlich kann man seine Fähigkeitem nur auf das abgebrochene Studium beschränken.
Ist zwar etwas einfälltig, aber was solls.