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Warum ausgerechnet Luigi Nono?

Ingo Metzmacher und das Gustav Mahler Jugendorchester: Nono als Einlage zwischen Wagners Parsifal-Vorspiel und Karfreitagszauber, ohne Zäsur und attacca. Für eingeschworene Wagnerianer ist das ein Affront gegen das gesalbte Wagnersche Bühnenweihfestspiel. (Foto: Anna Cerrato/Bolzano Festival Bozen)

Eine Programmmischung, die man zwischen den Noten als ein politisches Statement zur aktuellen Situation in Deutschland interpretieren könnte: Ingo Metzmacher führt mit dem Gustav Mahler Jugendorchester Werke von Richard Wagner, Luigi Nono und Anton Bruckner auf.

Von Hubert Stuppner

Ingo Metzmacher, der Dirigent des „Gustav Mahler Jugendorchesters“ am letzten Dienstag im Stadttheater, in dem Wagner, Nono und Bruckner gespielt wurden, ist seit langem ein in der zeitgenössischen Musikszene angesehener und sehr engagierter Gast. Nicht nur, weil er häufig renommierte Ensembles zeitgenössischer Musik leitet, wie das „Ensemble Modern“ und das Wiener „Klangforum“, sondern auch weil er in klassischen Symphonieprogrammen und sogar in Unterhaltungskonzerten, wie dem Hamburger Silvesterkonzert, zeitgenössische Musik einbaut.

Wie auch in diesem Programm mit Wagner und Bruckner. Aber warum ausgerechnet Luigi Nono? Noch dazu nicht als eigenständig präsentiertes Werk, sondern als Einlage zwischen Wagners Parsifal-Vorspiel und Karfreitagszauber, ohne Zäsur und attacca, so als hätte irgend ein verschrobener Wagner-Forscher auf einem obskuren Dachboden einen von Wagner gewagten und dann doch verworfenen Entwurf des Parsifal ans Tageslicht befördert. Man kann ja nie wissen. Musikhistorisch vollkommen sinnlos und für eingeschworene Wagnerianer ein Affront gegen das gesalbte Wagnersche Bühnenweihfestspiel.

Ich dachte mir, da muss es doch einen konkreten, wiewohl hintergründigen Anlass geben. So fragte ich mich, ob diese zugegebenermaßen seltsame Programmmischung etwas damit zu hat, dass einer zwischen den Noten ein politisches Statement zur aktuellen Situation in Deutschland abgeben wollte, wo ein AFD-Politiker die 12 Jahre des Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss in der gesamtdeutschen Geschichte“ verharmlost hat und Geschichtsrevisionisten die Shoa leugnen, und dass Luigi Nono, der weltweit anerkannte Antagonist der Faschisten aller Couleurs, auf dem Umweg über den beiden vom Nationalsozialismus vereinnahmten Komponisten Wagner und Bruckner posthum eins auswischen wollte?

Wagner war ja bekanntlich bekennender Antisemit und von Beginn des NS-Regimes bis zur unrühmlichen „Götterdämmerung“ der Klangwolken-Dekorateur zahlreicher Parteitage des Dritten Reiches, und mit Bruckners Dritter Symphonie hat der nationalsozialistische Rundfunk alle Nachrichten zum Aggressionskrieg eingeleitet und heroisiert. Für beide, Wagner und Bruckner, hatte Hitler eine psychopatisch verdinglichte Beziehung. Wagners Musik nahm den größenwahnsinnigen Gefreiten so gefangen, dass er – als er noch niemand war, in einem Anflug von Tribunen-Wahn Klavierstunden nahm, um seine eigene „Rienzi“- Oper zu komponieren, und was Bruckner betraf, ging die Identifikation des Führers mit dem Komponisten so weit, dass er testamentarisch verfügte, dass nach seinem Ableben nur die von Bruckner in Wagners Gedenken komponierte Trauermusik aus der Siebten Symphonie gespielt werden dürfe. Jene Trauermusik, die Radio Berlin nach dem unrühmlichen Selbstmord des Führers tatsächlich spielte.

Und Luigi Nono? Er war der Schwiegersohn von Arnold Schönberg, der als Jude von den Nazis fliehen musste und im fernen Amerika mit jenem erschütternden Werk „Ein Überlebender aus Warschau“ gedachte, das Adorno zu dem berühmten Satz inspirierte: „Nach Auschwitz Gedichte über Bäume zu schreiben ist barbarisch“ Und: „Das Übermaß an realem Leiden duldet kein Vergessen!“

Das Programm war, wenn das die Botschaft war, musikhistorisch durchaus stimmig. Die 2 „Parsifal“ Vor-und Zwischenspiele waren Wagners Schwanengesang, der nach der Premiere der Oper im Juli 1882 nach Venedig reiste und dort 1883 verstarb. In Venedig, wo Luigi Nono, der Anti-Wagner, genau 100 Jahre danach sein groß besetztes „A Carlo Scarpa architetto, ai suoi infiniti possibili” komponierte, das soeben in Bozen als Sandwich zwischen „Parsifal -Vorspiel“ und „Karfreitagszauber“ gespielt wurde, ein im Grunde inkonsistentes mikrotonales 8 Minuten-Orchesterstück, voller Kratzer und Kracher und Absetzer und Pausen und „arco pizzicato und battuto“ – Effekte, kurz ein Werk, mit dem man kompositorisch gewiss nicht Anhänger für die Zeitgenössische Musik gewinnen kann: ein durch und durch unfreundliches Stück, das seine Gültigkeit allein aus dem Mut der Negation des üppigen Klanges und der Verweigerung des Komponisten schöpft, aus politischen Gründen sich dem kopflosen Klangrausch anzuschließen, ganz im Sinne des anderen Kommunisten Bert Brecht, der im Gedicht „An die Nachgeborenen“ gemeint hat: „Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein“.

Nach dieser Operation gab es viel Applaus und sogar einen „Bravissimo“-Zwischenruf. Was jedoch der Nämliche von der Operation verstand, ob er das Nono-Werk genial fand oder ganz einfach dem Umstand applaudierte, dass ein Dirigent nicht nur eine Ästhetik hat, sondern auch eine Ethik und Zivilcourage, sei dahingestellt.

Von den zwei gängigen Versionen der Brucknerschen „Dritten“-dirigierte Metzmacher die 1873-Version, nicht die etwas seltenere von 1883, die beispielsweise Paavo Järvi bevorzugt und Bruckners letzter Wille war. Als ein von der strukturellen zeitgenössischen Musik gesalbter Dirigent machte Metzmacher durch deutliches Absetzen und Interpunktieren die formale Anlage der Symphonie deutlich. Außerdem kehrte er sehr differenziert die Lautstärken heraus und setzte Fortissimo mit dem Pianissimo in Gegensatz, wobei er manchmal das Piano an die untere Hörgrenze drückte. Überhaupt war er bestrebt, die spätromantische Feuchtigkeit im Espressivo auszutrocknen und das gründerzeitliche Pathos zu unterdrücken, was der Symphonie den üblichen agogischen Schwung nahm.

Das Publikum dankte mit lange anhaltendem Applaus, vor allem auch an die Adresse der jungen Musiker, die im Spiel ihr Letztes gaben.

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