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Umstrittene Revolution

Der Landtag hat die „Lex Holzeisen“ verabschiedet, die es Abgeordneten ermöglicht, sich vor Gericht zu verteidigen. Eine Änderung, von der auch der LH profitieren könnte – auch wenn er das anders sieht.

von Matthias Kofler

In einer hitzigen Debatte hat der Südtiroler Landtag gestern mit 31 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen die kontroverse „Lex Holzeisen“ verabschiedet, die den Abgeordneten das Recht einräumt, sich vor Gericht zu verteidigen. Bisher war es den Volksvertretern untersagt, Partei in Zivil- oder Verwaltungsverfahren gegen das Land oder die Region zu sein. Die Änderung, benannt nach der Vita-Mandatarin Renate Holzeisen, entstand aus einem laufenden Rekursverfahren Holzeisens gegen ein Bußgeld wegen des Nichttragens einer Covid-Schutzmaske. Laut bisheriger Regelung hätte Holzeisen aus dem Landtag ausgeschlossen werden müssen. Nun wurde nahezu einstimmig beschlossen, dass jeder Abgeordnete das Recht haben sollte, sich vor Gericht zu verteidigen.

Die Sitzung eskalierte, als Oppositionsführer Paul Köllensperger andeutete, die Reform sei eigentlich eine „Lex Kompatscher“. Der Team-K-Chef spielte damit auf die Ermittlungen gegen Kompatscher wegen unrechtmäßiger Wahlkampfkosten an. Die Finanzpolizei kam zu dem Schluss, dass der Landeshauptmann im Wahlkampf 2018 persönliche Ausgaben in Höhe von rund 100.000 Euro unrechtmäßig seiner Partei zugeschrieben hatte und deshalb den doppelten Betrag als Strafe zahlen müsse. Das Präsidium des Landtags entschied jedoch, dass die Vorwürfe erstens verjährt seien und zweitens dem SVP-Politiker kein Gesetzesverstoß nachgewiesen werden könne, da das Wahlgesetz zu unpräzise formuliert sei.

Sven Knoll und Thomas Widmann sehen dies anders und fordern eine Prüfung der Wahlkampfkosten von 2023, da Kompatscher möglicherweise erneut fragwürdige Praktiken angewendet haben könnte. Zudem könnte die Finanzpolizei von Amts wegen aktiv werden.

„In der Sache tragen wir die Änderungen mit, weil wir sie für richtig halten, aber eine ‚lex ad personam‘ ist falsch“, erklärte Köllensperger. Diese Aussage brachte den LH in Rage. Kompatscher, sichtlich verärgert, wies die Anschuldigungen vehement zurück: „Entschuldigung, hören Sie endlich auf mit dieser Geschichte! Es gibt nichts, das einer Verteidigung meinerseits bedürfte.“ Die bestehende Problematik werde mit der Gesetzesreform „gut gelöst“. Er habe die Änderung aber weder beantragt noch sei er deren Nutznießer.

Laut dem LH gibt es in keiner anderen Region Italiens eine so strenge Regelung wie Südtirol bislang hatte. Das wurde von der Grünen Brigitte Foppa, der Vorsitzenden des Wahlbestätigungsausschusses, jedoch dementiert: Nur in zwei Regionen bestehe diese Unvereinbarkeit überhaupt, in allen anderen, wenn auch mit unterschiedlicher Schärfe, jedoch schon.

Sepp Noggler von der SVP, der sich in der Endabstimmung als einer der wenigen der Stimme enthielt, betonte, dass es alternative Lösungen gegeben hätte, ohne das Wahlgesetz zu ändern. Er sei 2017 Erstunterzeichner des Wahlgesetzes gewesen und habe sich intensiv mit der Thematik befasst. Speziell die Punkte Unvereinbarkeit und Unwählbarkeit seien damals ein Anliegen gewesen. Man habe gesagt, dass jemand, der aus eigenem Interesse ein Verfahren mit der Gemeinde oder dem Land führe, nicht die Möglichkeit haben solle, Landtagsabgeordneter, Landesrat oder Landeshauptmann zu sein. Es gehe um die Gleichheit unter der Bevölkerung. Der Gesetzgeber wäre jetzt verpflichtet, diesen Unvereinbarkeitsgrund auch für die Mitglieder des Gemeinderats abzuschaffen: Das erachte er jedoch für problematisch, weil ein Bürgermeister künftig in Baurechtsangelegenheiten gegen seine eigene Gemeinde klagen könnte.

Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) erklärte, es sei ein Unterschied, ob jemand proaktiv aus Eigeninteresse eine öffentliche Verwaltung verklage oder ob man sich verteidige. Mit der gestern verabschiedeten Wahlrechtsordnung werde jedoch nicht zwischen diesen beiden Prinzipien unterschieden. Man wolle damit auch jene schützen, die Strafen ausstellen, rechtfertigte sich Einbringer Arnold Schuler.

Trotz der hitzigen Diskussionen und der weitreichenden Implikationen der „Lex Holzeisen“ ist die Änderung nun in Kraft. Befürworter sehen darin einen wichtigen Schritt zur Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte, während Kritiker vor möglichen Missbräuchen warnen.

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